Ladipo

Die Häuser denen, die drin wohnen

von Julia Schmitz 12. Mai 2021

Braucht Prenzlauer Berg noch einen Roman über Verdrängung? Ja, meint Eva Ladipo – und legt mit „Räuber“ eine ebenso humorvolle wie brandaktuelle Geschichte vor.


Manchmal erinnert der Alltag in Prenzlauer Berg an den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Regelmäßig werden Häuser in der Nachbarschaft verkauft  – an einen reichen Investor aus dem Ausland oder eine anonyme Immobiliengesellschaft. Die Mieter*innen tun sich zusammen, die Bezirkspolitiker*innen sichern ihre Unterstützung zu und sind dann oft doch machtlos; manchmal wird das Vorkaufsrecht ausgeübt, manchmal funktioniert auch das nicht. Nicht selten kommt es als Folge des Verkaufs zu horrenden Mieterhöhungen oder Schikanen der Bewohner*innen, die diese zum „freiwilligen“ Auszug drängen sollen. Und immer gibt es Protestaktionen, Bettlaken werden mit kämpferischen Sprüchen aus den Wohnzimmerfenstern gehängt: „Das ist unser Haus!“ Literarisch wurde dieses klassische Gentrifizierungs-Szenario in den letzten Jahren häufiger verarbeitet, etwa bei Synke Köhler oder Anke Stelling.

Der Kampf um das eigene Zuhause steht auch im Mittelpunkt von Eva Ladipos neuem Roman „Räuber“. Erzählt wird die Geschichte von Olli Leber, einem ungelernten Bauarbeiter Mitte zwanzig. Die kleine, ziemlich baufällige Wohnung kurz hinter den S-Bahn-Gleisen an der Prenzlauer Allee bewohnt er zusammen mit seiner Mutter, der Vater ist kurz zuvor verstorben. Und als wäre es nicht schon genug, mit der Trauer über den Verlust zurechtkommen zu müssen, liegt eines Tages auch noch ein Brief der Hausverwaltung im Kasten: Die „Europäische Wohnen“ hat den gesamten Häuserblock gekauft und möchte diesen nun umfassend sanieren. Weil zudem die Sozialbindung der Siedlung vor kurzem abgelaufen ist, sieht sich Olli bereits mit einer viel höheren Miete konfrontiert, die sich seine von Hartz IV lebende Mutter sicher nicht wird leisten können.
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„Bei ihrem Umzug vor elf Jahren war die Gegend ein zurückgebliebenes Armenviertel gewesen. Niemand mit Geld hatte jenseits des S-Bahn-Rings wohnen wollen. Die Ringbahntrasse war die neue Mauer, sie hatte arm und reich zuverlässig voneinander getrennt. Dass diese neue Mauer noch schneller fallen sollte, als die alte, hätte niemand für möglich gehalten. Diese verdammten Gleise hatten ihn in Sicherheit gewiegt.“

 

Was kann man tun?

Sollten sie die Wohnung verlassen müssen, wäre es bereits das dritte Mal, dass sie immer weiter aus der Innenstadt verdrängt werden. Früher hatten sie in der Choriner Straße und später in einer dunklen Erdgeschosswohnung in der Dunckerstraße gewohnt, bevor die Nachwende-Euphorie die kaputten Altbauten in pastellfarbene und für sie unbezahlbare Zuckertörtchen verwandelte. Olli Leber hat berechtigterweise die Schnauze voll. Und sucht Anschluss zu anderen Mietern in der Siedlung. Was können sie überhaupt tun?

„Wenn uns der rechtliche Weg verschlossen bleibt, müssen wir den politischen gehen. Wir müssen Verbündete finden, […] wir müssen in die Zeitung kommen und die Europäische Wohnen und ihre Handlanger im Bezirksamt an den Pranger stellen. Wenn die das Gefühl haben, dass ihr Ruf auf dem Spiel steht, dann werden sie sich nicht trauen, die Mieten ins Astronomische zu steigern.“

Eine Verbündete findet Olli mehr aus Zufall in der Journalistin Amelie Warlimont, die ihn vor einer Weile bereits zum Thema Verdrängung interviewt hatte und sich jetzt – als frisch gebackene zweifache Mutter – in ihrer schicken Eigentumswohnung an Kollwitzplatz langweilt. Sie hilft ihm dabei, den Brief aufzusetzen, mit dem er das Vorkaufsrecht für das Haus und die zusammengewürfelte Truppe der Mieter*innen einfordert – auch ohne zu wissen, wie er die Kaufsumme überhaupt aufbringen soll. Und sie macht ihn auf den ehemaligen Senator Falk Hagen aufmerksam, der seinerseits den Verkauf der Wohnungsbaugesellschaften in die Wege geleitet hat. Könnte man ihn nicht irgendwie unter Druck setzen?

