Falsche oder fehlende Stimmzettel, improvisierte Wahlkabinen und endlose Warteschlangen: Der Superwahlsonntag verlief auch in Prenzlauer Berg chaotisch. Wie lässt sich das erklären?
Dies ist ein Text aus unserem Schwerpunkt
Wahljahr 2021
Als Landeswahlleiterin Petra Michaelis am Montagmorgen im Roten Rathaus vor die Presse trat, wirkte sie zerknirscht. Das mag auf fehlenden Schlaf zurückzuführen sein, denn erst gegen halb sechs Uhr morgens war das vorläufige Ergebnis der Bundestagswahl bekanntgegeben worden; die Zahlen für das Abgeordnetenhaus, die Bezirksparlamente und den Volksentscheid folgten noch später. Es könnte aber auch an den etlichen Pannen gelegen haben, die im Verlaufe der Wahl in den Berliner Bezirken aufgetreten waren – vor allem in Pankow, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg.
„Wir haben bereits im Frühjahr 2020 mit der Vorbereitung dieses Wahltags begonnen. Ich war zuversichtlich, dass wir personell und technisch gut ausgestattet sind“, so Michaelis. Ungefähr 34.000 Wahlhelfer*innen habe man in diesem Jahr eingesetzt, das seien fast 13.000 mehr als bei vergangenen Wahlen. Auch die Zahl der Wahllokale sei erhöht worden, um die Abstimmung – mit drei Wahlen und einem Volksentscheid an einem Tag die historisch umfangreichste Wahl Berlins – reibungslos durchführen zu können.
Keine Stimmzettel mehr
Doch reibungslos verlief es dann nicht gerade. Im Laufe des Tages häuften sich die Berichte von ungewöhnlichen Vorkommnissen an den Wahlurnen: So wurden in Friedrichshain-Kreuzberg teilweise die Wahlzettel für das Abgeordnetenhaus mit den Kandidat*innen aus Charlottenburg-Wilmersdorf ausgeteilt. In manchen Wahllokalen gingen die Zettel ganz aus; diese mussten zeitweise geschlossen werden, weil der Nachschub aufgrund des Berlin-Marathons nicht durch die Sperrungen kam. Wahlhelfer*innen bauten aus Tischen und Stühlen improvisierte Wahlkabinen, um die Wähler*innen nicht allzu lange warten lassen zu müssen. Doch auch das klappte nicht immer: Bis zu drei Stunden mussten einige an der Grundschule am Teutoburger Platz anstehen, bis sie ihre sechs Kreuzchen machen konnten.
18.30Uhr: Zahlreiche Wahlberechtigte warten vor dem Wahllokal 815/814 in der Hauptstadt weiter auf eine Möglichkeit zur Stimmabgabe – das Wahllokal hat keine Stimmzettel mehr und wartet auf Lieferung pic.twitter.com/fb3g5ovvmP
— Matthias Thieme (@thieme_matthias) September 26, 2021
Manchmal geschah das erst weit nach 18 Uhr – der Zeitpunkt, an dem die Wahllokale offiziell schließen. „19.10 Uhr, gleich geschafft“ schrieb ein Mitglied unserer Nachbarschaftsgruppe auf Facebook und postet ein Foto der Warteschlange in einer Schule auf der Greifswalder Straße. „Schliemann Gymi 1 Std 15 Minuten am Abend. Kurz nach 19 Uhr waren alle Wähler durch“, schrieb jemand anderes.
Welche Erklärung hat Petra Michaelis dafür? Erst einmal keine. Die Wartezeiten wertet sie zunächst als „im Bereich des Normalen“ , korrigiert sich kurz darauf aufgrund einer Nachfrage aber: Für gewöhnlich müsse man in einem Wahllokal nicht lange anstehen. Man könne es aber niemandem verübeln, der mit fünf Wahlentscheidungen etwas länger als üblich in der Wahlkabine gebraucht hätte. Auch dass es in manchen Wahllokalen zeitweise keine Stimmzettel mehr gab, scheint sie zu überraschen: Man habe jeden Wahlort mit ausreichend Zetteln für die Wahlberechtigten ausgestattet. Die rund 1 Millionen Berliner*innen, die Briefwahl beantragt hatten, seien da schon rausgerechnet gewesen. Was das Durcheinander ausgelöst habe, müsse demnächst mit den Bezirkswahlleiter*innen der Bezirksämter besprochen werden, die für die Durchführung vor Ort zuständig sind. Auch dass sich kurz vor der Wahl sowie am Sonntag selbst zahlreiche Wahlhelfer*innen spontan krank gemeldet haben, könnte ein Grund sein.
Wiederholung der Wahl notwendig?
Könnte die Wahl angefochten oder sogar wiederholt werden müssen? Wie relevant ist die Tatsache, dass einige Wähler*innen ihr Stimmrecht aufgrund der langen Wartezeiten nicht wahrnehmen konnten und wieder nach Hause gingen? Welchen Einfluss hatten die Hochrechnungen, die ab 18 Uhr auf jedem Smartphone auftauchen – einem Zeitpunkt, zu dem etliche Wähler*innen noch nichtmal in der Nähe der Wahlurne waren? Die Wahl könne nur angefochten werden, wenn es zu „mandatesrelevanten Fehlern“ gekommen sei. Ob dies der Fall sei, müsse ebenfalls erst geklärt werden. Laut dpa sieht der Berliner Senat bisher aber keinen Anlass für eine Wiederholung der Wahl.
Die Landeswahlleiterin wird auf jeden Fall noch lange nach dem Superwahlsonntag mit diesem zu tun haben. Beizeiten müsse man auch über ihren Rücktritt nachdenken, sagte sie am Montag. „Wenn die Wählerinnen mit der Wahl unzufrieden waren, dann bin auch ich unzufrieden.“
Update vom 29. September: Am Mittwoch gab die Landeswahlleiterin ihren Rücktritt bekannt.
Titelbild: Die Landeswahlleiterin Petra Michaelis (Mitte) / Foto: Julia Schmitz
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