Freiwillige Feuerwehr

Ehrenamtlich Türen aufbrechen

von Sonja Koller 11. Februar 2022

Obwohl die Einsatzwagen oft von einem lauten Martinshorn begleitet werden, wissen die meisten wenig über die Feuerwehrkräfte in ihrem Stadtteil. Doch genau die könnten einmal ihr Leben retten. Wir haben die Freiwillige Feuerwehr Prenzlauer Berg beim Training besucht.


In einem Treppenhaus in der Schieritzstraße stehen zehn Männer und Frauen und versuchen, eine Tür aufzubrechen. Sie lassen sich Zeit, probieren verschiedene Hilfsmittel aus. Die Stimmung ist gelassen, die Anwesenden kennen sich gut, teilweise schon seit Jahrzehnten. Schafft jemand es nicht direkt, die Tür aufzubrechen, gibt es von den übrigen Anwesenden sowohl Tipps als auch ironische Sprüche. Die Leute gehören zur Freiwilligen Feuerwehr Prenzlauer Berg. Sie trainieren für den Notfall, wie sie auf verschiedene Arten eine Tür aufbrechen können. Jeden Donnerstagabend versammeln sich die Mitglieder zu einer Übung wie dieser. Als Freiwillige Feuerwehrkräfte übernehmen sie dieselben Aufgaben wie die Berufsfeuerwehr. Neben Türen aufbrechen löschen sie also auch Feuer, befreien Menschen aus misslichen Lagen und helfen bei Unwetterschäden.

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Berufsfeuerwehrkann Einsätze nicht decken

Wer bei der Feuerwehr anruft, landet zuerst in der Leitstelle Charlottenburg-Nord an einem Notrufannahmeplatz. Durch gezieltes Abfragen wird dann ein Stichwort generiert, das den Einsatzkräften der Feuerwehr übermittelt wird und ihnen sagt, was passiert ist. Letztendlich ist es einzig die Adresse des Einsatzortes die darüber entscheidet, ob die Berufs- oder die Freiwillige Feuerwehr ausrückt.

Weil bei der Berufsfeuerwehr manchmal nicht genügend Kräfte im Dienst sind, muss die Freiwillige Feuerwehr aushelfen, die beiden Gruppen treffen sich dann erst am Einsatzort. Mitunter müssen also zwei Feuerwehrautos samt Martinshorn von verschiedenen Feuerwehren zum Einsatzort fahren, um genug Einsatzkräfte zusammen zu bekommen.

Eigentlich ist Personalknappheit sowohl bei der Freiwilligen- als auch bei der Berufsfeuerwehr ein großes Thema, wie Wehrleiter Ronny Tenner erzählt. Manchmal reiche das Personal nicht, um „ein Auto voll zu bekommen“, wie die Einsatzkräfte sagen. Sechs bis sieben Personen sollte ein Team immer haben, dass zum Einsatzort fährt. Doch die Freiwillige Feuerwehr Prenzlauer Berg ist wohl eine der wenigen Wachen Deutschlands, die dieses Problem nicht hat. „Es gibt deutlich mehr Bewerber, als aufgenommen werden können. In manchen Monaten bekommen wir Anfragen im guten zweistelligen Bereich“ erzählt Tenner. Dabei gibt es insgesamt nur 47 aktive Mitglieder, acht davon sind Frauen. Das sei ein hoher Anteil im Vergleich zu anderen Stellen in Berlin, versichert Tenner.

Foto: Sonja Koller

 

Drei weitere Mitglieder werden heute in die Freiwillige Feuerwehr aufgenommen, zwei der drei neuen Mitglieder sind Frauen. Vor zwanzig Jahren, so Tenner, sei das noch verpönt gewesen. Einige Kollegen hätten damals noch behauptet, Frauen hätten bei der Freiwilligen Feuerwehr nichts zu suchen. Doch heute ist es auch der Charakter, der darüber entscheidet, ob jemand Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Prenzlauer Berg werden kann. „Man muss sich von jetzt auf gleich aufeinander verlassen können.“, sagt Tenner und spricht von Kameradschaft. „Es ist die Masse, die was bewegt. Das muss man wollen und leben.“