 

Ausverkauf der Stadt

Für den charmanten, aber gleichzeitig skrupellosen Falk Hagen habe tatsächlich Klaus Wowereit Modell gestanden, erzählt Eva Ladipo. Die Autorin und Journalistin wohnte Anfang der 2000er in Berlin und verfolgte hautnah, wie der ehemalige Regierende Bürgermeister mit seinem charmantem Lächeln die Mietpolitik der Stadt nachhaltig schädigte. Mittlerweile arbeitet sie seit einigen Jahren in London, wo die Verdrängung aus der Innenstadt bereits ein alter Hut ist. „Viele Erwachsene leben hier noch in Wohngemeinschaften, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten könnten“, sagt sie. „Und wenn wir nicht aufpassen, herrschen in Berlin in ein paar Jahren ähnliche Zustände.“

Ihr Roman kann also durchaus als Warnung gelesen werden – oder als Aufforderung, nicht tatenlos zuzusehen. Vor ungefähr zwei Jahren begann sie mit dem Schreiben, wurde währenddessen immer wieder von der Realität ein-, beziehungsweise überholt: Der Mietendeckel für Berlin kam und wurde kürzlich wieder kassiert; derzeit läuft außerdem die stadtweite Aktion „Deutsche Wohnen enteignen“. Olli Leber hätte das Bürgerbegehren ziemlich sicher unterschrieben, Amelie – obwohl nicht vom Ausverkauf bedroht – wahrscheinlich ebenfalls.

Foto: Eva Ladipo

 

Journalistin als Sprachrohr des kleinen Mannes?

Dass einiges von ihr selbst in der engagierten Journalistin steckt, leugnet Eva Ladipo nicht. Amelie will mit ihrem Einsatz für einen Bauarbeiter, den sie kaum kennt, auch etwas gut machen: In ihrer aktiven Zeit als investigative Reporterin hatte sie mit einem Kollegen versucht, die Mauscheleien von Falk Hagen aufzudecken, war jedoch gescheitert – und damit auch an den Ansprüchen an sich selbst, mit ihrer Arbeit Missstände in der Politik aufzudecken. Die Journalistin als Sprachrohr des „kleinen Mannes“? Es gibt eine Parallele, so die Autorin: „Als die Sache mit dem Brexit passierte, habe ich gedacht: Warum haben wir das nicht früher erkannt und mit den Menschen darüber gesprochen? Niemand hat ja damit gerechnet, dass die Briten sich wirklich freiwillig aus der EU raus wählen.“

Nach einem etwas holprigen Einstieg gelingt es Eva Ladipo auf knapp 600 Seiten, aus einer allseits bekannten Situation eine Geschichte zu entwickeln, die Kritik an der Politik, halbillegalen Mietaktivismus und persönliche Dramen mit einer Prise Humor verbindet. Die Vorstellung, dass es ein Einzelner tatsächlich erfolgreich mit einer Wohnungsbaugesellschaft aufnehmen könnte, wirkt zwar etwas aus der Luft gegriffen, hat jedoch durchaus seinen Reiz. Die Autorin verzichtet außerdem weitgehend darauf, die gängigen Klischees über Latte Macchiato schlürfende Muttis vom Kollwitzplatz auszuschlachten, was den Roman angenehm von anderen Büchern über den Kiez abhebt.

 

Auf der Höhe der Zeit

Manche der Figuren sind nicht besonders tiefgründig gezeichnet, oft bleibt ihre Charakterisierung stereotyp zugunsten einer vorangetriebenen Handlung. Doch wir begegnen ihnen auf Augenhöhe – und werden gleichzeitig schmerzhaft daran erinnert, welche Schneise sich durch die verschiedenen Gesellschaftsschichten unserer Stadt zieht. Denn obwohl Amelie einen Ausflug in die Welt der Niedriglohnarbeiter*innen unternimmt, indem sie eine Affäre mit Olli anfängt und dieser sich wiederum in die glitzernden Lebensumstände des ehemaligen Senators einschleicht, werden sich ihre Wege ebenso schnell wieder trennen, wie sie sich gekreuzt haben. Ein Roman, in dem etliche Themen ineinander verwoben sind – und der genau deswegen absolut auf der Höhe der Zeit ist.

„Räuber“ von Eva Ladipo ist im Blessing Verlag erschienen. Das gebundene Buch hat 544 Seiten und kostet 24 Euro.

Titelbild: Kristina Auer

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