Monika Meiser

„Ich wollte nie weg“

von Julia Schmitz 4. Januar 2022

Fast ihr ganzes Leben hat Monika Meiser in Prenzlauer Berg verbracht, seit knapp fünf Jahrzehnten wohnt sie im selben Eckhaus im Kollwitzkiez. Ein Besuch bei der Künstlerin, die analytisch denkt und abstrakt malt.


Dies ist ein Text aus unserem Schwerpunkt
„Leute im Kiez“


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An dem Tag zwischen den Jahren, an dem ich mit Monika Meiser verabredet bin, liegt Prenzlauer Berg in grauen Nebel getaucht, auch am Mittag ist es noch nicht wirklich hell geworden. Doch in ihrer Altbauwohnung mit Blick über den Kollwitzkiez regieren die Farben: Auf den Tischen im Atelier liegt ein Sammelsurium aus kleinen Aquarellen in satten Tönen, bunten Papierstreifen, Pinseln und Farbtöpfen. Meisers großformatige Malereien hängen an den Wänden und stehen in dichten Reihen auf dem Fußboden; erst kürzlich hat sie ihre Arbeiten aus einer beendeten Ausstellung in Brandenburg nachhause geholt. Jede Ecke, jede Wand in dieser Wohnung ist von Kunst geprägt; wir sitzen zwischen den Bilderrahmen in Schaukelstühlen und trinken grünen Tee aus getöpferten Tassen.

Dass ihr Zuhause diese Behaglichkeit ausstrahlt, mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass Monika Meiser hier seit fast fünf Jahrzehnten wohnt. 1976 zog sie, da war sie gerade 30 geworden, in ihre erste eigene Wohnung in der Kollwitzstraße. Doch im Prenzlauer Berg lebt sie mehr oder weniger schon immer: 1946 wurde sie in Schwerin geboren, wohin es die Eltern nach dem Krieg geführt hatte; 1951 kam die Familie nach Ostberlin und fand eine Wohnung in der „Grünen Stadt“ nahe der Greifswalder Straße.

An ihre Kindheit erinnert sich Meiser gerne zurück, ebenso an die Schulzeit auf der Erweiterten Oberschule Käthe Kollwitz. Ende der 1950er Jahre war Deutschland von politischen Machtspielen geprägt, an vielen Schulen der Stadt wurde eine dogmatische Linie gefahren – nicht so aber in der Pasteurstraße: Das Schulklima sei sehr tolerant gewesen und die Lehrer*innen hätten den Jugendlichen ihren Raum gelassen. „Wir waren natürlich alle mehr oder weniger links, aber durchaus kritisch eingestellt“, erzählt Meiser lachend. In der 11. Klasse habe man sogar gemeinsam im Unterricht die Thesen von Robert Havemann zum Thema Freiheit im Sozialismus offen diskutiert: „Eine Freiheit, die jedem die Möglichkeit lässt, nach seinem Willen und nach seinen Wünschen zu entscheiden“, hatte der ehemalige Widerstandskämpfer und Naturwissenschaftler Anfang der 1960er Jahre postuliert und damit politischen Sprengstoff gezündet; es folgte der Ausschluss aus der SED das Berufsverbot.

 

„Im Grunde wie Ausland“

Und wie hat sie, als 15-Jährige, den Bau der Berliner Mauer erlebt? „Zu der Zeit war ich im Ferienlager und habe nichts mitbekommen. Als ich zurück nach Berlin kam, stand sie schon. Ich war damals aber ein ganz rotes Mädchen und habe mir keine Fragen gestellt“, erzählt sie. Weil ihre Familie nicht aus Berlin stammte, hätte sie die Teilung zwischen dem Ost- und dem Westteil der Stadt nicht betroffen, auch vor 1961 war sie nur wenige Male im Westen gewesen: „Im Grunde war das wie Ausland für mich“.

1965 macht Meiser Abitur, beginnt ein Mathematikstudium, weil sie in diesem Fach in der Schule sehr gut war. Leidenschaftlich ist sie nicht bei der Sache, eigentlich möchte sie wechseln, weiß aber nicht wie und wohin. Es folgen zwölf Jahre als Programmiererin in einem medizinischen Institut, das epidemiologische Forschung verarbeitet. Das strukturierte, analytische Denken liegt ihr – und passt zu ihren abstrakten Malereien von heute.

