Viele Eltern im Kiez sorgen sich um die Freizeitgestaltung ihrer Teenager. Zurecht? Karin Nordwald von der Suchtberatung Pankow erklärt, ob die Prenzlauer Berger Jugend tatsächlich ein Drogenproblem hat.
Eine abfällige Handbewegung, ein Kopfschütteln und dazu dieser Satz: „Das haben wir doch damals genauso gemacht“. Es ist häufig diese Reaktion, die Eltern im Prenzlauer Berg bekommen, wenn sie anderen von ihren Sorgen um ihre jugendlichen Kinder berichten. Kiffen, Alkohol und Feiern: Das sei doch völlig normal und früher nicht anders gewesen, heißt es dann gern. Stimmt es also? Sind viele Eltern im Kiez überfürsorglich, statt die Kinder einfach machen zu lassen? Oder hat Prenzlauer Berg tatsächlich ein Problem mit Drogen unter Jugendlichen – vielleicht auch, weil letztere zwischen Spielplätzen und Bars gar nicht so recht wissen, wohin mit sich?
Wenn es jemand wissen sollte, dann sie: Karin Nordwald. Die Leiterin der Ambulanten Suchtberatung in Prenzlauer Berg empfängt regelmäßig Eltern mit ihren Teenagern. Wir haben mit ihr über besorgte Erwachsene und Drogen in der Großstadt gesprochen. Und darüber, ob das das alles wirklich „früher schon genauso war“.
Frau Nordwald, hat die Jugend in Prenzlauer Berg ein Drogenproblem?
Karin Nordwald: Nun ja. Prenzlauer Berg ist ein Teil von Berlin – und in Berlin werden viele Drogen konsumiert, das ist durchaus normal für eine Großstadt. Drogen sind hier leicht zu bekommen, werden teilweise sogar an den Schulen vertickt. Nun ist es so, dass eben die “Kleinen” von damals inzwischen in die Pubertät kommen und zum Beispiel das Kiffen ausprobieren. Das kann schon mit 14 Jahren anfangen.
___STEADY_PAYWALL___
Was beeinflusst denn die Art der Drogen?
Das soziale Umfeld hat hier einen großen Einfluss. In Prenzlauer Berg ist die Situation vergleichbar mit der in Charlottenburg. Es sind keine verwahrlosten Jugendlichen, die hierher kommen, sondern in der Regel Kinder aus einem guten Haushalt, die umsorgt sind und viele Möglichkeiten haben, ihre Freizeit zu gestalten. Das ist mein Eindruck.
Wie steht denn Prenzlauer Berg im berlinweiten „Ranking“ so da, wenn man mal auf den Drogenkonsum von Jugendlichen blickt?
Tatsächlich ist das Konsumverhalten Jugendlicher in jedem Bezirk ein bisschen anders. In Marzahn zum Beispiel hatten wir zuletzt einen Boom mit MDMA und Speed. In Prenzlauer Berg dagegen wird eher gekifft, vereinzelt werden auch synthetische Drogen wie Extasy und Speed konsumiert. Bei den unter 14-Jährigen zum Beispiel ist das aber eine Seltenheit.
Das klingt ja, als würde es im Kiez vergleichsweise „gemäßigt“ zugehen. Stimmt es dann, war es wirklich “früher schon genauso”?
Tatsächlich nein. Die Dosis ist heute eine ganz andere. Der THC-Gehalt in Cannabis und Marihuana ist inzwischen deutlich höher als noch vor ein paar Jahren, sprich: Gras wirkt viel stärker. Auch die Pillen von früher waren ganz anders dosiert, in MDMA beispielsweise ist die Konzentration inzwischen deutlich höher als noch vor ein paar Jahren.
Dass Pubertierende etwas machen, das ihren Eltern nicht passt, ist dagegen ganz normal und war tatsächlich schon früher so. Genauso wie Jugendliche auch schon damals immer etwas ausprobieren wollten, was sich „erwachsen“ anfühlt. Auch dass Jugendliche im Park rumhängen, ist kein neues Phänomen.
Kommen denn mehr besorgte Eltern zu Ihnen als früher?
Aktuell kommen jede Woche zwischen fünf und zehn Eltern aus Prenzlauer Berg mit ihren Kindern im Schlepptau. In manchen Wochen kommt aber auch niemand, das ist immer ganz unterschiedlich. Jetzt in Corona-Zeiten können wir tatsächlich einen Anstieg beobachten, was die Beratungsgespräche angeht.
Woran liegt das?
Viele Eltern haben durch den Lockdown erst wahrgenommen, dass ihr Kind kifft. Weil sie selbst im Home-Office sind oder die Schule lange Zeit geschlossen war. Dabei haben viele Jugendliche vermutlich auch vorher schon gekifft, nur eben geheim, nach der Schule oder wenn die Eltern nicht da waren.
Also haben vor Corona nicht unbedingt weniger Jugendliche Drogen genommen oder Alkohol getrunken?
Es kann schon sein, dass während des Lockdowns mehr Teenager in Kontakt mit Drogen gekommen sind oder in Parks gesessen und Alkohol getrunken haben. Teilweise wahrscheinlich auch einfach aus Langeweile. Freizeitbeschäftigungen wie Kino oder Schwimmbad waren ja erst mal gestrichen, der Sportclub geschlossen, die Schule auch für eine Zeit. Da war es für viele Jugendliche ganz attraktiv, mal draußen zu sein und weg von den Eltern.
Sind die Eltern im Prenzlauer Berg aus Ihrer Sicht zu überfürsorglich?
Absolut nicht. Ich bin immer begeistert, wenn Eltern hier anrufen, um einen Rat fragen oder einen Termin ausmachen wollen. Ich bin ja daran interessiert, dass möglichst viele derer hierher kommen, die etwas konsumieren. Manche Eltern wollen auch einfach wissen, was sie denn davon zu halten haben, wenn sie bei ihrem Kind einen Joint finden. Und das ist völlig in Ordnung. Lieber einmal zu viel anrufen und auch dann, wenn es noch gar kein massives Problem gibt. Das ist besser, als erst nach zwei Jahren aktiv zu werden, wenn sich das Problem schon verfestigt hat.
Titelbild: Amritanshu Sikdar / Unsplash