Wenn man die Feuerwache in der Schieritzstraße betritt, die an das Treppenhaus anschließt, in dem die Freiwilligen üben eine Tür aufzubrechen, steht man in der Halle mit dem vermeintlichen Star der Freiwilligen Feuerwehr: einem großen roten Feuerwehrauto. Daneben: viel Platz, zwei der vier Mauern sind dicht mit Uniformen behängt. In der Haupthalle stellen sich die Freiwilligen in drei Reihen auf. Alle tragen ihre Uniform. Die schwarze Hose mit dem leuchtenden Streifen, die passende Jacke, Schuhe und den gelben Helm. Zudem haben alle eine FFP2-Maske an, die sie momentan auch bei Einsätzen tragen. Wie im Sportunterricht wird durchgezählt, in drei Stationen lernen die Gruppen verschiedene Techniken.

 

Wenn Türen aufbrechen zum Training gehört

Im Umkleideraum zeigt ein Freiwilliger einer Gruppe von acht Menschen in voller Feuerwehrmontur, wie sie eine Tür mithilfe eines Hebelwerkzeugs namens Hooligentool aufbrechen können. Der Mann stellt der Gruppe Fragen, erzählt etwas über die Geschichte des Hilfsmittels und dröselt die Bestandteile auf.  Alle Teilnehmer*innen der Gruppe hören aufmerksam zu, obwohl die allermeisten schon wissen, wie es funktioniert. Das bestätigt auch Coline, eine Freiwillige Feuerwehrfrau, die seit sechs Jahren dabei ist. „Aber trotzdem ist es gut, immer wieder zu üben. Außerdem werden hier auch neue Geräte inspiziert“. Die Freiwilligen helfen sich  in der Übung gegenseitig und probieren das Tool an verschiedenen Türen aus.

Das Miteinander ist herzlich, die Feuerwehrkräfte albern miteinander herum, sind aber trotzdem konzentriert. Obwohl die Mitglieder nur eine Aufwandsentschädigung für ihre Arbeit bekommen, merkt man, dass sie es ernst meinen. Denn ein Drittel der Mitglieder beschäftigt sich tatsächlich auch im Tagesjob mit allem rund um das Thema Feuer und arbeitet bei der Berufsfeuerwehr. Bei den Übungen am Donnerstagabend werden sie deshalb besonders geneckt, sie müssten diese am routiniertesten absolvieren, meist ist das auch der Fall. Stellen sie sich aber ungeschickt an, wird zusammen gelacht.

 

Nach der Feuerwehr kommt niemand mehr

Die drei Neuen haben die wöchentlichen Übungen nun schon seit drei Monaten begleitet, durften dabei aber nichts anfassen. Ab heute können sie endlich in die Uniform schlüpfen und den intensiven Teil der Ausbildung beginnen. In der Feuerwehrschule lernen sie für zehn Wochen jeden zweiten Tag abends sowie am Wochenende was es braucht, um Feuerwehrkraft zu sein. Das aber ist nur der erste Schritt. Danach folgt eine Ausbildung im Rettungsdient, eine medizinische Untersuchung und auch ihr Vorstrafenregister wird geprüft.

Manche Feuerwehrkräfte aber fangen schon im Kindesalter an, sich zu engagieren. Florian etwa ist Mitte 30 und schon seit 25 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv. Angefangen hat er in seiner Kindheit in Brandenburg. Einsätze fahren dürfen die Freiwilligen in der Jugendabteilung noch nicht, dafür erlernen sie alles Nötige für den Einsatz spielerisch.

Foto: Sonja Koller

 

Florian findet wie Tenner, dass sich das Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr auf dem Land und in anderen Bundesländern spürbar von Berlin unterscheidet. Eine Feuerwehrkraft  kann am Land etwa keine*n Spezialist*in rufen, wenn sie*er nicht weiterweiß. „Man sagt immer, nach der Feuerwehr kommt niemand mehr. In Brandenburg ist das wirklich so.“ Zudem komme in Berlin mehr Bürokratie dazu. Eine Mitgliedschaft in einem anderen Bundesland zu bekommen sei viel leichter, beteuert Tenner.

