Ukraine

Orange für Ukrainisch

von Katharina Angus 29. März 2022

Täglich kommen Hunderte Flüchtlinge aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof an, wo sie mit Essen versorgt und an Unterkünfte vermittelt werden. Unsere Autorin hat vor Ort mitgeholfen.


Natürlich habe ich mich registriert. Schließlich müssen sie wissen, wer da kommt. Sie, das sind die Freiwilligen am Berliner Hauptbahnhof, die Helfer*innen wie mich koordinieren. Koordinieren bedeutet allerdings vor allem: eine kurze Anleitung erteilen und Anlaufstelle für Fragen sein. Für alles andere bleibt keine Zeit, zu dicht ist das Gedränge, zu chaotisch die Lage an Gleis 3. Hier hat man einige Stände improvisiert: Eine Spielecke für Kinder, eine Hygieneartikelsammlung.

Meiner Registrierung folgt keine Überprüfung. Ich soll bei einem Gruppen-Briefing zuhören, dann drückt mir einer der freundlichen Koordinatoren einen Stempel mit Datum auf den Handrücken und eine gelbe Weste in den Arm. Die Farbe orange steht für ukrainisch bzw. russisch sprechend, gelb für alle anderen Sprachen. Ein System, das zwar den Helfer*innen ermöglicht, sich untereinander zu erkennen, sich den ankommenden Geflüchteten aber nicht sofort erschließt. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass diejenigen, die sie auf den Gleisen oder Etagen des weitläufigen Bahnhofs in Empfang nehmen, keine vom Staat beauftragten Expert*innen sind.

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Es mangelt an Informationen

Eine aufgeregte Frau bestürmt mich; sie spricht in einer Sprache, die ich, obwohl ich ein wenig Russisch gelernt und Ukrainisch oft gehört habe, nicht klar identifizieren kann. Sie lächelt mir aufmunternd zu, wie einer Schülerin, die im Unterricht versagt hat und geht weiter. Einer Familie gelingt es, mir zu erklären, was sie suchen. Die Fragen sind meistens dieselben: Wo gibt es die Möglichkeit zur Registrierung, wo eine Unterkunft. Die Antwort ist bitter. Ich weiß es nicht. Die Regierende Bürgermeisterin Berlins, Franziska Giffey verweist in Interviews wiederholt auf massive Unterstützung, die der Staat bereitstelle. Heute, am Berliner Hauptbahnhof, besteht sie vor allem aus einem großen weißen Zelt am Washington Platz. Wenn ich nicht weiterweiß, schicke ich die Menschen dorthin.

Fahrkarten innerhalb Deutschlands erhalten Menschen mit ukrainischem Pass derzeit gratis, hierfür gibt es einen speziellen Schalter. An diesem Tag ist das oft das Erste, was ich zu den Menschen sage: „Innerhalb Deutschlands können Sie gratis fahren“. Wenigstens etwas, es klingt wie eine Entschuldigung. Die deutsche Öffentlichkeit hat den Krieg in der Ukraine acht Jahre lang ignoriert und in „Konflikt“ umbenannt. Nun mangelt es an Informationen und Unterkünften für Geflüchtete.

 

Vertrauen in die Uniform

Niemand kontrolliert die Ausweise der Helfenden, unter uns könnten sich problemlos Kriminelle und Menschenhändler mischen. Man vertraut uns, denn wir tragen Uniform. Das tatsächliche Ausmaß der Desorganisation trauen viele dem deutschen Staat nicht zu. Für Notfälle gibt es die direkte Durchwahlnummer der Polizei am Hauptbahnhof, die wir alarmieren sollen, wenn wir beispielsweise Zeug*innen dubioser Angebote an Geflüchtete werden. Viele von ihnen sind auf private Unterkünfte angewiesen und die meisten Menschen, die bereit sind, sie bei sich aufzunehmen, haben gute Absichten. Wie man sie allerdings von den anderen unterscheiden soll, ist mir nicht klar.

Insgesamt herrscht eine angespannte Atmosphäre. Die Ankommenden sind übermüdet, viele auf der Durchreise. Wer hier wirklich praktisch helfen möchte, sollte sich vorher die Infrastruktur des Bahnhofs einprägen, eventuell ein paar Fahrpläne studieren. Einigen kann man dadurch bereits weiterhelfen. Eine verzweifelte junge Frau erwischt gerade noch rechtzeitig den Zug nach München, weil ich sie auf die Gleisänderung hinweise.

Als ich mich auf den Heimweg machen will, fällt mir auf, wie süchtig das gute Gefühl niedrigschwelligen Helfens machen kann. Und dass die Helfenden unter Umständen mehr davon profitieren als diejenigen, denen geholfen werden soll.

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