Er lebte mitten in Prenzlauer Berg und wurde ab den späten 1970er-Jahren zum Chronist der DDR: Die C/O Berlin widmet dem Fotografen Harald Hauswald seine erste große Retrospektive.
Im Ministerium für Staatssicherheit war man nicht erfreut: „Da wurde zusammengetragen, was an düster-beklemmendem und ärmlichem Milieu, an Primitiven nur auffindbar oder verwertbar war. Offenbar wurde auch bewußt auf farbige Motive verzichtet, weil ausschließliche schwarzweiß-Wiedergbabe das angeblich graue, trostlose und triste der ‚Ostberliner‘ Wirklichkeit unterstreicht“, heißt es in einem Gutachten zu Ostberlin. Die andere Seite einer Stadt in Texten und Bildern.
Die in Zusammenarbeit mit Lutz Rathenow entstandene Publikation war 1987 im westdeutschen Piper-Verlag erschienen und hatte auf beiden Seiten der Grenze für Aufsehen gesorgt. Bei der Obrigkeit der DDR lösten nicht nur die darin abgedruckten dokumentarischen Fotografien Unmut aus, auch die nur im „nicht-sozialistischen Ausland“ genutzte Bezeichnung „Ostberlin“ festigte Harald Hauswalds Status als Systemfeind.
Doch bereits zehn Jahre zuvor, kurz nach dem Umzug nach Berlin, war der gebürtige Sachse in das Visier der Staatssicherheit geraten. Unter dem Namen „Radfahrer“ wurde er ab 1977 von bis zu vierzig Leuten beschattet, jede gerauchte Zigarette, jeden Spaziergang durch Prenzlauer Berg zeichnete man akribisch auf. Bis zum Fall der Berliner Mauer kamen so über 1.000 Seiten Observationsberichte zusammen, eine Auswahl davon ist gleich am Anfang der Ausstellung im Amerika-Haus zu sehen.
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Ein Beobachtender wird beobachtet
Das hat seinen Grund: „Uns war wichtig, dass es nicht nur eine Ausstellung über einen bekannten DDR-Fotografen ist, sondern eine dezidiert politische Ausstellung“, erklärt Kurator Felix Hoffmann. „Hauswald hat Alltag und Menschen beobachtet und wurde bei diesem Beobachten beobachtet.“ Zusammen mit Fotografin Ute Mahler und Laura Benz, beide von der von Hauswald gegründeten Agentur Ostkreuz, hat Hoffmann rund 200.000 Bilder aus dem Archiv Hauswalds gesichtet; 250 davon sind nun, thematisch geordnet, zu sehen. Sie zeigen Straßenansichten, kaputte Hausfassaden und Schaufenster, ältere Damen, die durch die gestärkte Gardine auf die Straße blinzeln; über allem liegt eine eigentümliche Mischung aus Stagnation und Verfall.
Doch Hauswald ging es nicht darum, dieses Land und die darin lebenden Menschen zu diffamieren oder sie bloßzustellen, auch hinter der Kamera blieb er immer selbst ein Teil davon. Ob junge Punks oder treue FDJ-Mitglieder, Teilnehmer der Paraden zum 1. Mai oder Menschen mit Behinderung in der Stephanus-Stiftung in Weißensee: Sein Blick blieb stets empathisch, trotz der immer größere werdenden Widersprüche in der Realität des „real existierenden Sozialismus.“ Erscheinen konnten seine Fotografien bis zum Fall der Mauer trotzdem nur außerhalb der DDR, Hauswald gab sie an zwei Kontakte beim Evangelischen Pressedienst und dem Stern weiter; eine offenbar wasserdichte Route in den Westen, die von der Stasi bis zum Ende nicht aufgedeckt werden konnte.
Darüber, wie der Alltag in der DDR wirklich ausgesehen hat, wird auch drei Jahrzehnte nach ihrem Ende noch gestritten. War wirklich alles so trist und grau, wie es oft erinnert wird? Auch die Fotografien von Harald Hauswald porträtieren einen Staat, der in Auflösung begriffen ist – und trotzdem zeigen sie „Voll das Leben“.
Die Ausstellung „Harald Hauswald. Voll das Leben!“ ist vom 12. September 2020 bis zum 21. Januar 2021 im C/O Berlin zu sehen.
Foto oben: Harald Hauswald, U-Bahnlinie A, 1986 / © Harald Hauswald/OSTKREUZ/Bundesstiftung Aufarbeitung