Welche Recherche ist dir am stärksten in Erinnerung geblieben? Zum 10. Geburtstag der Prenzlauer Berg Nachrichten haben wir nach Anekdoten gefragt. Heute erzählen Constanze Nauhaus und Julia Schmitz.
Vor vier Jahren trat das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, das mehr Schutz durch mehr Kontrolle versprach. Viele Sexarbeiter:innen gingen dagegen auf die Straße, sie fühlten sich stigmatisiert und gegängelt. So auch Marleen, die ich damals zum Interview traf. Klar hatte ich Vorurteile. Auf der Suche nach ihr im Café Morgenrot auf der Kastanienallee sprach ich die Blondine mit dem rosa Lippenstift an. „Ich bin Marleen“, sagte da die unscheinbare, ungeschminkte Frau mit dem Zopf im Nacken und dem Rucksack neben sich auf der Bank.
Ich schämte mich sofort ein bisschen. Und lernte in den nächsten Stunden, dass es Menschen gibt, die sich selbstbestimmt und ohne Geldnot für diesen Job entschieden haben, weil er ihnen Spaß macht. Sie bilden sicher nicht den Großteil der Sexarbeiter:innen ab. Aber es gibt sie. Wie es ein Kollege jüngst so treffend ausdrückte: „Genau sowas kann nur Journalismus: Hinterher etwas ein klein wenig nachvollziehen zu können, zu dem man vorher keinen Bezug hatte.“ Er sagte das als Lesender. Aber es gilt genauso für die Schreibende.
Constanze Nauhaus hat bis Ende 2018 für die Prenzlauer Berg Nachrichten geschrieben
Prenzlauer Berg ist weit über Berlin hinaus als Klischee bekannt: Hier wohnen sie, die gut situierten Akademiker-Familien mit ihren Kindern namens Finn und Sören und Luise; man trifft sie am Samstagvormittag Austern schlürfend auf dem Markt am Kollwitzplatz, irgendwer ist außerdem immer schwanger. Aber was macht man in diesem Stadtteil eigentlich, wenn man Single und auf Partnersuche ist? Kann man hier die große Liebe finden?
Im Sommer 2019 entschieden wir, einen Themen-Schwerpunkt zu „Dating in Prenzlauer Berg“ zu machen. Neben einer Liste der besten Orte für das erste Treffen waren wir uns einig, dass auch ein Selbstversuch dabei sein muss. Nur wie? „Du könntest dich ein paar Abende lang alleine in Bars setzen und schauen, was passiert“, schlug eine Kollegin vor; doch die Aussicht, im Abschleppschuppen „August Fengler“ mit einem Glas Wein an der Theke zu stehen und abzuwarten, ob sich jemand zu mir stellt, fand ich weniger rosig. „Da gehe ich doch lieber auf die ‚Fisch sucht Fahrrad‘-Party!“, sagte ich.
Ich gebe zu, dass ich einige Vorurteile hatte, als ich die Single-Party im Frannz Club betrat – und ich nahm sie auch fast alle wieder mit nachhause. Von fragwürdigen Komplimenten, mit denen mich die Herren der Schöpfung (die schon ordentlich Alkohol getankt hatten) ansprachen, über das absolut skurrile Speed-Dating, bei dem ich mein Outfit für den KitKat-Club beschreiben sollte bis hin zu beharrlichen Nachfragen nach meiner Telefonnummer war alles dabei. Als zu fortgeschrittener Stunde die ersten begannen, auf der Tanzfläche zu zweifelhafter Musik aus den 90er Jahren zu knutschen, entschied ich, das Experiment könne jetzt beendet werden. War das schon Journalismus am Limit?
Julia Schmitz ist Redaktionsleiterin der Prenzlauer Berg Nachrichten