Pankow lässt mehr Bäume als angegeben fällen und diskutiert über Vielfalt und Toleranz im Bezirk: Was diese Woche in Prenzlauer Berg los war, gibt’s im Newsletter zum Nachlesen.
Im Herbst 1989 wurde die Gethsemanekirche an der Stargarder Straße zu einem zentralen Schauplatz der „Friedlichen Revolution“: Mit Mahnwachen protestierten Bürger*innen gegen die Unterdrückung durch das DDR-Regime. Seit ein paar Monaten ist das Gotteshaus erneut Schauplatz von Demonstrationen. Menschen, die die Corona-Pandemie verharmlosen oder leugnen, treffen sich hier jeden Montagabend – sie sind der Meinung, auch jetzt in einer Diktatur zu leben. Anwohner*innen des Kiezes wollen sich das nicht gefallen lassen und halten nun ebenfalls jeden Montag vor Ort die Stellung. In dieser Woche hat die „Initiative Gethsemanekiez“, die die Zusammenkunft organisiert, nun eine „Demokratie-Erklärung“ unterschrieben. Was darin steht haben wir uns angeschaut für unseren
Text der Woche
- Gethsemanekiez: Um sich Corona-Leugner*innen entgegenzustellen, treffen sich jeden Montag zahlreiche Nachbar*innen vor der Gethsemanekirche. Nun haben sie eine „Demokratie-Erklärung“ formuliert. Und auch die BVV bezieht eine klare Position.
Was sonst noch los war
- Kollwitzmarkt: Die Betreiber*innen von Wochenmärkten in Pankow müssen in Zukunft Betonbarrieren zum Schutz vor Anschlägen aufstellen – ansonsten wird ihr Vertrag offenbar nicht verlängert. Droht ihnen das Aus? #mitglieder
Kiezfoto der Woche
Direkt aus der BVV
Die Infektionszahlen sinken, aber die Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) findet sicherheitshalber vorerst weiterhin online statt. Und während Prenzlauer Berg am Mittwoch auf den großen Sturm wartete, hatten auch die Bezirksverordneten einige aufbrausende Themen auf dem Zettel stehen. Gleich zwei Resolutionen verabschiedeten sie an diesem Abend: Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stellten einen Dringlichkeitsantrag mit dem Titel „Die BVV Pankow steht für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“; darin beziehen sie sich auf den rassistischen Angriff auf Dilan S. Eine Gruppe von Männern und Frauen hatte die 17-jährige Schülerin vergangene Woche an der Haltestelle Greifswalder Straße rassistisch beleidigt und geschlagen. Bei den Bezirksverordneten herrschte ungewöhnlich breiter Konsens: Bis auf eine Enthaltung stimmten alle BVVler der Resolution zu. Auch die zweite Resolution verabschiedeten sie so gut wie einstimmig: „Die BVV Pankow verurteilt Anschläge auf Gotteshäuser“. Anlass war der Brandanschlag in der Paul-Gerhardt-Kirche in Prenzlauer Berg Mitte Januar.
Und was wäre eine BVV ohne eine Diskussion über Bäume? Anfang der Woche fällte das Straßen- und Grünflächenamt in der Seelower Straße 21 Weiden, wir berichten bereits im letzten Newsletter über die Kritik daran. Aber warum ist dazugehörige Gutachten, in dem die Begründung für oder gegen Fällungen steht, eigentlich nicht öffentlich nachlesbar? Das wollte Axel Lüssow (Grüne) in einer mündlichen Anfrage wissen – mittlerweile hatte das Straßen- und Grünflächenamt dieses allerdings auf die Homepage gestellt. Und ein Blick hinein zeigt: So ganz koscher ist die Sache nicht. Im September 2021 untersuchten Sachverständige für das Gutachten zwar zehn Bäume in der Seelower Straße, aber nur für sechs von ihnen wurde die Fällung empfohlen; bei den restlichen vier wäre eine Nachbehandlung möglich gewesen. Gefällt wurden allerdings alle zehn – sowie elf weitere. Hier ist das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen.
Ein ähnlicher Dauerbrenner in der monatlichen Sitzung ist der Straßenverkehr, vor allem im Hinblick auf Fahrradfahrer*innen. Die haben seit Dezember eine neue Fahrradstraße in der Stargarder, auch die Polizei hat diese mittlerweile akzeptiert und mit den Kontrollen begonnen. Aber wissen eigentlich alle, welche Regeln in einer Fahrradstraße gelten? Nein, ist die CDU Fraktion überzeugt und wünscht sich, dass das Bezirksamt sich bei der Senatsverwaltung für Umwelt für eine Informationskampagne einsetzt – die am besten gleich in der Stargarder Straße erprobt wird. Der Vorschlag stieß auf breite Zustimmung, lediglich die Linksfraktion stimmte geschlossen dagegen. Und noch ein Antrag drehte sich um die Drahtesel: In Pankow sollen Fahrradreparatursäulen aufgestellt werden, beschlossen die Verordneten – wer zukünftig mitten in der Nacht einen Platten hat, muss also nicht nach Hause schieben.
Weiteres aus dem Bezirk
Brückenerneuerung: Die Brücke über die Schönhauser Allee ist ganz schön in die Jahre gekommen: Die 1886 erbaute Konstruktion, die später immer wieder erweitert wurde, muss dringend erneuert werden – damit sie auch in Zukunft den täglich rund 22.000 Fahrzeugen standhält, die dort entlang fahren. Ab 2025 wird die Brücke in Hauptbauphasen daher abgerissen und neu gebaut; zunächst waren zwei Jahre dafür eingeplant, mittlerweile wurde die Zahl auf sechs Jahre nach oben korrigiert. Und auch die veranschlagten Kosten sind deutlich gestiegen: Noch im Dezember war von 21 Millionen Euro die Rede, jetzt sind es bereits 34 Millionen Euro, wie aus einer Schriftlichen Anfrage des Abgeordneten Dirk Stettner (CDU) hervorgeht. Und es könnte noch mehr werden: „Kostenberechnungen ergeben sich erst nach dem Vorliegen der nächsten Planungsstufen“, heißt es seitens der Senatsverkehrsverwaltung. Die sind allerdings noch nicht abgeschlossen.
