Gewalt

Zuhause in Gefahr

von Christina Heuschen 25. November 2020

Seit Jahren nehmen die Fälle häuslicher Gewalt zu. Oft bleibt nur der Weg ins Frauenhaus. Wie sieht die Situation in Prenzlauer Berg aus?


„Wo bist du gewesen?“ „Wen hast du getroffen?“ „Hast du etwa einen anderen?“ Sie versucht zu beschwichtigen. Doch er glaubt ihr nicht, fängt an, sie zu beleidigen und durchsucht ihre Sachen. Bis dann der erste Schlag und Tritt kommt. Er entschuldigt sich sofort. Das hat er doch nicht gewollt. Sie verzeiht ihm. Doch kurze Zeit später fängt alles wieder von vorne an. Die Verdächtigungen, die Beleidigungen, die Schläge, Tritte oder gar Vergewaltigungen. Immer wieder. Die Abstände werden kürzer, die Gewalt oft brutaler. Manchmal endet es im mit der Tötung der Frau. Alles im eigenen Zuhause.

Für viele Frauen gehören solche oder ähnliche Erlebnisse zu ihrem Alltag. Etwa jede vierte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Betroffen sind dabei Frauen aller Schichten. Seit Jahren steigen die Zahlen. Laut der aktuellen Kriminalstatistischen Auswertung des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Partnerschaftsgewalt waren 2019 insgesamt 141.792 Menschen betroffen. Knapp 115.000 von ihnen waren weiblich. Auch viele Frauen in Berlin führen ein Leben in Angst. Allein in der Hauptstadt gab es 2019 gut 15.000 Fälle häuslicher Gewalt. Davon waren fast 80 Prozent der Geschädigten Frauen. Doch die Dunkelziffer ist viel höher, vermuten Beratungsstellen und Träger von Frauenhäusern sowie Zufluchtswohnungen. Einige Frauen zeigen die Täter aus Angst oder Scham nicht an.

Allen ist gemein, dass sie psychisch und/oder körperlich misshandelt wurden. Sie wurden gestalkt, genötigt, isoliert, kontrolliert, bedroht, geschlagen, vergewaltigt oder gar getötet. Häufig zu Hause im Verborgenen, wo andere Menschen es nicht mitbekommen.

 

Bei häuslicher Gewalt spielt der Bezirk (k)eine Rolle

„Wir sind, finde ich, als Bezirk ganz gut ausgerüstet“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte im Bezirk Pankow Heike Gerstenberger. Tatsächlich gibt es ein Frauenhaus und mehrere Beratungsstellen, die auch Zufluchtswohnungen betreiben: Bora in Weißensee, das Frauenzentrum Paula Panke e.V. in Pankow und Hestia in Prenzlauer Berg an der Grenze zu Mitte. In ganz Berlin gibt es fünf Beratungsstellen, sechs Frauenhäuser, zehn Zufluchtswohnungsprojekte und die Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG). Alle bieten den Frauen Beratung und Hilfe an. Denn alle arbeiten bezirksübergreifend.

Im Notfall kann das sehr schnell gehen. Wenn die Situation für Frauen existenzbedrohend ist und sie sofort flüchten müssen, dann sollten sie sich umgehend bei der Polizei melden. Dann werden sie in einem der Frauenhäuser in Berlin in Sicherheit gebracht. Wenn die Situation nicht akut ist oder Frauen sich erst einmal vorab informieren wollen, dann können sie sich bei einer Beratungsstelle oder der BIG-Hotline melden und einen Gesprächstermin ausmachen. Je nach Bedarf werden sie an eine Zufluchtswohnung vermittelt. Das ginge aber auch innerhalb weniger Tage, erzählt eine Mitarbeiterin der Zufluchtswohnungen von Hestia e.V., die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte.

Dabei müssen betroffene Frauen nicht in ihrem Bezirk bleiben. Im Gegenteil. „Oft ist es eben nicht das Frauenhaus, das vielleicht im Bezirk ist. Es kommt immer darauf an, wo ein Platz frei ist. Wir haben auch schon Frauen in Brandenburg unterbringen müssen auf Grund der Gefahr“, erklärt Gerstenberger. Die Mitarbeiterin von Hestia e.V. bestätigt dies: „Eine Frau, die im Umkreis unseres Büros betroffen ist, würde sicherlich nicht in eine Zufluchtswohnung hier im Prenzlauer Berg einziehen können, weil einfach die Gefahr da ist, dass ihr der Täter über den Weg läuft.“

 

Deutschland hat Nachholbedarf

Dass dies möglich ist, soll auch die Istanbul-Konvention sicherstellen. In Deutschland ist diese 2018 in Kraft getreten und in nationales Recht überführt worden. Damit hat sich die Bundesregierung verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu verhindern und zu bekämpfen sowie die Betroffenen durch umfassende Präventionsmaßnahmen zu schützen. Alle Angebote müssen sofort und niedrigschwellig nutzbar sein. „Bei aller guten Ausstattung reicht es im Vergleich nicht. Deutschland hat Nachholbedarf. Das muss man sehr deutlich sagen“, findet Gerstenberger. Auch in Berlin mangelt es an der Umsetzung. Die vorhandenen Plätze in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen reichen nicht aus.

