Kommt die Jugend in Prenzlauer Berg zu früh in Kontakt mit Alkohol, Zigaretten und Drogen? Wir waren zu Besuch im Jugendclub Twenty Two im Bötzowviertel.
Es ist unmöglich, den zwölfjährigen Luis zu unterbrechen. In einem Atemzug zählt er die unterschiedlichen Räume auf, die er und die anderen Jugendlichen in der Einrichtung Twenty Two in der Pasteurstraße nutzen können, angefangen beim “Chill-Raum”, in dem eine große blaue Couch steht, bis hin zum Kletterraum, der Werkstatt und der Terrasse, auf der im Sommer ein Pool aufgebaut wird. Weiter geht es mit den Aktivitäten: Nähen, Basteln, Kochen, Billiard spielen. Fast möchte man meinen, dass der Sechstklässler als verdeckter PR-Manager für den Jugendclub arbeitet. Doch seine Begeisterung ist echt: „Es ist viel cooler, nach der Schule hierher zu kommen, statt nur zu Hause zu sitzen”, sagt Luis. An diesem verregneten Freitagnachmittag sitzt er an einem langen weißen Tisch im “Computerraum”, die Hände im Schoß gefaltet, der Blick in den großen Raum gerichtet, in dem sich in deckenhohen Regalen Farben, Werkzeuge und selbst gemalte Bilder stapeln.
Viel wichtiger für die meisten Eltern: der Medienkonsum
Es ist Ende Oktober, kurz bevor Berlin in einen zweiten, wenn auch nur teilweisen Lockdown beschließt. Luis ist einer von knapp zehn Jugendlichen, die regelmäßig ihre Freizeit in den bunt gestrichenen Räumen vom Jugendclub verbringen. Normalerweise, wenn nicht Corona ist, kommen um die 20-35 Kinder her, einige bleiben den ganzen Tag. „Samstags kann man auch hier sein”, sagt Luis. „Das ist super, wenn in der Familie niemand Zeit hat.” Der Zwölfjährige wohnt mit seiner Familie am Europasportpark, nächstes Jahr wird er aufs Gymnasium gehen. Fragt man ihn jedoch nach dem Drogenkonsum seiner Schulkameraden und Freunde, bekommt man eher das Gefühl, mit einem reflektierten Erwachsenen zu sprechen.
„In unserer Klasse sind Drogen noch nicht so ein Ding. Ich denke, das wird sich in den nächsten Jahren ändern, wenn wir älter werden”, sagt Luis. Es seien eben immer Trends. „Genau wie mit dem Deutsch-Rap. Es gab eine Zeit, da haben alle Capital Bra gehört – dann hat sich das wieder gelegt”. Zwar würden auch seine Eltern ihn gelegentlich fragen, ob er mit Drogen, Alkohol oder Zigaretten zu tun habe. Viel häufiger ginge es aber darum, wie oft er am Computer ist und oder ob er ein Smartphone haben darf. Das sei es, worüber sich seine Eltern am meisten sorgten, so Luis.
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„Das war früher schon genauso”
Sandra Kowalski beobachtet dieses Phänomen ebenfalls. Die Berlinerin ist Projektleiterin bei Twenty Two und arbeitet seit zehn Jahren mit Kindern und Jugendlichen im Bötzowkiez. „Es stand noch niemand bei uns vor der Tür und wollte über Drogen sprechen”, sagt sie. Die Angst, bei den eigenen Kindern könnte sich eine Mediensucht entwickeln, sei viel größer als die Angst vor Alkohol, Zigaretten und Cannabis. Letzteres würden nach ihrem Empfinden aber schon mehr junge Leute zu sich nehmen. „Wir treffen die Jugendlichen ja auch im Kiez, vor allem in den Abendstunden, und dann häufig auf Spielplätzen”. Das sei auch verständlich, dass sich Kinder Orte ohne Regeln suchen, wenn der Rest der Woche mit Schule, Hausaufhaben, Chor und Sport durchgeplant ist, meint Kowalski.
In der Einrichtung selbst bekomme man von Drogen und Alkohol nicht viel mit. Nur einmal habe sie zwei Jugendliche dem Jugendclub verweisen müssen, „weil sie sich einen Joint gedreht haben”. Es sei schon immer so gewesen, dass Jugendliche Neues ausprobieren und das machen wollen, was die Großen machen, sagt die Projektleiterin. „Aber das war früher genauso”.
„Bis in die 90er war es normal, dass in Jugendclubs geraucht wurde”
Auch Rüdiger Just sieht eher keinen Grund zur Besorgnis. Der Berliner ist seit 1990 in der Jugendarbeit in Pankow tätig und leitet das Jugendkulturzentrum Königstadt in der Saarbrücker Straße, das für Jugendliche ab 13 Jahren offen steht, viele der Besucher*innen sind jedoch auch 20 und älter. „Es gibt einfach viel mehr Kinder in der Stadt als noch vor 15 Jahren”, sagt Just. „Und die sieht man jetzt eben wieder auf der Straße, was schön ist”. Auch seine Einrichtung hat Corona-bedingt nur eingeschränkt geöffnet, viele Jugendliche zieht es deswegen auf öffentliche Plätze.
Dass sich Eltern im Kiez vermehrt um die Freizeitgestaltung ihres Nachwuchses sorgen, erklärt sich der Einrichtungsleiter damit, dass die Eltern heute schlichtweg viel aufmerksamer sind. Dass Jugendlich aber mehr Drogen und Alkohol zu sich nehmen als früher, beobachtet Just nicht. „Aber der Schein kann auch trügen, schließlich findet so etwas nicht mehr in den Jugendfreizeiteinrichtungen statt, während es bis in die 1990er zum Beispiel völlig normal war, dass in den Jugendclubs geraucht wurde”. Von Drogen- oder Alkoholmissbrauch bekommt man in den Einrichtungen dementsprechend nur noch wenig mit. Dass es das unter Jugendlichen gibt, will Just also nicht ausschließen.
Die Jugendlichen selbst nimmt er zumindest in Prenzlauer Berg als sehr viel reflektierter als noch vor ein paar Jahrzehnten wahr. Früher sei das Klientel viel gemischter gewesen, während heute im Prenzlauer Berg viele Akademiker lebten und Kinder in behüteten Verhältnissen aufwachsen. Und weil es inzwischen so viele Jugendliche in der Stadt gibt, fehle vielen der Raum, sich zu entfalten, sagt Just. „Es ist alles gut strukturiert und organisiert. Jugendliche brauchen aber auch mal Orte, wo das nicht so ist”. Und wenn sie sich dann auf Spiellplätzen oder an Parkbänken treffen, falle das den Erwachsenen direkt auf. „Aber es ist ganz normal, dass die Jugend ein bisschen lauter ist. Vor allem zu den Zeiten, in denen die meisten Bürger schlafen”.
Titelfoto: Twenty Two