Meryem Moll

Therapie per Video-Chat

von Mona Linke 30. April 2020

Home-Office und soziale Isolation schlagen aufs Gemüt. Aber wie geht es den Leuten, die ohnehin schon psychische Probleme haben? Zwei Therapeuten aus Prenzlauer Berg erzählen.


„Ich hätte heute eigentlich drei Doppel-Sitzungen”, sagt Meryem Moll. An einem Dienstagvormittag sitzt die Diplom-Psychologin vor ihrer Praxis an der Kopenhagener Straße. Fast alle Patient*innen haben ihre Termine abgesagt, nur wenige kommen noch zur Therapie. „Die meisten meiner Klienten sind Selbstständige: Musiker*innen oder Filmproduzent*innen, die jetzt verunsichert sind oder fürchten, in finanzielle Engpässe zu geraten”.   Molls Patient*innen sind keine Menschen mit schweren Depressionen, Angst- oder Panikstörungen. In ihre Privatpraxis in Prenzlauer Berg kommen verzweifelte Paare, Führungskräfte oder Menschen, die Hilfe bei der Persönlichkeitsentwicklung wünschen. „Ich kann sie also ihren Weg gehen lassen, ohne mir Sorgen machen zu müssen”, sagt Moll. Ab und zu meldet sie sich per E-Mail bei ihren Patient*innen, schickt einen aufmunternden Text oder ein Sprichwort. 

 

Viele Gefühle bleiben einem verborgen”

Von den wenigen, die ihre Therapie nicht auf Eis legen wollten, sind die meisten auf Video-Sitzungen umgestiegen. Für Meryem Moll gewöhnungsbedürftig: „Mir ist jetzt wieder bewusst geworden, dass die Sprache allein nur ein sehr, sehr kleiner Teil ist”. Viel mehr ginge es bei den Behandlungen um die Wahrnehmung, die Körpersprache oder Intuition. „Viele Gefühle bleiben einem über Video verborgen”.   Es sind vor allem Paare mit Beziehungsproblemen, die nach wie vor mit der Therapeutin sprechen wollen. Bei einigen habe sich durch die Corona-Krise etwas verändert: „Die Themen sind andere. Es geht jetzt häufig um Angst und Sicherheit, die Beziehungsprobleme rücken in den Hintergrund”. Dass einige Beziehungen an dem gemeinsamen Lagerkoller zerbrechen, will die Therapeutin allerdings nicht ausschließen. „Ich denke, dass sich Paare jetzt trennen werden, die vor Corona kurz davor standen”, sagt Moll. Wieder anderen könnte die Ausnahmesituation auch helfen: „Ich könnte mir vorstellen, dass kleinere Streitereien an Bedeutung verlieren und sich jetzt viele die Frage stellen, was im Leben eigentlich wirklich wichtig ist”. 

Überhaupt beweise doch die aktuelle Situation, wie veränderungsbereit die Menschen eigentlich sind. „Viele Menschen haben ihre Gewohnheiten, aus denen sie nur schwer herauszuholen sind. Jetzt merken sie, wie flexibel sie doch sind”. Meryem Moll findet die aktuelle Situation “wahnsinnig spannend”. Doch die Berlinerin freut sich auch auf die Zeit nach der Pandemie:  „Ich frage mich: Was beschäftigt die Leute nach Corona?” 

 

Ein Mensch mit starken Ängsten könnte jetzt entspannter sein” 

Diese Frage stellt sich auch Daniel Schmidt, der ebenfalls in Prenzlauer Berg eine Praxis für Psychotherapie betreibt und in Wirklichkeit anders heißt. Zum Schutz seiner Patient*innen will der Diplom-Psychologe aber unerkannt bleiben. An einem Donnerstagnachmittag sitzt Schmidt in einem Ledersessel in seiner Praxis, etwas entfernt von der Therapeutencouch, auf der seit fast sechs Wochen niemand mehr gesessen hat. Trotzdem ist Schmidts Terminkalender so voll wie vor der Corona-Krise. Nur zwei der rund 20 Patient*innen haben ihre Therapie abgebrochen – alle anderen behandelt der Verhaltenstherapeut per Videosprechstunde. Es sind Menschen mit schweren Depressionen, Zwängen oder Ängsten, Schizophrenie oder Psychosen, die normalerweise zu Schmidt kommen und jetzt über das Internet mit ihm sprechen – oder es zumindest versuchen. 

