Oliver Wiedmann, Leiter "Mehr-Demokratie" Büro Berlin

„Sollen wir wirklich den ‚Bild‘-Leser abstimmen lassen?“

von Mona Linke 17. August 2020

Immer mehr Menschen wollen direkt teilhaben an politischen Prozessen – und dass ihre Stimme wirklich zählt. Unterstützt werden sie vom Verein “Mehr Demokratie” in Prenzlauer Berg. Ein Besuch.


Demokratie. Das kommt vom griechischen “Demos”, also Volk, und von “Kratos”, zu deutsch: Herrschaft. Volksherrschaft also. Aber ist es wirklich das Volk, das hierzulande herrscht und über Gesetze und Reformen entscheidet? Oder sind es nicht allein die Politiker*innen, die erst um Wählerstimmen buhlen und dann sowieso machen, was sie wollen? Bleiben die Wünsche der Bürger*innen da nicht auf der Strecke? Es sind Ängste wie diese, die nicht erst seit gestern durch die Bevölkerung hallen und nach mehr Mitbestimmungsrechten für das Volk rufen. Direkte Demokratie”, könnte die Lösung hierfür heißen. Das Prinzip dahinter: Entscheidungen werden direkt von den Bürgern getroffen, ohne repräsentatives Bindeglied – sprich: ohne Politiker dazwischen, der die Idee erst einmal gut finden und dann durchs Parlament boxen muss.

___STEADY_PAYWALL___

Das Ziel: Mehr Mitbestimmung 

Oliver Wiedmann hat eigentlich nie viel von der Idee gehalten: Ich war eher der linke Politik-Student, der die klassischen Vorbehalte gegen das Prinzip der direkten Demokratie hat. Der aus einem eher elitären Blickwinkel auf die niederen Bildungsschichten schaut und fragt: Wollen wir wirklich den ‚Bild‘-Leser abstimmen lassen?”. 

Dass Oliver Wiedmann seine Meinung inzwischen geändert hat, kann man bereits an seinem Job-Titel ablesen: Der Berliner leitet das Hauptstadtbüro des Vereins “Mehr-Demokratie”, der sich seit inzwischen 32 Jahren für mehr Teilhabe der Bürger an politischen Prozessen einsetzt. Für ein Wahlrecht ab 16, für mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen, für das Gelingen von Volksbegehren, Volksentscheiden und Bürgerräten. Kurzum: Für eine direkte Demokratie. 

Oliver Wiedmann ist Sprecher des Landesverbands und für die Lobbyarbeit zuständig. Zusammen mit seinem Team aus sieben Hauptamtlichen koordiniert er neue Initiativen, organisiert Unterschriftensammlungen und neue Kampagnen. All das von seinem kleinen Büro an der Greifswalder Straße aus, das er sich mit seiner Kollegin teilt. Denn hier sitzt die Nicht-Regierungsorganisation “Mehr Demokratie”, und das nicht zufällig: Eingeschlossen ist der Verein in das “Haus für Demokratie und Menschenrechte”, das sich über zwei Hinterhöfe erstreckt. In dem Altbau-Komplex, in dem einst DDR-Oppositionsgruppen und Bürgerbewegungen gearbeitet haben, sitzen inzwischen mehr als 50 NGOs und humanistische Organisationen, darunter Amnesty International, die Deutsche Umweltstiftung und der Flüchtlingsrat Berlin e.V. 

