Der Verfassungsgerichtshof empfiehlt in einer ersten Einschätzung eine Wahlwiederholung in Berlin, in Pankow könnten die Karten dadurch neu gemischt werden. Wie bereitet sich der Bezirk darauf vor?
Fehlende Stimmzettel, stundenlanges Warten und Stimmabgaben nach offiziellem Wahlschluss: Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen kam es im vergangenen Jahr zu zahlreichen schweren Pannen. Der Berliner Verfassungsgerichtshof deutete in einer mündlichen Verhandlung in der vergangenen Woche an, dass es nach einer ersten Einschätzung eine Wiederholung der Abstimmungen verfassungsrechtlich für notwendig halte.
Eine endgültige Entscheidung steht noch aus, soll aber am 16. November 2022 fallen, erklärte der Verfassungsgerichtshof in einer Pressemitteilung. Im Interview erklärt Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke), wie er die Lage bewertet.
Herr Benn, hat Sie die Empfehlung des Verfassungsgerichtshofes überrascht?
Ja.
Wie bewerten Sie den Verlauf der Wahl in Pankow im Nachhinein?
Die Wahlen sind in Pankow mit zahlreichen Mängeln behaftet gewesen. Das ist allen bewusst und ärgert jene besonders, die sie unmittelbar vorbereitet und organisiert haben. Die Vorbereitungen waren wegen der Vielzahl der Abstimmungen und den Coronahygieneanforderungen umfangreicher und detaillierter als bei jeder Wahl vorher. Dennoch ist es zu den bekannten Problemen gekommen. Die zeitweise Unterbrechung durch fehlende Stimmzettel und teilweise daraus resultierenden langen Wartezeiten vor den Wahllokalen hatten einen besonders großen Einfluss auf den Verlauf dieses Tages und die Verärgerung der Leute.
Was würde eine Wahlwiederholung für den Bezirk und für Sie als Bezirksbürgermeister bedeuten?
Das hängt vom Wahlkampf, vom Wahlergebnis und dem sich anschließenden politischen Prozess ab. Ist also kaum jetzt schon antizipierbar.
Wie bereitet sich der Bezirk auf eine Wahlwiederholung vor?
Konzeptionell arbeitet das Wahlamt bereits seit dem Sommer an einer möglichen Wiederholungswahl. In nächster Zeit wird es dazu eine erste Ämter übergreifende Verständigung geben, um in eine konkrete Vorbereitung zu gehen. Das Wahlamt ist aktuell in Planungen zu möglichem Personaleinsatz (da in Pankow wie in allen Bezirken kein ständiges Wahlamt vorhanden ist), zum Raumbedarf und logistischen Fragestellungen. Dabei wird unter anderem geklärt, wie die kritischsten Wahllokale aus den vergangenen Wahlen entlastet und frühzeitig die Wahllokal-Standorte auf eine Wiederholungswahl vorbereitet werden können. Dabei geht das Wahlamt aktuell vom umfangreichsten Szenario aus.
Was passiert mit den Entscheidungen, die in der Zeit seit der Wahl getroffen wurden? Bleiben diese im Fall einer Wahlwiederholung gültig?
Ja, das hat das Verfassungsgericht klargestellt.
Gibt es im Fall einer Wahlwiederholung einen neuen Wahlkampf? Wenn ja, wird dafür Gelder und Personal zur Verfügung gestellt?
Die Verwaltung wird wieder zeitweise Personal aus anderen Bereichen abziehen, aber auch neu einstellen, sowie auch Räume anmieten und Dienstleister binden müssen. Das kostet selbstverständlich Geld. Ich gehe davon aus, dass der Senat das Notwendige zur Verfügung stellt. Fragen zum Wahlkampf kann ich für die Parteien nicht beantworten. Die werden jetzt jeweils die Köpfe zusammenstecken, in ihre Kassen blicken und sich auf ein Wahlkampfszenario vorbereiten, den es so noch nie gegeben hat und von dem im Augenblick auf noch niemand abschließend weiß, was genau gewählt werden wird.
Wie sehen Sie die Chancen Ihrer Partei Die Linke im Bezirk, sollte eine Wahlwiederholung stattfinden?
Bei der durch die aktuellen Krisen angespannten Stimmungslage in Bevölkerung und Politik sowie der unabsehbaren politischen Lageentwicklung wage ich keine Prognose dazu, wie sich das im März möglicherweise darstellen wird und wie das auf den Bezirk durchschlägt.
Titelfoto: Anja Mia Neumann