Doch das war nicht immer so. Ende der 1970er Jahre, da wohnt Monika Meiser bereits im Kollwitzkiez, beginnt sie zielstrebig zu zeichnen, später auch zu fotografieren. Immer gegenständlich, vor allem Menschen auf der Straße und Gebäude; der Prenzlauer Berg ist damals bereits von Verfall gezeichnet, mit abgeplatztem Stuck, Rissen in den Fassaden, kargen Hinterhöfen. „Die unverputzten, kaputten Fassaden waren fotografisch unheimlich spannend. Was nicht bedeutet, dass ich das alles schön fand! Wir hatten ziemlich zu tun mit der Morbidität der Bausubstanz damals, haben als Hausgemeinschaft ordentlich was gestemmt. Trotzdem sind die Bilder keine Gesellschaftskritik.“ 1982 fertigt sie ihre erste Radierung auf Grundlage einer der Fotografien an, es folgen etliche weitere. Doch 1985 ist plötzlich Schluss. „Viele denken, ich hätte mit den Fassadenbildern aufgehört, weil nach und nach die Häuser saniert wurden. Das stimmt aber nicht. Es ging einfach nicht mehr. Mit der Aufgabe meines Berufs hatte ich mich an dem Thema abgearbeitet.“

Monika Meiser

Monika Meiser, „Hauseingang Husemannstraße“, 1983 / © Monika Meiser

 

Der alternative Prenzlauer Berg

Prenzlauer Berg ist zu der Zeit ein Schmelztiegel der alternativen Kunstszene – zumindest will es der Mythos so. Rückblickend werde sicherlich vieles aufgebauscht, ist Meiser überzeugt; auch die Erinnerung sei im Nachhinein ja oft verklärt. „Ich habe aber sehr gerne hier gelebt, es war nicht spießig, mich hat es nirgendwo anders hingezogen. Überall waren Freunde und Bekannte, es gab einen großen kreativen Austausch.“ Doch langsam kippt die Stimmung. „In dieser Zeit wurde das Kritische deutlicher. Es wurde sehr viel diskutiert, wir haben uns gerieben an dem Land. Man kann Menschen einfach nicht über 40 Jahre lang einsperren, das funktioniert nicht.“

Immer mehr Leute, vor allem jüngere, verlassen das Land, weil sie hier keine Perspektive sehen; sie fliehen zu Fuß über die „Grüne Grenze“ zwischen Ungarn und Österreich oder zelten vor der Botschaft der Bundesrepublik in Prag. Die DDR blutet langsam aber sicher aus. Doch Meiser bleibt. „Ich wollte nie weg. Aber ich habe es auch verstanden, wenn andere weggegangen sind. In diesem Land waren alle Plätze besetzt, die Jüngeren konnten nicht nachrücken. Für mich wäre es aber eine Lüge gewesen, rüber zu gehen, denn ich hatte ja genügend Möglichkeiten. Hätte die DDR noch zehn Jahre länger existiert, wäre das vielleicht anders gewesen.“

Monika Meiser

Im Atelier von Monika Meiser / © Monika Meiser

 

Der heiße Herbst 1989

1989 heizt sich die Stimmung in Ostberlin auf. „Ich war überall ein bisschen dabei, habe zum Beispiel Listen vom ‚Neuen Forum‘ versteckt und mit anderen Künstler*innen aus dem Künstlerverband Plakate für die große Demonstration auf dem Alexanderplatz am 4. November gemalt; einmal bin ich bei einer Mahnwache vor der Gethsemanekirche in eine Polizeikette geraten, konnte aber über einen Hinterhof in der Stargarder Straße flüchten. Damals haben sie etliche von unseren Kollegen verhaftet. Wir hatten große Angst, dass der Staat zu drastischen Mitteln wie in China greift.“ Dass die „Friedliche Revolution“ ihren Namen verdient hat, sei rückblickend noch immer erstaunlich – es hätte auch deutlich anders ausgehen können. Am 9. November ist sie zuhause, wundert sich zwar über die vielen Autos und Menschen auf der Straße, geht dann aber ins Bett. In den Westen fährt sie erst ein paar Tage später gemeinsam mit Freunden.

Der DDR trauert die Künstlerin nicht hinterher, doch das Kritische hat sie behalten: „Das Land sollte das Schaufenster des Ostens sein – und uns ging es ja auch nicht schlecht. Es gab zwar von jeder Ware alles nur einmal, lache ich immer, aber es war dadurch auch schön übersichtlich. Heute tue ich mich manchmal noch immer schwer mit dem Überfluss.“ Für ihre künstlerische Arbeit bedeutet der Fall der Mauer eine Fülle an neuen Möglichkeiten. Der eigentliche große Umbruch, erzählt sie, sei allerdings bereits 1985 erfolgt, als sie ihren Beruf als Mathematikerin aufgab und in die Selbstständigkeit als Künstlerin wechselte. Doch die Zahl der Ausstellungen, in denen Meiser vertreten ist, steigt Anfang der 1990er Jahre beträchtlich – und hält bis heute an.

Von schwarz-weiß ist sie längst zu einer Fülle an Farben gewechselt, von der Gegenständlichkeit in die Abstraktion. Ihre kleinformatigen Collagen und Aquarelle, aber auch die größeren Malereien zeichnen sich durch üppige Pinselstriche aus, die miteinander zu tanzen scheinen. In Prenzlauer Berg sind die grauen Brandwände längst pastellfarben gestrichenen Fassaden gewichen – Monika Meisers Arbeiten spiegeln diese Entwicklung in gewissem Sinne wieder. Und wer könnte es auch besser darstellen als eine Künstlerin, die ihr ganzes Leben hier verbracht hat?

 

Titelbild: Julia Schmitz

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