Das Café Morgenrot ist einer der verbliebenen Orte in Prenzlauer Berg, an denen noch die Fahnen für linke Subkultur hochgehalten werden. Doch die Pandemie hat Wunden hinterlassen.
Die Türen des Morgenrots sind jetzt wieder weit geöffnet, der Kronleuchter an der Decke vor dem Tresen strahlt und im Innenraum läuft punkige Musik. Graffiti und unzählige Aufkleber an den Tür- und Fensterrahmen erzählen, dass es im Morgenrot um mehr geht als den Getränkeausschank oder die neu auf die Karte gekommenen frischen veganen Waffeln mit veganer Sahne. „Good Night – white Pride“ heißt es auf den Stickern oder auf einem der vielen Plakate: „Fährstraße 5 BLEIBT – linke Projekte verteidigen“. Nichtsdestotrotz freuen sich die Stammgäste und alle anderen, sich endlich wieder hier zu treffen und auszutauschen. Sie können den Sommer und die zurückgewonnenen Freiheiten im Kiez genießen.___STEADY_PAYWALL___
Es ist noch nicht lange her, da sah es düster aus für das Morgenrot, weiß Michi. Der 38-jährige Kunsttherapeut arbeitet schon seit zehn Jahren für das Café: hinter dem Tresen, in der Plenum AG oder bei der Personal AG. Der zweimalige Lockdown hat den Zusammenhalt des ursprünglich aus 30 Frauen und Männern bestehenden Kollektivs auf die Probe gestellt. „Nach der ersten Schließung im Frühjahr 2020 lag auch das Kollektiv zunächst einmal brach“, erzählt Michi.
Normalerweise gibt es zahlreiche Ausstellungen, Lesungen und politische Diskussionen im Morgenrot. Davon fand wegen der Einschränkungen durch die Pandemie kaum noch etwas statt. Der Sommer im vergangenen Jahr konnte zunächst einiges ausgleichen. Die Einnahmen stiegen wieder, auch wenn Abstriche gemacht werden mussten. Das etablierte Konzept der Selbstbedienung war wegen der Hygiene-Auflagen nicht mehr möglich. So konnte am Wochenende das beliebte Frühstücksbuffet nicht aufgebaut werden, das Essen wurde stattdessen auf Platten serviert. „Die Gäste nahmen es dankbar an“, erinnert sich Michi.
Das Kollektiv setzte dabei ein Hygienekonzept in Eigenregie um und der gemeinnützige Verein Exil e.V., der seit 20 Jahren hinter dem Café Morgenrot steht, konnte 2020 wenigstens eine queere Ausstellung auf die Beine stellen: Figurative Malerei, bei der die Schaffung von Freiräumen für Homosexuelle aus Brasilien thematisiert wurde. Mit ausreichend Abstand und einer Begrenzung der Besucherzahl war das trotz Corona möglich.
Im Oktober wurde es dann deutlich schwieriger. Die Corona-Inzidenz schoss nach oben, das Morgenrot musste komplett schließen. Konflikte und interne Probleme innerhalb des Kollektivs verschärften sich daraufhin wie unter einem Brennglas. Mitarbeiter mussten auf ihr Gehalt warten, es wurde kein regelmäßiger Lohn mehr ausgezahlt. Die staatlichen Überbrückungshilfen kamen nur schleppend.
„Zwischenzeitlich war es sehr kritisch, es wurde existenzbedrohend“, sagt Caspar, der seit fünf Jahren hier arbeitet. Weil Freunde halfen, Spendengelder eingingen und die Mitarbeitenden zudem im Januar einen Außer-Haus-Verkauf mit Heißgetränken starteten, konnte sich das Morgenrot über Wasser halten. Immerhin 10.000 Euro hätten Menschen für den Erhalt des Cafés und der Arbeitsplätze gespendet, sagt der 30-jährige und freut sich über die enorme Hilfe und Treue der Gäste.
Erleichterung nach dem Ende des Lockdowns
Die insgesamt weniger werdende Arbeit und die ungewisse Zukunft führten letztlich dann aber doch dazu, dass von den 30 Leuten des Morgenrots heute nur noch 20 aktiv dabei sind. „Dadurch, dass wir ein sehr buntes Kollektiv sind und die Vorstellungen sehr unterschiedlich sind, merkte man in dieser Extremsituation, dass wir nicht mehr wussten, wie man sich aufstellen sollte. Unsere Struktur ist wie in AGs aufgebaut und Vieles blieb einfach liegen. Es wurde offen, wie fragil sowas sein kann. Unser politisches Anliegen war es ja auch, darauf aufmerksam zu machen, dass es anderen schlechter geht als uns.“ Dazu gehört beispielsweise die drohende Räumung anderer Gebäude in Berlin. Denn dem Team vom Morgenrot geht es ganz klar um die Vernetzung mit anderen linken Projekten.
Ein anderes Anliegen des Kollektivs war es zu zeigen, dass Kritik an Corona-Maßnahmen von rechter Seite instrumentalisiert wurde. Das Kollektiv hat selbst die Einschränkungen für die Gastronomie nicht in Frage gestellt. „Aber, was man unterscheiden muss: es heißt nicht, wenn man den Maßnahmen zustimmt, dass man der Regierung zustimmt. Es wäre aber ein falscher Aktivismus gegen die Maßnahmen anzugehen, das darf eben nicht verwechselt werden,“ betont Caspar.
Im Morgenrot packen mittlerweile alle wieder mit an. Dienstags bis sonntags ist bis spät in die Nacht geöffnet. „Das Bedürfnis nach Austausch ist so groß, so dass es mehr Nachfrage geben wird, als vor dem Lockdown“ ist Caspar sicher. Alle zwei Wochen soll es außerdem Informationsveranstaltungen geben. „Kulturell muss es aber erst einmal wieder anlaufen“, meint der 30-Jährige. Auf dem Plan stehen auch Solidaritätsveranstaltungen für bedrohte Projekte und Geflüchtete – und der feste Wille, dass ein Teil der politischen Arbeit mit der Gastronomie auch in Zukunft verbunden bleibt.
Text & Titelbild: Steve Neuwirth