Hinter den Kulissen

Journalismus am Limit

von Redaktion 22. April 2021

Manchmal werden Journalist*innen mit Situationen konfrontiert, die nicht in der Jobbeschreibung stehen oder finden ihre Gesprächspartner*innen an ungewöhnlichen Orten. Heute erzählen Christina Heuschen und Katharina Angus von ihrer Arbeit.


Ich sitze auf einem Sofa in Prenzlauer Berg, habe eine Kaffeetasse in der Hand. N. sitzt neben mir. Er ist Musiker und ich möchte ihn interviewen. Mein Handy liegt vor uns auf dem Tisch und nimmt unser Gespräch auf. Eine Situation, die ich gewohnt bin. Etliche Male habe ich mich bei einem Getränk mit unterschiedlichen Menschen unterhalten, um später einen Artikel über sie und ihre Arbeit zu schreiben. Doch im Fall dieses Musikers sollte das Interview ganz anders enden.

Ich möchte von ihm wissen, warum er Musiker geworden ist. In kurzen Sätzen erzählt er mir davon, schnell hakt er das Thema ab. Stattdessen fragt er mich, ob ich ein Instrument spiele. Ich antworte, Gitarre. Ich frage ihn, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf seine Arbeit als Musiker hat. Er fragt mich, was ich so während des Lockdowns mache.

N. lässt keinen Augenblick aus, unterbricht das Interview, stellt persönliche Fragen. Ich weise ihn daraufhin, dass dies ein Interview sei. Er sagt, er habe den Eindruck, dass wir uns sehr gut verstehen. Ich wiederhole, dass ich für ein Interview da sei. Er sagt, dass wir uns danach weiterhin treffen können. Ich stelle ihm die nächste Frage, er eine Gegenfrage.

Häufig bricht er mitten im Satz ab, macht Pausen. Er scheint nachzudenken. Doch dann wandert sein Blick über meinen Körper. Ich bin genervt und möchte das Interview nur noch hinter mich bringen.

Immer wieder macht N. mir Komplimente. Er sagt auch, ihm gefalle mein Ring. Ich reagiere nicht und frage wieder nach seiner Arbeit. Er nimmt meine Hand und betrachtet den Ring genauer. Ich ziehe die Hand weg. Kurz scheint es, als habe er es verstanden, dass ich das nicht möchte. Denn für einen Moment erzählt er mir von seiner Arbeit. Doch dann unterbricht er sich. Vollkommen unvermittelt sagt er mir, dass meine Haare schön seien. „Sind die so weich, wie sie aussehen?”, fragt er mich. Während ich noch überlege, ob ich seine Frage richtig verstanden habe, greift er in mein Haar. Ich drehe den Kopf weg und sage ihm, dass ich das nicht möchte. N. scheint das nicht zu stören. Kurz streichelt er seitlich an meinem Kopf entlang. Und ich beende das Interview.

Während ich meine Jacke anziehe, sagt er, dass wir uns gerne ein weiteres Mal treffen können, um das Interview zu beenden. Ich gehe. Ein paar Wochen später erhalte ich eine Nachricht. N. fragt, wie es mir gehe und ob wir nicht das Interview fortführen wollen. Ich antworte nicht und blocke seine Nummer. Den Artikel habe ich nie geschrieben.

Christina Heuschen


Der Bus hat Verspätung. Nein, nicht eine Stunde, nein nicht drei – sondern fünf. Während der polnische Grenzschutz jedes ukrainische Butterbrot durchsucht, und unsere Toilettenkabine wegen Stillliegen des Motors „out of order“ ist, schwinden nicht nur die Laune und mein schöner Warschauer Frühstücksplan, sondern auch jede realistische Wahrscheinlichkeit, meinen Anschlusszug zu erreichen.

Als wir schließlich auf dem Busbahnhof einrollen, ist es 13:52. Mein Zug geht um 13:55. Challenge accepted. Ich kenne diese Gegend nur bei Nacht, aber so ein Bahnhof muss doch zu finden sein – ohne Google Maps, dafür mit einem Spritzer Hysterie und erfundenem Polnisch, das halbgeschriene Fragesätze nach der Ortslage formuliert. Um 13:55 düse ich über die Plattformen und finde tatsächlich meinen Zug in dem Moment, als der Schaffner pfeift und die Signale leuchten.

Ich hasse Menschen, die sich rücksichtslos zwischen Bahntüren quetschen und sich selbst und andere dabei verärgern oder im schlimmsten Fall gefährden. Aber ich hatte keinen Kaffee. Und da steht mein Zug. Mein Sprint erregt einiges Aufsehen bei einer Gruppe Reisender, die mich anfeuern oder beschimpfen, oder beides, meine Sprachkenntnis reicht für eine Interpretation nicht aus.

Mit einem Slapstick-Sprung hechte ich unter Applaus in den Zug. Dabei remple ich versehentlich eine Dame an. Sie ist glücklicherweise nicht böse, sondern in Smalltalk-Laune. Bei einem Schokocroissant und dem lang ersehnten Kaffee kommen wir ins Gespräch über Agrarwirtschaft. Erst, als sie mir beim Abschied ihre Visitenkarte gibt, erfahre ich, dass sie im Landwirtschaftsministerium arbeitet – ich schreibe zu dieser Zeit an einem Artikel über das CETA-Abkommen und seine Auswirkungen auf diesen Bereich! Wenige Wochen später verabreden wir ein Interview. Manchmal findet man Gesprächspartner*innen, wenn man es am wenigsten erwartet.

Katharina Angus


Foto: Julia Schmitz

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