„Viele sind zu Hause nicht alleine, die Familie oder der Partner sind da. Da fällt es oft schwer, sich auf das Gespräch einzulassen”. Eine Sitzung habe Schmidt deswegen sogar schon abbrechen müssen. „Er hat immer wieder zur Tür geguckt, ob jemand hereinkommen könnte”.  Wie die aktuelle Situation, die Ausgangsbeschränkungen und die soziale Isolation auf die Patient*innen wirke, sei ganz individuell. „Den einen trifft es stark, den anderen gar nicht”, so Schmidt. Ein Mensch mit starken Bewertungsängsten, also zum Beispiel jemand, der sich sonst in der Öffentlichkeit hinter einer Fassade versteckt und sich ständig verstellt, könnte jetzt sogar entspannter sein, weil der Druck plötzlich weg ist, so der Verhaltenstherapeut. Hilfreich sei das allerdings nicht, im Gegenteil: „Der Patient ist dann erst einmal entlastet – aber genau so jemand sollte eigentlich mehr unter Leute gehen”. Den Wiedereinstieg in die Therapie könnte das später erschweren, fürchtet Schmidt. 

 

Bei Depressionen ist die Isolation fatal 

In einem anderen Fall könnte die veränderte Situation durchaus auch hilfreich sein: „Jemand, der viel Bestätigung von außen holt, weil er sich selbst nicht akzeptieren kann, steckt jetzt vielleicht in völliger Einsamkeit und Hilflosigkeit fest”. Für den Psychotherapeuten würde das bedeuten, jetzt „ans Eingemachte” gehen zu können.   Für Menschen mit Depressionen und Ängsten sei die soziale Isolation generell nie förderlich, sagt Schmidt. Vieles, das der Therapeut im persönlichen Treffen mit seinen Patient*innen ausprobiert, ist jetzt nicht mehr möglich. „Ich kann jetzt nicht mehr sagen: Gibt es jemanden, mit dem Sie joggen gehen oder sich verabreden können?”  Noch schwieriger dürfte es allerdings für die Leute sein, die normalerweise zu Gruppentherapien gehen, sagt der Berliner, der selbst früher eine Gruppentherapie für Menschen mit sozialen Ängsten geleitet hat. „Die bestehen zu einem großen Teil aus aktiven Übungen, aus Rollenspielen oder einem nachgestelltem Small-Talk”. Wenn all das jetzt wegfällt, könnte das für die Teilnehmer*innen fatal sein, so Schmidt. 

 

Video-Behandlung bisher nicht erlaubt 

Auch jetzt noch bringt der Therapeut in seine Einzelsitzungen gerne aktive Übungen wie Entspannungs- oder Meditationsübungen ein. „Und dann ist plötzlich die Verbindung weg”.  Doch wie auch Meryem Moll aus der Kopenhagener Straße bleibt David Schmidt zuversichtlich: „Ich freue mich auf die neue Forschung”, sagt der Psychotherapeut. Denn noch sei nicht erforscht, welche Erfolge sich mit einer Video-Therapie erzielen lassen. Das liegt vor allem daran, dass Psychotherapeuten die Videobehandlung bislang weitgehend untersagt war. Nur jeden fünften Patienten durften die Ärzte übers Internet anrufen.  Wegen der Corona-Krise wurde die Regelung jetzt erst einmal aufgehoben.  Dieser unverhoffte Digitalisierungsschub könnte durchaus eine Chance sein, findet Schmidt. Zum Beispiel für Patient*innen, die Hausbesuche wünschen, weil sie zum Beispiel bettlägerig sind oder schlecht zu Fuß. Einigen Patienten fällt es womöglich sogar leichter, über Video zu kommunizieren, wenn sie sich dabei in ihrem eigenen, kontrollierten Raum befinden, spekuliert Schmidt – während es für wieder andere puren Stress bedeutet. 

Therapie per Video-Chat – für Schmidt und seine Patient*innen ist das eine gewaltige Umstellung. Und doch ist der Diplom-Psychologe froh über die neue Technik: „Ich bin dankbar, dass wir diese Möglichkeiten haben. Ohne Internet wäre es schwierig. Und vielen Patienten würde es deutlich schlechter gehen”. 

 

Foto: Mona Linke

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