Colosseum

Ein „fataler Fehler“

von Julia Schmitz 3. September 2020

Pankows Bezirksverordnete streiten sich darüber, wer die Schuld am Verlust des Colosseums hat. Für Stadtrat Kuhn hat das Konsequenzen.


Selten herrschte solche Einigkeit unter den Bezirkspolitikern von Pankow: Wenn es um die Schließung des Colosseums und die drohende Bebauung mit einem mehrstöckigen Bürokomplex geht, verstehen sie keinen Spaß. Am Mittwoch hatte die monatliche Bezirksverordnetenversammlung zu einer „aktuellen Stunde“ rund um das Traditionskino an der Schönhauser Allee aufgerufen. Zwei Anträge von SPD, Grünen und Linke sowie eine große Anfrage der CDU waren dazu ebenfalls eingebracht worden. „Als Pankowerin habe ich es satt, den Ausverkauf des Bezirks zu beobachten“, zeigt sich Stephanie Wölk (SPD) empört.

Im Mittelpunkt der Anschuldigungen: Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne). Sein Amt habe einen Bauvorbescheid für das Grundstück an der Schönhauser Allee, auf dem sich das fast 100 Jahre alte Kino befindet, bewilligt, ohne die Brisanz dieses Vorhabens zu bemerken, lautet ein Vorwurf der CDU. Im Bauvorbescheid ist von einer möglichen „Zurückbauung“ des gesamten Komplexes die Rede, zu Gunsten der „Schaffung eines spannungsvollen Quartiers mit Campus-Charakter“ mit einem Neubau und einer Überbauung aus sechs Geschossen auf 15.900 Quadratmetern. Einzig der denkmalgeschützte Kinosaal sowie der Bio-Supermarkt in der Gleimstraße soll laut diesem Plan erhalten bleiben.
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Colosseum

Seit fast 100 Jahren werden im Colosseum Filme gezeigt / Foto: Julia Schmitz

 

Um solche Vorhaben zu diskutieren oder gegebenenfalls zu unterbinden, gibt es eigentlich ein „Frühwarnsystem“ in Form einer Bauliste, die das Amt für Stadtentwicklung monatlich an die BVV weitergibt; die Eintragung des Bauvorbescheids vom Herbst 2019 für das Areal des Colosseum in diese Liste war aber laut Kuhn „bedauerlicherweise vergessen“ und erst mit großer Verspätung nachgeholt worden. Die Bezirksverordneten erfuhren erst im Juni 2020 davon – da hatten die Betreiber*innen des Kinos bereits Insolvenz angemeldet. Ein Versäumnis, das Kuhn jetzt auch eine von der CDU beantragte offizielle Missbilligung durch die Bezirksverordnetenversammlung einbrachte. Ernste Konsequenzen hat es vorerst aber nicht: „Das ist wie eine gelbe Karte beim Fußball“, so Roland Schröder (SPD).

Kuhn weist die Vorwürfe zurück: „Dem Amt für Stadtentwicklung jetzt die Schuld zu geben, greift zu kurz.“ Zwar gibt er zu, dass beim Thema Colosseum Fehler passiert seien und er als Amtsleiter dafür die Verantwortung trage; die Grundlage für das aktuelle Problem sei aber schon vor Jahren gelegt worden: „Wenn der Bezirk Pankow keine Bürobebauung auf dem Areal möchte, hätte er dieses schon in den 90er-Jahren als Kulturstandort sichern müssen“, meint Kuhn. Dies sei aber nicht passiert. Überdies spiele Personalmangel in seinem Amt eine wichtige Rolle.

Statt Kuhn entschuldigte sich später Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) für den „fatalen Fehler“ des Bezirksamts.

 

„Standortbedeutung nicht unterschätzt“

Weil der Bezirk nicht die finanziellen Mittel besitzt, um das Grundstück zu erwerben, sucht das Bezirksamt nun das Gespräch mit den Erben von Artur Brauner. Gemeinsam will man Möglichkeiten erarbeiten, wie die Fläche als Kulturstandort erhalten bleiben könne. Zwar sei eine weitere Nutzung als Multiplexkino nicht möglich, aber eine Mischung aus Kino, Klubcafé und Event-Location denkbar, so Kuhn, auch Gründer*innen und Technologieunternehmen könnten hier Platz finden.

Die Gleimstraße habe durch die Schließung des Colosseums an Attraktivität verloren, auch für die ansässige Gastronomie bedeute es einen wirtschaftlichen Schaden. „Das Gebäude sollte deshalb weder jetzt noch später einer kulturellen, öffentlichen Nutzung entzogen werden“, sagt der Stadtrat und betont: „Die Bedeutung des Standorts wurde nicht unterschätzt.“

40 Mitarbeiter*innen haben mit der Schließung des Kinos ihren Arbeitsplatz verloren. Mit Unterstützung aus der Nachbarschaft riefen sie daraufhin zum Protest auf, zogen zweimal mit einer Demonstration durch den Helmholtzkiez. Nun stehen auch die Lokalpolitiker geschlossen hinter ihnen. Die Zukunft des Colosseums bleibt allerdings weiter ungewiss: Auf die bezirkliche Einladung zum Gespräch haben die Besitzer*innen des ehemaligen Kinos bisher nicht reagiert.

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