In der FreiwilligenAgentur Pankow treffen soziale Einrichtungen auf Ehrenamtliche. Wir haben mit Heidi Graf und Christian Dubs über Ziele, Möglichkeiten und die Herausforderungen vom Ehrenamt in Krisenzeiten gesprochen.
Seit 14 Jahren vermittelt die FreiwilligenAgentur Pankow, die sich in der Berliner Allee befindet, hilfsbereite Berliner*innen an soziale Organisationen. Mittlerweile umfasst ihr Team drei Beschäftigte sowie drei ehrenamtliche Mitarbeiter*innen. Geleitet wird die Agentur von Heidi Graf, Christian Dubs ist mit dem Jungen Engagement betraut und Barbara Wacker übernimmt den Bereich der Inklusion. Neben grundständigen Aufgaben wie der Nachbarschaftshilfe, engagiert sich die Agentur in Krisenzeiten in Feldern mit gestiegenem Bedarf, so war sie zu Beginn der Pandemie Teil der Corona-Hotline. In der aktuellen Situation wird sie auch in der Ukraine-Hilfe tätig.
Seit Ende Februar sind Tausende von Menschen aus der Ukraine nach Berlin geflüchtet. Was bedeutet das für Freiwilligen-Agentur?
Heidi Graf: Plötzlich gab es sehr viel Druck und Handlungsbedarf. Wir haben wegen der gestiegenen Belastung eine befristete zusätzliche halbe Stelle einrichten können.
Christian Dubs: Gerade in den ersten zwei Wochen nach Kriegsausweitung passierte alles gleichzeitig. Jeden Tag kamen neue Informationen und wir waren in regelmäßigem Austausch mit dem Bezirksamt Pankow. Auch der Austausch mit bundesweiten Freiwilligenagenturen hat glücklicherweise gut funktioniert und wir haben schnell beschlossen, uns mit einer eigenen Datenbank auf mittel- und langfristige Hilfen einzustellen. Uns war es wichtig, auf Strukturen zurückzugreifen, die in Pankow bereits vorhanden sind und zusätzlich in der Ukraine-Hilfe tätig werden. Von Freiwilligen am Hauptbahnhof haben wir gehört, wie chaotisch es dort teilweise abgelaufen ist, weil es keine offizielle Organisation gab. Eine Agentur wie unsere schützt durch gezielte Verteilung auch vor Überlastung Einzelner.
In der Bevölkerung herrscht oft Verwirrung darüber, warum die Verwaltung scheinbar aus der Flüchtlingsbewegung von 2015 nicht gelernt und keine Strukturen etabliert hat, die bei Bedarf nur noch abgerufen werden müssen. Was lief aus Ihrer Sicht schief?
Dubs: Ich glaube, dass die Mühlen der Behörden langsamer mahlen, als der Aktivismus der Freiwilligen. In der Verwaltung muss zunächst geklärt werden, wer welche Vorgänge finanziert, wer das Personal stellt etc. und dann dauert die Planungsphase mitunter noch an, während die Freiwilligen bereits an der Arbeit sind.
Das bedeutet, Sie haben auch hinter den Kulissen keinerlei längerfristige Vorbereitung von Seiten der Behörden mitbekommen?
Dubs: Wir standen mit den bezirklichen Behörden in regem Austausch, haben aber von einer längerfristigen Vorplanung auf Senatsebene nichts gehört.
Graf: Man darf bei aller Kritik am Krisenmanagement allerdings nicht vergessen, dass die Berliner Regierung neu im Amt ist. Der Krieg ist über die Verantwortlichen hereingebrochen, als sie noch dabei waren, sich ihre Aufgaben zu erschließen. Das war auch ziemlich viel auf einmal.
Dubs: Man sollte auch erwähnen, dass es im Bezirksamt Pankow Mitarbeiter*innen gab, die morgens bereits um fünf Uhr am Infopoint standen.
Haben sich speziell nach der Ausweitung des Angriffskrieges auf die Ukraine besonders viele Freiwillige bei Ihnen gemeldet?
Graf: Die Situation erinnert in dieser Hinsicht an ein Phänomen aus der Corona-Zeit; es gibt mehr Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft als angemeldeten Bedarf. Derzeit haben wir 217 registrierte Freiwillige, auf die 14 Angebote kommen. Unsere Agentur vermittelt nur an soziale Einrichtungen, nicht an Privatorganisationen. Die Einrichtungen treten mit ihren Gesuchen an uns heran und wir verbinden sie dann mit den Wünschen und Kenntnissen der Freiwilligen in unserer Datenbank. Die jeweiligen Organisationen müssen bereits eine Struktur für die Freiwilligenarbeit geschaffen haben; beispielsweise eine Ansprechperson. Ehrenamt braucht immer Hauptamt.
Welche Bevölkerungsgruppen engagieren sich bei Ihnen vor allem in der Freiwilligenarbeit?
