Im Mauerpark passiert selbst an einem einzigen Tag so viel, dass das Gelände einem Mikrokosmos gleicht. Der Versuch eines Portraits über einen Park, der mich Berlin lieben gelernt hat.
Es gibt einen Ort in Prenzlauer Berg, an dem man das Gefühl hat, die ganze Stadt an sich vorbeiziehen zu sehen, wenn man nur lang genug sitzenbleibt. Morgens die Fahrradfahrer*innen auf dem Weg zur Arbeit, die routiniert den Glasscherben ausweichen, für deren Nachschub feierwütige Gruppen nur wenige Stunden davor, wie jede Nacht, neu gesorgt haben. Läuft man am Wochenende vor neun Uhr durch den Park, sieht man noch die letzten Übriggebliebenen der Nacht bei einer Mischung aus Schlaf und Dahinvegetieren. Wenn die Business-Biker am Nachmittag zurückkommen, ist der Park schon von Skater*nnen besetzt, deren Boards nun die Geräuschkulisse zwischen Bernauer Straße und Falkplatz dominieren. Nur noch wenige Stunden, die Sonne wird noch nicht einmal besonders tief am Himmel stehen, die Golden Hour weit entfernt, dann wird man beim Vorbeigehen wieder Bässe hören, die aus Stereoanlagen verschiedenster Qualität brummen.
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Der Park, der mich Berlin lieben ließ
Die Rede ist natürlich vom Mauerpark. Der Park, der in unzähligen Berlin-Reiseführern als Must-see angepriesen wird (eine Empfehlung, der Tourist*nnen gerne nachkommen). Der Park, an dem die Oscar-Ohrfeige von Will Smith schon wenige Tage nach dem Vorfall im Februar 2022 als Graffiti auftauchte und gleichzeitig der Ort, an dem erst Anfang Juni ein homophober Angriff stattgefunden hat. Der Park, durch den ich jeden Tag zur Arbeit gehe, durch den ich zur Uni gepilgert bin; der, von dem aus der Grillgeruch im Sommer immer wieder bis an mein Wohnzimmerfenster in der Nähe gelangt – und der Park, der mich Berlin lieben gelernt hat.
Denn wie die meisten der zugezogenen Student*nnen, die sich mitten in das quirlige Leben in Berlin und allen voran Prenzlauer Berg werfen wollen, konnte man mich während meiner ersten Monate in Berlin sonntags immer an demselben Ort finden: auf dem Mauerpark-Flohmarkt. Es war die schiere Größe und Auswahl an Ständen, die mich damals begeisterte. Von Skianzügen in pink-türkisem 90er Jahre-Mustern über handgemachte Lavendel-Seifen und hausgemachten Dips bis hin zu Vintage-Kameras bekommt man auf dem Markt all das, was das Leben in Berlin eben zu dem machte, was es für mich war und ist: Kreativ, voll, laut und vor allem echt cool.
Heute, einige Jahre und ein abgeschlossenes Hauptstadt-Studium später, gehöre ich zu der Fraktion, die über das Gedränge am Sonntag vor allem milde lächelt. Wer einmal im Novembermatsch auf dem Flohmarkt stand, weiß, wie viel angenehmer es ist, nicht bei jedem Stand mit Ringen und Kettchen die Ellbogen ausfahren zu müssen, um sich die immergleichen Prägungen doch noch ein letztes Mal in Ruhe anzusehen. Die matschigen Zeiten aber sind vorbei. Denn als der Mauerpark Ende Juni 2020 nach seiner Renovierung wiedereröffnete , verdoppelte sich nicht nur seine Grünfläche auf 15 Hektar, auch machte es der Betonuntergrund deutlich angenehmer, an Regentagen durch den Park zu stapfen.
Mehr Kohle, mehr Asche
Durch die Sanierung war endlich für alles mehr Platz: Für gemeinsames Gärtnern, Austoben, Erholen und Tischtennis spielen und Karaoke singen. Und: zum Grillen. Denn es gibt wenig, dass so sehr für den Mauerpark steht, wie der Qualm, der an sommerlichen Wochenendtagen über der Grünfläche schwebt. Abgesehen vom Birkenwäldchen und dem angrenzenden Spielplatz kann der Grill hier im Sommer überall aufgestellt werden. Und das wird er auch, zu Hunderten. Rundherum ein Gemisch aus Campingtischen- und Stühlen, Girlanden und Großfamilien auf Picknickdecken. Manche haben sich sogar einen aufwändig aussehenden Sonnenschutz mitgebracht, den man sonst nur an südeuropäischen Stränden sieht.
50.000 Besucher*innen sind hier an Sonntagen keine Seltenheit, berichtet die Berliner Zeitung. Entsprechend viel Müll sammelt sich. Und zwar nicht nur in den überfüllten Mülleimern, sondern auch auf Wegen und Rasenflächen. Was für Flaschensammler*innen eine Goldgrube ist, wird zum Problem, wenn der andere Abfall liegen bleibt. Müssen Angestellte der Grün Berlin, die für die Pflege der „neuen“ Fläche zuständig ist und des bezirklichen Straßen- und Grünflächenamtes, das für den „alten“ Teil zuständig ist, stundenlang Müll aufsammeln, bleibt weniger Zeit für andere Aufgaben wie Bewässerung. Und das, obwohl die Grünflächen immer mehr nach beige, als nach grün aussehen.
Ein Park mit Geschichte
Die „Freunde des Mauerparks“ wollen gegensteuern. Anwohner*innen haben den Verein 1999 gegründet und sind seitdem Ansprechpartner*nnen vor Ort. „Wir legen gerne selbst Hand an, zum Beispiel bei der Organisation von Festen, beim Schnitt von Hecken, bei der Bewässerung von Bäumen und der Reinigung des Parks“ heißt es auf der Webseite. Dort wird auch auf etwas hingewiesen, das selbst mir als Anwohnerin und Fan bisher noch unbekannt war: Der Podcast „Die Mauerpark-Affäre“, für den die 2016 von Heimo Lattner und Judith Laub durchgeführte Recherche zur Entstehungsgeschichte des Parks vertont wurde.
In 15 Folgen erzählen Protagonist*innen der ersten Stunde, wie sie mit anderen Bürger*innen unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer im April 1990 eigenmächtig begannen, den ehemaligen „Todesstreifen“ zwischen Ostberlin und Westberlin zu begrünen. Genau fünf Jahre nach der Grenzöffnung, am 9. November 1994, eröffnete der Mauerpark dann offiziell für alle Besucher*nnen. Schon damals mit Kopfsteinpflaster und Amphitheater an der Schwedter Straße.
Mir fällt kaum eine schönere Möglichkeit ein, eine Freifläche, an der früher mitunter scharf geschossen wurde, den Berliner*nnen zurückzugeben. Ein ehemaliger Grenzraum, der jetzt das Zusammenkommen ermöglicht.
Titelbild: Julia Schmitz