 

Oliver Wiedmann im Hauptstadtbüro von "Mehr-Demokratie"

Oliver Wiedmann, Leiter des Hauptstadtbüros von „Mehr-Demokratie“. Foto: Mona Linke

 

Es dauert halt einfach lang“

Wiedmann und sein Team haben ihr Büro im Hinterhof, der Verein hat hier gleich eine ganze Etage gemietet. Die “Demokratie-Etage”, wie Wiedmann sie mit einem Schmunzeln nennt. Neben “Mehr Demokratie” sitzen hier zum Beispiel der Verein OpenPetition, der eine Online-Petitionsplattform betreibt und für eine Art Bürgerlobby kämpft. Oder die Omnibus GmbH, die sich für eine neue, direkte Form der Volksabstimmung einsetzt. Wir als Bürger sind direkt betroffen von der Politik, also müssen wir auch mitbestimmen können”, sagt Wiedmann, der in kurzer Hose und weißen Sneakern durch die eher anspruchslos gestalteten Räumlichkeiten seines Büros führt: Teppichboden, rote Wände, kleine Kaffeeküche. 

In Berlin sei man mit Rot-Rot-Grün an der Spitze schon recht offen für Gespräche und Reformen, so Wiedmann. Und doch stößt der Verein in der Hauptstadt immer wieder an seine Grenzen, wenn es um Reformen oder die Umsetzung von Volksbegehren geht. Größtes Hindernis: die lahmenden Mühlen der Berliner Verwaltung. Es dauert halt einfach lang”, fasst es der Büroleiter zusammen, Und das nervt”. 342 Tage dauert es im Schnitt, bis eine Initiative von der Berliner Verwaltung auf seine Rechtmäßigkeit geprüft wird. Erst dann kann das Abgeordnetenhaus über den Gesetzesentwurf beraten. 

 

Transparenzgesetz hängt in der Warteschleife

Während eine solche Prüfung in anderen Bundesländern nur wenige Monate dauert, lässt sich der Berliner Senat also gerne Zeit. Wiedmann und sein Team bekommen das andauernd zu spüren, auch jetzt wieder: Vor etwas mehr als einem Jahr haben “Mehr Demokratie” und die “Open Knowledge Foundation” Unterschriften für die Einführung eines Transparenzgesetzes zusammengetragen, das Behörden verpflichten würde, jegliche Lobby-Treffen und Gutachten zu veröffentlichen. Die Unterschriftensammlung haben sie beim Senat eingereicht – und noch immer wird der Antrag geprüft. Wir hängen jetzt seit acht Monaten in der Warteschleife”, ärgert sich Wiedmann. Die Regierung nehme Vereine wie “Mehr Demokratie” immer noch eher als Störfaktor wahr, so sein Eindruck. Wir wollen ja einen Beitrag leisten, um Berlin besser zu machen. Dieses Signal scheint aber noch nicht richtig angekommen zu sein”. 

 

Fünf (missglückte) Volksbegehren in Pankow

Immerhin: 46 Volksbegehren wurden mithilfe der NGO seit 2015 bereits umgesetzt. Sechs davon erfolgreich. Im Bezirk Pankow ist die Bilanz dagegen eher mäßig: Fünf Bürgerbegehren gab es hier in den vergangenen fünf Jahren – und sie alle scheiterten. Weil nicht genügend Unterschriften zusammenkamen, wie bei der Forderung nach einem “moderaten Umbau” der Kastanienallee aus dem Jahr 2011. Oder weil das Bürgerbegehren als unzulässig erklärt wurde, wie es 2006 der Fall war, als eine Interessengemeinschaft den Neubau einer Moschee verhindern wollte. Auch die direkte Demokratie ist an den Rechtsstaat gebunden”, erklärt Oliver Wiedmann. Entspricht ein Begehren nicht dem Grundgesetz, wird es abgewiesen. Überhaupt stehe vor der eigentlichen Unterschriftensammlung eine Menge Arbeit: Die Initiatoren tauschen sich mit Behörden und Abgeordneten aus – ein Begehren gibt es erst, wenn nichts bei den Gesprächen herauskommt. 

Wenn ich mit Bekannten zum ersten Mal über das Thema spreche, sind sie davon immer überrascht”, erzählt Wiedemann. Dass das Ganze wirklich Hand und Fuß hat”. 

 

Das könnte Dich auch interessieren

Hinterlasse einen Kommentar