Graf: Von den 217 Freiwilligen für die Ukraine-Hilfe sind 161 Frauen. Das ist schon ein gesellschaftliches Abbild. Als ich im Jahr 2019 hier zu arbeiten begonnen habe, dachte ich, es würden sich vor allem Rentner*innen für Ehrenämter interessieren, aber das stimmt gar nicht. Die Begeisterung für freiwilliges Engagement zieht sich quer durch alle Altersklassen; so ist beispielsweise der mittlere Altersbereich, von Menschen um die vierzig Jahre, stark vertreten. Da gibt es auch Leute, die voll im Berufsleben stehen und sich trotzdem in ihrer Freizeit engagieren möchten. Das hat mich sehr positiv überrascht.
Dubs: Wir bieten in unserer Agentur auch den Bereich „Junges Engagement“ an, für Jugendliche bis 27 Jahren. Auch der erfährt viel Zuspruch.
Wie ist die Freiwilligenagentur Pankow entstanden?
Graf: Es gibt uns seit 14 Jahren. Die Agentur wurde im Stadtteilzentrum Pankow als Ein-Frau-Betrieb gegründet. Im Jahr 2019 hatten das berlinweite Interesse an Freiwilligenarbeit und die Relevanz des Engagements für den öffentlichen Raum an Gewicht gewonnen und es folgte die personelle Aufstockung. Mittlerweile gibt es in jedem Berliner Bezirk eine Freiwilligenagentur in unterschiedlichen Strukturen und Finanzierungsformen. Wir sind z.B. teils vom Senat und teils vom Bezirk finanziert.
Wie erklären Sie sich den gestiegenen Bedarf am Ehrenamt?
Graf: Ich glaube nicht, dass der Bedarf gestiegen ist, aber dass vielmehr die Relevanz stärker ins Blickfeld gerückt ist und sich die Politik mittlerweile sehr dafür interessiert. Das ist natürlich auch der Lobbyarbeit der Aktiven zu verdanken. So hat beispielsweise die Freiwillige Feuerwehr Alarm geschlagen, als kein Nachwuchs mehr kam. Die derzeit 1500 freiwilligen Helfer*innen bei der freiwilligen Feuerwehr müssten finanziert werden, wofür das Geld fehlt.
In allen sozialen Bereichen ist Ehrenamt notwendig und vorhanden. Deutlich wurde unter anderem auch im Zuge der Flüchtlingsbewegung von 2015 wie groß einerseits die Bereitschaft und andererseits Ausmaß und Bedeutung der Freiwilligenarbeit sind. Der Bereich rückte medial stärker in den Fokus.
Können Sie ein paar wichtige Ehrenamtsbereiche nennen, die speziell in Prenzlauer Berg wichtig sind?
Dubs: Da gibt es einige, beispielsweise den Seniorenstift Prenzlauer Berg, oder, SHIA e.V., das ist ein Verein, der Alleinerziehende unterstützt.
Graf: Unser Ziel ist, weitere Einrichtungen in unsere Datenbank aufzunehmen. Wir bieten für Organisationen auch Beratungen an.
Was wünschen Sie sich in Ihrer Arbeit für Zukunft?
Graf: Ich hoffe, dass aufgrund der aktuellen Entwicklungen keine Ressourcen im sozialen Bereich gestrichen werden. Die Freiwilligenarbeit hat meiner Ansicht nach hohe gesellschaftliche Relevanz und die Unterstützungsstrukturen sollten eher deutlich ausgebaut werden. Wenn die Gesellschaft all die Arbeit bezahlen müsste, die Ehrenamtliche für sie leisten, dann wäre sie schon längst zusammengebrochen.
Wir würden gerne mehr Projekte entwickeln und anbieten im Bereich Nachbarschaftshilfe und familiäres Engagement. Hier ist die Idee, dass sich eine Familie gemeinsam engagiert, beispielsweise einen Park aufräumt oder eine Patenschaft für einen älteren Menschen übernimmt. Davon profitieren alle Beteiligten, die Familienmitglieder arbeiten an einem gemeinsamen Projekt. Ein anderer wichtiger Bereich bei uns, der gerade ausgebaut wird, ist die Inklusion. Hier bieten wir bereits Peerberatungen und Stammtische an.
Dubs: Auch im Bereich der Berufsorientierung an Schulen wäre noch viel mehr möglich. Ehrenämter bieten im Vergleich zum Schülerpraktikum eine gute Möglichkeit, sich auszuprobieren und in soziale Berufe hinein zu schnuppern, ohne sich langfristig zu verpflichten.
Graf: Wir möchten allgemein nachhaltiger in den Bezirk hineinwirken, um als Freiwilligenagentur fester Bestandteil der Nachbarschaftskultur zu sein.
Titelbild: Von links nach rechts: Heidi Graf, Barbara Wacker und Christian Dubs von der FreiwilligenAgentur Pankow / Foto: Katharina Angus