Die Arbeit bei der Freiwilligenfeuerwehr sei ein großer Spagat, wie Tenner sagt. Obwohl es sich um ein Ehrenamt handelt, müssen die Mitglieder „massiv Zeit investieren“. Neben den Schichten sollen noch Ausbildungen gemacht werden, auch die Anwesenheit jeden Donnerstag ist obligatorisch. Zehn Stunden müssen die Feuerwehrkräfte monatlich mindestens für das Ehrenamt aufbringen. Das sei häufig sowohl eine familiäre als auch eine berufliche Herausforderung, so Tenner.

 

Freiwillige Feuerwehrkräfte müssen helfen dürfen

Wenn ein Einsatz besonders groß ist und es mehr Kräfte bedarf, als bei der Schicht in der Feuerwache sind, werden die Freiwilligen über einen Pieper kontaktiert. Sie haben dann 20 Minuten Zeit, um sich auf der Wache zu melden. Auch, wenn sie gerade eigentlich Arbeiten. Coline erzählt, dass das bis jetzt bei keinem einzigen ihrer Arbeitgeber*innen ein Problem gewesen sei. Sie sehen es sogar sehr positiv. So sei es bei den meisten, erzählt auch Tenner. Zudem seien Arbeitgebe*innen gesetzlich dazu verpflichtet, die freiwilligen Feuerwehrkräfte im Ernstfall freizustellen.

Coline erzählt, dass sie zwei bis drei Mal monatlich eine Schicht schiebt. Zwölf Stunden dauern diese, ausrücken müsse sie dabei fast immer. In den sechs Jahren, in denen sie sich bereits bei der Freiwilligen Feuerwehr in Prenzlauer Berg engagiert, habe es nur zwei Schichten gegeben, in denen kein Anruf gekommen sei. Bei etwa einem Viertel der Einsätze, so schätzt Coline, handele es sich um einen Brand, sei er noch so klein. Aber auch wegen einer Ölspur, zum Türöffnen und bei Sturm würden sie häufig gerufen. Wichtig sei auch Erste Hilfe. Oft seien die Feuerwehrkräfte noch vor der Rettung vor Ort und müssten sich dann um Verletzte kümmern. „Ich reanimiere ständig“ erzählt Coline.

„Der größte Feind bei einem Einsatz ist Hektik“, meint Florian. Obwohl er versuche, tief durchzuatmen, um das beim Einsatz zu verhindern, müsse es manchmal einfach sehr schnell gehen. Etwa wenn die Feuerwehrkräfte Atemschutzmasken tragen müssen. Coline hat am meisten Respekt vor Einsätzen, bei denen Menschen in der Wohnung sind. „Die Ängste sind ganz individuell“, sagt sie. Florian etwa spricht davon, dass er Einsätze bei Autounfällen besonders schlimm finde, bei denen er Kindersitze auf der Rückbank entdecke, denn er sei Vater.

Foto: Sonja Koller

 

„Die Menschen haben das logische Denken verlernt“

Christian engagiert sich bereits seit 25 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr – und das durchgehend in der Feuerwache Prenzlauer Berg. Früher, so sagt er, sei er ständig heiß auf Einsätze gewesen, wollte das Erlernte schnell anwenden. Jetzt sei er auch froh, „wenn nichts passiert. Dann geht’s allen gut“. Das habe aber lange gedauert.

Seit Christians Anfängen bei der Freiwilligen Feuerwehr in Prenzlauer Berg aber hat sich nicht nur seine persönlich Einstellung verändert. Denn die Einsätze, für die die Freiwillige Feuerwehr heutzutage zur Hilfe gerufen wird, seien ganz andere als noch vor 25 Jahren. „Der Mensch wird hilflos. Die Leute wissen sich weniger selbst zu helfen.“ Eine große Veränderung sollen auch die Rauchmelder gebracht haben. Neben weniger Bränden sorgen sie auch für mehr Fehlalarme – und mehr Einsätze, bei denen es gar nichts zu löschen gibt. Trotzdem ist die Freiwillige Feuerwehr unverzichtbar. Denn wenn Menschen sich nicht mehr selbst zu helfen wissen, ist es umso wichtiger, dass sie unter 112 jemanden erreichen können, der es tut.

 

Titelbild: Sonja Koller

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