Im Bezirk Pankow steigt die Zahl rassistisch motivierter Vorfälle weiter an. Viele Menschen wissen das, doch sie tun zu wenig dagegen.
27. April 2022: Im Tählmann-Park entdeckt jemand zwei Sprühereien, die Schwarze Menschen rassistisch beleidigt. 16. Mai: In der Schönhauser Allee finden Leute Flyer einer Gruppierung, die auf ihrer Webseite rassistische Stereotype reproduzieren. 17. Mai: In der Parkstraße stecken Flyer mit antimuslimisch-rassistischen Inhalt in Briefkästen.
Selten sind solche Flyer und Schmierereien nicht. Im Gegenteil: Die Zahl erfasster Vorfälle mit rechtem, rassistischen und judenfeindlichen Hintergrund steigt an. So erfasste die Dokumentationsstelle Berliner Register vergangenes Jahr 4.841 Vorfälle – das macht 13 Fälle pro Tag. Im Jahr zuvor waren es noch 3.822. Das ist ein neuer Höchststand. Auch im Bezirk Pankow steigen die Zahlen.
Hier gab es im vergangenen Jahr insgesamt 343 Meldungen, sagt Andreas Ziehl von „moskito“, der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus für Demokratie und Vielfalt. Die Zahlen seien auch deswegen höher als 2020, weil Menschen aufmerksamer seien. Der Großteil davon passiere in Prenzlauer Berg, bei Angriffen, Bedrohungen und Beleidigungen seien es ungefähr die Hälfte. „Das vermutet man im ersten Moment nicht, wenn man an Pankow und Prenzlauer Berg denkt. Aber Angriffe geschehen dort, wo es ein aktives Straßen- und Nachtleben gibt: In Cafés oder ähnliches und an zentralen Umsteigebahnhöfen passieren immer wieder viele Sachen“, erklärt er.
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Rassismus kein Randphänomen
Rund 240 der gemeldeten Vorfälle seien Propagandadelikte gewesen, dazu gehören beispielsweise Schmierereien und Aufkleber im öffentlichen Raum. Hinzu kämen 51 Beleidigungen und Bedrohungen sowie 27 Angriffe. Seit Jahren sei im Bezirk Pankow das Hauptmotiv Rassismus, knapp ein Drittel der Vorfälle sei rassistisch motiviert gewesen, sagt Ziehl. Gleichzeitig weist er auf eine hohe Dunkelziffer hin; von Rassismus betroffene Menschen meldeten Vorfälle häufig nicht. „Viele, die rassistische Gewalt erfahren, bringen das nicht bei der Polizei zur Anzeige, weil sie durch Racial Profiling oder ähnliche Sachen kein Vertrauen haben, weil es eben manchmal zur Täter-Opfer-Umkehrung kommt.“
Fast die gesamte Bevölkerung in Deutschland, nämlich 90 Prozent, weiß laut dem „Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) , dass es Rassismus gibt: Eine deutliche Mehrheit hat ihn bereits erlebt – als betroffene Person oder in dem sie diesen beobachteten. So gaben 65 Prozent der Befragten an, selbst rassistisch diskriminiert oder Zeug*in solcher Vorfälle geworden zu sein.
Lange gab es keinen Aufschrei
Doch das Wissen um Rassismus hat auch eine andere Seite: Die Studie zeigt nämlich, dass rassistische Vorstellungen in der Gesellschaft teilweise tief verankert sind. Jede zweite bis dritte befragte Person sieht biologische Unterschiede zwischen Menschen oder bewertet andere auf Grund ihrer „Kultur“. Gleichzeitig wehrt ein Teil der Bevölkerung eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus ab. 33 Prozent der Befragten glauben, Menschen, die Rassismus erleben, seien häufig zu empfindlich; 52 Prozent finden sie sogar zu ängstlich.
„Lange gab es kaum bis wenig Aufschrei. Lange wurde weggeschaut oder es haben nur gewisse Leute hingeguckt und versucht, das zu thematisieren“, sagt Ziehl. Im Bezirk Pankow haben sich deswegen mehrere Vereine und Initiativen wie moskito und Total Plural zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Gemeinsam versuchen sie, Rassismus entgegenzutreten und etwas zu ändern. Sie veranstalten die Pankower Wochen gegen Rassismus oder Fachtage, bei denen sie mit Aktivist*innen zusammenkommen.
Rassismus als strukturelles Problem
„Bevor Leute nicht sagen, dass Rassismus nicht richtig ist, bringen all die Workshops nichts. Anti-Rassismus ist ein langer Prozess“, sagt Naomi Beukes-Meyer, die an einem dieser Fachtage teilnimmt. Das beginne bereits bei den Schulbüchern. Die Lehrerin, Filmemacherin und Aktivistin kritisiert, dass diese veraltet seien, viele repräsentierten überhaupt nicht den Alltag und enthielten viele Stereotype. Auch bei Lehrer*innen müsse ein Bewusstsein dafür geschaffen werden. „Das war schon immer so, höre ich oft von Kollegen, die schon ewig im Job sind.“
„Rassismus ist ein strukturelles Problem, das wir in der Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen angehen müssen: in Bildungseinrichtungen, in Verwaltungen, aber auch in Sicherheitsbehörden“, weiß Ziehl. Dort müsse eine höhere Sensibilität entstehen, was Arbeitsweisen ausmachen, was rassistisches Verhalten ist und was dies bei Betroffenen auslöse, sagt er. Alle in der Gesellschaft müssten sich dem Thema annehmen, weil nur so etwas verändert werden könne.
„Wir reden alle davon irgendwo was zu ändern, aber wir kriegen das nicht hin“, kritisiert Beukes-Meyer. „Wir müssen mit den Menschen sprechen: im Büro, im Park, auf der Straße. Da wo ich jetzt bin, fange ich an. Auch wenn ich nur mit einem Menschen anfange.“ Auch Ziehl ermuntert alle, bei rassistischen Fällen einzugreifen und Zivilcourage zu zeigen: die Polizei rufen, sich dazwischen stellen oder ähnliches. Denn für Betroffene sei es immer wichtig, zu sehen, dass sie nicht alleine sind.
Titelfoto: Gabe Pierce/Unsplash