Maxim Leo

Held wider Willen

von Julia Schmitz 5. April 2022

Ein Videothekenbesitzer vom Helmholtzplatz wird plötzlich zum Star der Presse: Maxim Leo hat mit „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ einen amüsanten Roman über den Umgang mit der DDR-Vergangenheit geschrieben.


Am 12. Juli 1983 gelangten 127 Menschen aus Ost-Berlin unvermittelt nach West-Berlin, weil ihre S-Bahn aufgrund einer Weichenstellung aus Versehen auf ein anderes Gleis geleitet worden war. Es handelte sich dabei um die größte Massenflucht aus der DDR. Daran könnt ihr euch nicht erinnern? Stimmt, dieses Ereignis hat auch gar nicht stattgefunden. Aber es hätte passieren können – und deshalb liest sich der neue Roman „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ von Maxim Leo zunächst wie eine authentische Geschichte.

Michael Hartung hat mit der Vergangenheit längst abgeschlossen, vielleicht auch mit der Zukunft. Er führt eine kleine Videothek in der Raumerstraße am Helmholtzplatz, wo er allerdings die meiste Zeit alleine verbringt: Längst haben Streamingdienste das Ausleihen von Filmen überflüssig gemacht. Um sich die Zeit zu vertreiben, schaut er sich Filme mit Louis de Funès an und versucht, seine Mietschulden zu vergessen.

Bis eines Tages plötzlich Alexander Landmann vor ihm steht, ein ehrgeiziger Journalist auf der Suche nach der nächsten großen Geschichte. In den Stasi-Archiven ist er auf Unterlagen zu der Flucht am Bahnhof Friedrichstraße gestoßen, hat von der langen Intensivhaft Hartungs im Gefängnis Hohenschönhausen gelesen und sieht hier die nächste große Geschichte. Hartung spielt das Ganze zunächst herunter, wittert dann aber, als Landmann ihm ein hohes Honorar anbietet, seine Chance. Nachdem der Text in der Zeitung erschienen ist, wird der melancholische Videoverleiher plötzlich landesweit als vergessener Held der deutsch-deutschen Teilung gefeiert: Er passt einfach zu gut in die Vorstellung über die Menschen in der DDR, die sich allesamt angeblich nichts sehnlicher gewünscht haben, als in den Westen auszureisen.

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Trabis und Nacktbaden

Als sich Maxim Leo zum ersten Mal an die Geschichte setzte, die später sein Roman werden sollte, hatte er genau diese Klischees im Hinterkopf. „Über die DDR werden immer die gleichen Sachen erzählt. Bei jedem Jahrestag geht es um Trabis oder Nacktbaden und wenn jemand sagt, man habe doch auch in der DDR einen ganz normalen Alltag gehabt, wird sofort gekontert: Aber es war doch ein Unrechtsstaat!“, erzählt er mir.

Wir haben uns in einem Café im Bötzowkiez getroffen, wo der Schriftsteller mit seiner Familie lebt. Aufgewachsen ist er in Ost-Berlin – und wird heute noch immer um Erklärungen oder Statements gebeten, wenn es in irgendeiner Form um „Ostdeutsche“ geht. Auch Vorurteile hielten sich hartnäckig. „Wenn ich in Westdeutschland Lesungen habe, kommen am Ende keine Fragen; sondern ganze Referate, in denen mir erklärt wird, wie ich mich in der DDR gefühlt habe“, sagt er und lacht.

In seinem Roman greift er dies mit ironischem Humor auf. Seine Figuren basieren auf einer Mischung aus realen Personen, sind aber grundsätzlich satirisch überspitzt. Neben Michael Hartung ist da Harald Wischnewsky, der sich während der „Friedlichen Revolution“ im Friedenskreis engagierte und seit dreißig Jahren Vorträge über sein bürgerrechtliches Engagement hält – und sich, auch das ein Tribut an das Klischee, einen langen Bart wachsen lässt. Als er für seine Rede vor dem Bundestag zum 30. Jubiläum des Mauerfalls überraschend durch den „Helden“ Hartung  ersetzt werden soll, sieht er seinen Lebensinhalt gefährdet: „Wenn das so weitergeht, ist bald nichts mehr übrig von unserer schönen Erinnerungskultur.“

 

Das Gefühl, akzeptiert zu werden

Maxim Leo muss es großen Spaß gemacht haben, diese satirische Geschichte zu schreiben. Nach den beiden Büchern „Haltet euer Herz bereit“ und „Wo wir zuhause sind“ über die Geschichte seiner weit verzweigten Familie konnte er hier seiner Fantasie freien Lauf lassen. Und so können wir Michael Hartung dabei zusehen, wie er durch seine Heldenreise stolpert, an dessen Ende er – nein, das wird an dieser Stelle nicht verraten.

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist aber auch eine Geschichte, bei der parallel zur humorvollen Absurdität eine melancholische Spur läuft, die nachdenklich macht. Braucht es wirklich den drölfzigsten Text über Sitten und Gebräuche in der DDR, der wirkt wie die kulturanthropologische Studie eines fast ausgestorbenen Stammes?

„Man könnte die Ostdeutschen ja einfach mal fragen, ob und wie über sie geschrieben werden soll“, schlägt Maxim Leo vor. Oder, wie seine Hauptfigur Hartung an einer Stelle sagt: „Es geht vor allem um das Gefühl. Das Gefühl, akzeptiert zu werden. Das Gefühl, dazuzugehören. Vielleicht sollte man damit beginnen, nicht mehr von den Ostdeutschen und den Westdeutschen zu sprechen. Ich meine, was hat ein Hamburger mit einem Oberbayern zu tun? Und ein Mecklenburger mit einem Sachsen? Wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu beschuldigen und zu belehren.“

 

Maxim Leo: „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, hat 304 Seiten und kostet 22 Euro. Am Mittwoch, 20. April um 20 Uhr liest der Autor im Pfefferberg Theater aus seinem Roman.

Mehr Literatur aus, in und über Prenzlauer Berg findet ihr hier.

Titelbild: Sven Görlich

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