Das Frauenzentrum Paula Panke e.V., Hestia e.V. und andere Frauenprojekte fordern daher schon seit langem, dass etwas passiert und die Plätze entsprechend aufgestockt werden. „Es gibt bestimmte Gruppen, für die es noch deutlich schwieriger ist, einen Schutzplatz zu bekommen. Unabhängig davon, ob einer frei ist, sind oft die nötigen Gegebenheiten nicht da“, kritisiert die Mitarbeiterin von Hestia. Blinde Frauen, Rollstuhlfahrerinnen, Frauen ohne Aufenthaltsstatus und daher ohne Anspruch auf Sozialleistungen, ältere Söhne der betroffenen Frauen – sie alle haben schlechtere Chancen.

Ein zusätzliches Problem für Schutzsuchende birgt ein Widerspruch zwischen Gewaltschutzgesetz und dem Umgangsrecht. Denn obwohl Frauen Schutz in einem Frauenhaus oder in einer Zufluchtswohnung suchen können, müssen sie gleichzeitig den Umgang zwischen Vater und Kindern gewährleisten. „Da gibt es nach wie vor die Einstellung: ,Er hat nur die Mutter geschlagen. Das hat nichts mit den Kindern zu tun.‘” Aber unabhängig davon, ob sie selbst körperliche Gewalt erfahren, kriegen Kinder das in der Regel mit“, erklärt die Mitarbeiterin. Es gebe nur in Ausnahmefällen den sogenannten begleiteten Umgang, bei dem eine dritte, neutrale Person das Kind zu Treffen begleitet. „Das ist aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Letztendlich hängt es auch an den Frauen, zu irgendeinem Treffpunkt zu gehen oder nicht“, kritisiert sie.

 

Schutz mit Hindernissen

„In der Phase des Lockdowns haben die betroffenen Frauen gar keine Chance. Wenn es einen Mann gibt, der stark kontrolliert und die Frauen keinen großen Bewegungsraum haben, wo sollten die dann in der Phase der Pandemie hingehen“, erklärt Gerstenberger. Die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung schuf daher bereits im April kurzfristig zwei Notunterkünfte in Berlin, um von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern in der Zeit der Pandemie eine weitere sicher Unterkunft zu bieten. Damit eine dauerhafte Sicherheit möglich ist, soll bis Jahresende ein siebtes Frauenhaus errichtet werden. Parallel dazu wird für 2021 an einem achten und für 2022 an einem neunten Frauenhaus gearbeitet.

Die Sozialarbeiterinnen des Frauenzentrums Paula Panke e.V. bewerten die schnelle Reaktion als positiv. Und dennoch: „Einige Frauenhäuser waren trotzdem zeitweise überfüllt, Mitarbeiterinnen überlastet, einige krank. Es kam zu einer Überforderung, den Ansprüchen des Gesundheitsamtes gerecht zu werden, weil die Schutzmaßnahmen mit den vorhandenen Räumlichkeiten und Mitteln nicht eingehalten werden konnten“, kritisiert eine der Sozialarbeiterinnen, die ebenfalls aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte. Unterstützende Gruppenangebote, Therapien und Kontaktmöglichkeiten fielen für viele Frauen sogar weg. Manche Beratungsstellen seien hoch frequentiert und überlastet gewesen. Auch jetzt wieder.

Dadurch, dass Ämter und Behörden weitgehend geschlossen seien oder ihren Kundenverkehr drastisch eingeschränkt haben, sei es zusätzlich auch sehr viel schwieriger gewesen Hilfen zu beantragen, sagt die Mitarbeiterin von Hestia. „Zu der psychischen Belastung, die es bedeutet, Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein, kam die psychische Belastung durch die Coronakrise hinzu: Angst, Ungewissheit, Arbeitslosigkeit, Stress. Wurden dann noch die persönlichen Kontakte mit Sozialarbeiterinnen reduziert, war das ein zusätzlicher Verlust für die betroffenen Frauen“, ergänzt eine der Sozialarbeiterinnen von Paula Panke.

Die Hestia-Mitarbeiterin wünscht sich daher ausreichend Plätze für alle betroffene Frauen und ihre Kinder – unkompliziert, in jeder Lebenslage und angepasst an ihre Bedürfnisse. Ein erster Schritt dürfte mit der Errichtung neuer Frauenhäuser getan sein. Nun bleibt zu hoffen, dass auch weitere Pläne für Präventionsmaßnahmen folgen. Nur so werden Frauen keine Fälle in der Statistik zu häuslicher Gewalt und Männer keine Täter.


 

Wenn ihr selbst häusliche Gewalt erlebt oder eine Person kennt, die betroffen ist, dann findet ihr hier Hilfe:

– Polizei: 110
– Hotline gegen Gewalt an Frauen (bundesweit): 08000 – 116 016
– Hotline der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) (Beratung und Vermittlung): 030 – 611 03 01
– Lara – Krisen- und Beratungszentrum für Frauen + Mädchen: 030 – 216 88 88
– Wildwasser – Beratung für sexuell misshandelte Mädchen und Frauen
– Bora, Hestia e.V. und Frauenzentrum Paula Panke e.V.: Auf den Websites der einzelnen Hilfsstellen findet ihr Telefonnummern zu den jeweiligen Beratungsstellen, Frauenhäusern und Zufluchstwohnungen.

 

Titelfoto: Christina Heuschen

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar