Dass wir uns während der Pandemie zuhause isolieren können, ist ein Privileg: In Berlin leben zahlreiche Menschen ungeschützt auf der Straße. Wie Prenzlauer Berg sich derzeit um die Obdachlosen kümmert.
Überfüllte Notunterkünfte, mangelnde Möglichkeiten für Hygiene und Desinfektion, keine sicheren Rückzugsorte für die selbst gewählte Isolation: Wie schafft man es, dass sich Obdachlose nicht in die Gefahr einer Ansteckung mit dem Corona-Virus begeben? „Ein Thema, das sich sehr schwierig gestaltet“, sagt Bezirksstadträtin Rona Tietje (SPD). Am Dienstag diskutierte der Pankower Ausschuss für Arbeit, Soziales und Wirtschaft über die Lage der Wohnungslosen und die „Gabenzäune“, die in den letzten Wochen an verschiedenen Orten in Prenzlauer Berg, unter anderem in der Cantianstraße und an der Kulturbrauerei, entstanden sind.
„Das Bezirksamt Pankow begrüßt die Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung, in der aktuellen Situation Solidarität zu üben und anderen Menschen Hilfe zu leisten“, heißt es; doch verursachten die Spenden zusätzliche Infektionsrisiken, da die Hygienemaßnahmen nicht überprüft werden können. Um an den Inhalt der Tüten zu gelangen, müssten Bedürftige diese notwendigerweise öffnen, ein gründliches Händewaschen sei aber im Anschluss nicht immer möglich. „Der Bezirk wird vorerst keine Maßnahmen treffen, um die Gabenzäune abzuräumen“, so Tietje, rät den Anwohner*innen aber, auf andere Möglichkeiten der Spende zurückzugreifen.
Zelte, Isomatten, Schlafsäcke
„Lebensmittel- und Kleiderspenden brauchen wir aktuell nicht, am besten können Sie uns mit einer Geldspende unterstützen“, sagt Simone Barack vom Sozialprojekt Prenzlauer Berg in der Dunckerstraße, „oder mit kleinen Zelten, Isomatten und Schlafsäcken.“ Viele wohnungslose Menschen möchten die Nächte nicht in einer Notunterkunft verbringen, erzählt sie, aus Angst vor Diebstahl und Gewalt – und einer Ansteckung mit dem Virus.
Täglich zwischen 10 und 14 Uhr stellt die Tagesstätte ein kostenfreies Frühstück und Mittagessen sowie Heißgetränke für Bedürftige zur Verfügung, rund 40 Menschen nehmen das Angebot aktuell im Durchschnitt wahr – im „Normalbetrieb“ sind es meist doppelt so viele. Aufgrund der strengen Hygienevorschriften wird das Essen durch ein Fenster ausgegeben, die Beratungen mussten stark reduziert werden und die Möglichkeit, sich in der Tagesstätte für längere Zeit niederzulassen, besteht derzeit gar nicht. „Viele Menschen vereinsamen gerade“, so Simone Barack.
„Wir sind ein halbes Krankenhaus“
Mit deutlichen Einschränkungen muss auch die Notübernachtung des Strassenfeger e.V. arbeiten. Nur noch die Hälfte der Menschen – 16 anstatt 30 Personen – können in der Storkower Straße 139 übernachten, statt vier sind zwei Personen pro Raum zugelassen. „Außerdem musste die Fluktuation stark reduziert werden“, sagt Tanja Schmidt. Für gewöhnlich müssen die Schlafgäste das Haus nach einer Nacht am nächsten Morgen um acht Uhr wieder verlassen, jetzt bleiben sie zwei bis drei Wochen am Stück.
Neben dem Tagesgeschäft sei man ständig mit sauber machen und Hände waschen beschäftigt, „außerdem kommt niemand rein, ohne Fieber gemessen zu haben. Wir sind ein halbes Krankenhaus gerade“, so Schmidt. Menschen mit Verdacht auf eine Infektion könnten nicht untergebracht werden; „vermutlich verbringen sie ihre Quarantäne in der Ringbahn“, es gebe einfach kaum Anlaufstellen. Auch hier bittet man um die Spende von Schlafsäcken und Geld: Weil die Berliner Tafeln aus Gastronomie und Einzelhandel weniger Lebensmittel erhielten, käme es zu Lieferproblemen; mit finanzieller Unterstützung könne die Nahrungsversorgung der Wohnungslosen trotzdem gewährleistet werden.