Bürgeramt: Schnell mal einen Termin beim Bürgeramt machen, um einen neuen Personalausweis zu beantragen? In Pankow in vielen Fällen aussichtslos, in den meisten mit Frust verbunden. Dabei hat sich der neue Senat das Ziel gesetzt, dass alle Bürger*innen Berlins sämtliche behördlichen Anliegen innerhalb von 14 Tagen erledigen können sollen. Doch um das zu realisieren, brauchen die Ämter dringend neues Personal: Um allen Terminanfragen gerecht zu werden, bräuchte Berlin mindestens fünf weitere Bürgeramtsstandorte und ungefähr 100 Vollzeitstellen. Doch der Nachwuchs ist nicht leicht zu finden, Stellen bleiben unbesetzt. So waren in Pankow zum Jahresende 2021 7,9 Vollzeitäquivalente (also eine Mischung aus Voll- und Teilzeitstellen) vakant. Die CDU-Fraktion der Pankower BVV hat die Situation ebenfalls auf dem Schirm und setzt sich, damit sich die Situation zumindest kurzfristig ein bisschen entspannt, für längere Öffnungszeiten in den Bürgerämtern des Bezirks ein. „Einen Termin beim Bürgeramt zu bekommen, gleicht einem Sechser im Lotto. Die öffentlichen Aufgaben müssen durch staatliche Organisationen gesichert sein. Es kann nicht sein, dass Bürger aufgrund von abgelaufenen Personalausweisen Probleme im täglichen Leben bekommen. Neben ausreichend Mitarbeitern, digitalen Infrastrukturen und monetären Mitteln fehlt es auch an ausreichenden Öffnungszeiten, damit auch Berufstätige und Familien in Randzeiten Termine wahrnehmen können“, so der Bezirksverordnete David Paul.
Kriminelles & Unschönes
Unfall: Erneut kam es zu einem schweren Unfall einer Radfahrerin in Prenzlauer Berg. Als eine 58-jährige Frau am frühen Montagabend auf der Wicherstraße in Richtung Schönhauser Allee auf dem Fahrradstreifen fuhr, erfasste sie ein aus der Gegenrichtung kommender und nach links abbiegender 84-Jähriger mit seinem Wagen. Die Frau prallte gegen die Windschutzscheibe des Autos und wurde mit schweren Verletzungen an Kopf und Rumpf in ein Krankenhaus gebracht.
Festnahme: Am Mittwochvormittag nahmen Polizist*innen einen 55-jährigen Mann fest, der sich, nach auffälliger Fahrweise, einer Polizeikontrolle in der Wisbyer Straße entzogen hatte. Als die Beamt*innen ihn an einer roten Ampel erneut anhielten, gab dieser Gas; mit Unterstützung konnte er in der Charlottenburger Straße /Friesickestraße gestellt werden. Laut Angaben der Polizei machte der Fahrer deutlich, dass er der Reichsbürgerbewegung angehöre und die Polizei nicht anerkenne. Er wurde in Polizeigewahrsam gebracht, der Führerschein wurde ihm entzogen und das Auto beschlagnahmt.
Tipps & Termine
19.2.: Zwischen 2009 und 2019 war Holger Biermann jeden Sonntag, am „Tag des Herrn“, im Mauerpark unterwegs. Seine Fotografien von grillenden, tanzenden und trommelnden Menschen fangen die einzigartige Stimmung auf dem Gelände ein. Die Vernissage im supalife Kiosk in der Raumer Straße beginnt um 18 Uhr, der Eintritt ist frei.
22.2.: Was ist eigentlich aus dem geplanten Kiezblock im Arnimkiez geworden und was bedeutet Kiezblock überhaupt? Darüber informieren am kommenden Dienstag Pankows Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD) und Dr. Almut Neumann (Grüne), Bezirksstadträtin in Mitte. Anschließend gibt es eine Diskussion mit verschiedenen Kiezblock-Aktivist*innen. Die Veranstaltung findet online statt, eine Anmeldung ist erforderlich.
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Das habt ihr vielleicht verpasst
- Verdrängung: Erst verschwand der öffentliche Park, jetzt sind auch die anliegenden Häuser bedroht: Erneut müssen Anwohner*innen des legendären Hirschhof zwischen Kastanienallee und Oderberger Straße zittern.
- Engagement: Obwohl die Einsatzwagen oft von einem lauten Martinshorn begleitet werden, wissen die meisten wenig über die Feuerwehrkräfte in ihrem Stadtteil. Doch genau die könnten einmal ihr Leben retten. Wir haben die Freiwillige Feuerwehr Prenzlauer Berg beim Training besucht.
Zitat der Woche
„Uns bereitet es große Sorgen, dass umherziehende Protestler*innen eine angebliche ‚Corona-Diktatur‘‘ herbeizureden versuchen“
heißt es in der ‚Demokratie-Erklärung‘ der Initiative Gethsemanekiez.
Was Menschen, die sich derzeit in Deutschland in einer Diktatur wähnen, wohl machen würden, befänden sie sich wirklich in einer? Ich sehe jedenfalls eindeutig, dass wir uns in einer Demokratie befinden. Und das sollten wir uns immer wieder bewusst machen. In diesem Sinne wünsche ich euch ein gutes Wochenende!
Eure Julia Schmitz
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