Seit 2018 setzt sich eine Bürgerinitiative dafür ein, dass die Straße durch den Jahnsportpark in „Rudolf-Mosse-Straße“ rückbenannt wird. Warum das nicht möglich ist – es aber jetzt eine Alternative gibt.
Unter dem Pflaster liegt der Strand, lautete ein Spruch der 1968er-Bewegung; im Falle des Jahnsportparks findet man dort unter dem Beton sogar einen alten Straßenverlauf. Seit 1825 war das Areal nördlich der Eberswalder Straße als Exerzierplatz für die Preußische Armee genutzt worden, im Volksmund nannte man das Gelände – typisch für die Berliner Art, Namen von Plätzen abzukürzen – schlicht „Exer“. Damals lag Prenzlauer Berg noch außerhalb der Stadttore, doch dehnte sich Berlin während der Gründerzeit immer weiter aus. Nachdem der militärische Übungsplatz um die Jahrhundertwende von schmucken Altbauten sozusagen umstellt war, gab man den Exerzierplatz auf; 1912 kaufte die Stadt Berlin einen Großteil des Geländes und errichtete darauf eine Sportanlage.
Mitten durch diese Sportanlage führte eine Straße, die im Mai 1920 – tatsächlich nur wenige Monate vor dessen Tod – nach dem jüdischen Verleger und Mäzen Rudolf Mosse benannt wurde. Dieser hatte der Stadt 1913 eine umfangreiche Spende zukommen lassen, und der königliche Magistrat bedankte sich mit einer Widmung. Doch unter der Machtherrschaft der Nationalsozialisten wurde ein paar Jahre später alles Jüdische aus dem Stadtbild entfernt, der Straßenabschnitt erhielt die Bezeichnung „Verlängerte Sonnenburger“.
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„Mosse erinnern!“
Geht es nach Holger Siemann und seiner Initiative „Rudolf Mosse erinnern!“, hätte 100 Jahre nach der Widmung erneut der Name Rudolf Mosse auf dem Straßenschild stehen sollen. Dabei geht es ihm aber nicht um die Bewertung der einzelnen Person Mosse: „Wir wollen, dass jüdisches Leben, das die Nazis tilgten, an diesem Ort wieder sichtbar wird. Wir streben dabei nicht in erster Linie die Errichtung eines Denkmals oder Umbenennungen an, etwa des Jahnsportparks, sondern setzen auf Bürgerbeteiligung, beispielsweise mit der Initiierung eines Mosse-Fußballturniers, das so lange jährlich stattfinden wird, wie sich Organisatoren und Spender finden“, so Siemann. Im Sommer 2020 überklebte die Mosse-Initiative das Straßenschild an der Einmündung Topsstraße für eine kurze Zeit mit dem alten Namen; im Herbst fand außerdem eine Open Air-Ausstellung im Jahnsportpark statt, die auf Litfaßsäulen über Leben und Wirken der Mosse-Familie informierte.
Der Text, den der Autor Anfang 2018 zu Rudolf Mosse in den Prenzlauer Berg Nachrichten veröffentlichte, machte auch die Politik auf das Thema aufmerksam. Die Pankower CDU Fraktion reichte daraufhin im Mai 2018 einen Antrag zur Umbenennung in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein – allerdings des Hauptwegs durch den Mauerpark, der Verbindung zwischen Gleimstraße und Bernauer Straße, und somit nicht der ehemaligen Rudolf-Mosse-Straße. Der Antrag wurde später zurückgezogen, doch das Thema beschäftigte den Kulturausschuss weiterhin.
Warum nicht eine Frau?
Zweieinhalb Jahre später kommt wieder Bewegung in die Sache: Das Straßen- und Grünflächenamt, das für die Sache zuständig ist, lehnt eine Rückbenennung in Rudolf-Mosse-Straße ab. Der Grund: Es gibt bereits eine gleichnamige Straße in Charlottenburg, und Dopplungen im Berliner Straßennetz sollen vermieden werden. Auch der Frauenbeirat, der bei einer Umbenennung vorab um eine Stellungnahme gebeten wird, legte Veto ein – und wies nicht nur auf den Beschluss des Bezirksamtes hin, bei Neu- und Umbenennungen von Straßen künftig Frauen den Vortritt zu lassen, sondern betonte auch die Bedeutung der Ehegattin Emilie Mosse. Könnte sie nicht in Zukunft Namenspatin für die Straße durch den Jahnsportpark sein?
Denn Emilie, die 1851 als Emilie Löwenstein in Trier geboren wurde, war nicht nur Ehefrau, sondern auch wichtige Beraterin ihres Mannes bei allen wohltätigen Unternehmen – und selbst in hohem Maße karitativ tätig. 1884 gründete sie den Verein „Mädchenhort“, der die Betreuung von Kindern alleinerziehender Mütter gewährleistete, während diese arbeiten gingen. 1909 wurde ihr dafür sogar der sehr selten vergebene Wilhelm-Orden des Kaisers verliehen.
Auch ihr Einsatz für Sport und Gesundheit ist nicht von der Hand zu weisen, eine Benennung der Straße im Jahnsportpark somit nicht abwegig: „Aus heutiger Sicht mag es merkwürdig aussehen, dass die Rudolf-Mosse-Straße am Fußballstadion künftig nach Emilie Mosse benannt werden soll, aber zum Zeitpunkt der Einrichtung des Sportparks stand nicht der Leistungs- und Profisport, insbesondere nicht der Ligabetrieb des Fußballs im Mittelpunkt, sondern der Gesundheits- und Erholungsaspekt; also Sport- und Spielplätze für die Kinder, Spazierwege und Wiesen für die Anwohner, die viel dichter als heute in oft dunklen Wohnungen lebten“, sagt Holger Siemann und fügt hinzu: „Wir finden die Benennung nach Emilie Mosse richtig, wann auch immer das passiert.“
Bürokratischer Verwaltungsakt
Aber wann der Familienname Mosse erneut auf dem Straßenschild enthüllt wird, ist noch unklar. Denn bei der Namensänderung öffentlicher Straßen handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der im Berliner Straßengesetz festgelegt ist und mehrere Stufen beinhaltet: Nicht nur müssen das Amt für Weiterbildung und Kultur sowie der Frauenbeirat grünes Licht geben, die Straßen- und Grünflächenämter der anderen Bezirke werden ebenfalls mit einbezogen. Hat auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) keine Einwände, kann das Bezirksamt die Umbenennung in die Wege leiten; es folgt die verpflichtende Veröffentlichung im Amtsblatt für Berlin und die Aufnahme des neuen Namens in das Pankower Straßenverzeichnis.
Holger Siemann hofft jedenfalls, dass die Umbenennung am 31. Mai dieses Jahres stattfinden kann; das wäre der 101. Jahrestag der erstmaligen Widmung der Straße für die Familie Mosse. Unabhängig davon will die Initiative aber schon vorher aktiv werden: „Unsere kleine Mossestraße-Erinnerungstafel am Stadion werden wir bereits anbringen, wenn das Wetter ein bisschen wohliger ist“.
Titelfoto: Temporäre Umbenennung des Straßenabschnitts durch die Initiative „Rudolf Mosse erinnern!“ im Sommer 2020 / Julia Schmitz