Sorge vor dem Lagerkoller
Gute Nachrichten kommen hingegen aus der Notübernachtung ein paar Häuser weiter, in der Storkower Straße 133a. „Wer sich am 30. April in unser Notübernachtung meldet, wacht am 1. Mai in einem 24/7-Betrieb auf“, freut sich Robert Veltmann, Geschäftsführer der Gebewo pro. Nach Verhandlungen mit dem Bezirk über die Finanzierung und Gesprächen mit der Vermieterin über die Ausweitung der Unterkunft, können Wohnungslose bald für längere Zeit und auch ganztägig vor Ort bleiben, täglich gibt es drei Mahlzeiten.
Damit die Hygienevorschriften eingehalten werden können, ohne Schlafplätze zu verlieren, werden die 100 Betten ab Mai von zwei auf fünf Etagen verteilt, auch hier schlafen maximal zwei Personen in einem Raum. „Wir tun alles, was wir als Nicht-Mediziner tun können, um Infektionen zu vermeiden. Aber es bleibt ein Restrisiko“, so Veltmann. „Sollte sich jemand bei uns mit Corona infizieren, müsste das ganze Haus unter Quarantäne gestellt werden.“ Um den Betrieb rund um die Uhr stemmen zu können, sollen nun zusätzliche Mitarbeiter*innen eingestellt werden, der Schwerpunkt liegt auf der psychosozialen Betreuung.
Während die Versorgung erst mal gewährleistet ist, stellt sich Veltmann eine andere Frage:“ Wie kann man Menschen beschäftigen, wenn sie sich rund um die Uhr an einem Ort aufhalten, sodass kein Lagerkoller und keine Konflikte entstehen?“ Benötigt werden zahlreiche Sachen, von Büchern und Zeitschriften über Brettspiele und Tischtennisplatten bis hin zu Gartenmöbeln oder einem Grill: Spenden werden gerne entgegen genommen.
„Stadtmission und Tafel waren sofort dabei“
Sehr schnell aus der Taufe gehoben wurde das „Horizonte-Mobil“, das seit vergangener Woche Wohnungslose in Reinickendorf und Pankow versorgt. Zweimal die Woche werden rund 50 Lebensmittelpakete mit belegten Brötchen, Trinkwasser, Schokolade und Obst an Menschen auf der Straße verteilt. Auch Hygienepakete mit Desinfektionsmittel, selbstgenähten Schutzmasken und Kleidung vergeben die mobilen Straßensozialarbeiter regelmäßig.
„Die Idee für das Mobil ist vor zwei Wochen entstanden“, erzählt Dana Saky von der Horizonte gGmbH, die mit Unterstützung des Sozialamtes Pankow arbeitet. „Wir haben bei der Berliner Stadtmission und den Tafeln angefragt und die waren sofort dabei“. Auch er erwähnt, dass die Tafeln aktuell weniger Essen bekämen, weswegen eine Spende direkt dorthin am sinnvollsten sei. Des Weiteren könne man das Team des Horizonte-Mobils telefonisch erreichen, wenn man einen Obdachlosen sehe, der Unterstützung benötigt. „Die meisten Obdachlosen sind in Pankow und Prenzlauer Berg; Wir kennen natürlich die Hotspots, aber die Personen befinden sich ja nicht immer am gleichen Ort“.
Nachtcafé vorzeitig beendet
Noch bis Anfang Mai wird in der Herz Jesu Pfarrei in der Fehrbelliner Straße dreimal die Woche eine warme Mahlzeit ausgegeben. Das Nachtcafé, welches Obdachlosen für gewöhnlich von November bis Ende März Essen und Unterkunft bietet, musste Mitte März vorzeitig beendet werden. Doch es wird weiter gekocht: „Ein Ehepaar, das ohnehin im Nachtcafé sehr engagiert ist, steht nun dreimal in der Woche in der Küche, eine Familie verteilt das Essen“, schreibt Thomas Hartmer, der das Nachtcafé leitet.
Auf den Mindestabstand und die Hygienemaßnahmen wird streng geachtet: „Wir haben eine Wegeleitung mit klarem Ein- und Ausgang aufgebaut, so dass sich die Wege der Besucher*innen und der Teams nicht kreuzen. Es wird mit Handschuhen Essen ausgeteilt – die Bedürftigen nehmen sich die warme Mahlzeit von einem Tisch, Besteck und Servietten sind verpackt. Teller und Besteck werden entsorgt. Das Essen ist zum Mitnehmen, kann aber auch auf Bänken, die breit verteilt auf dem Kirchhof stehen, gegessen werden.“
Das Angebot werde sehr gut angenommen, so Hartmer, ungefähr 35 Personen kämen jedes Mal zum Essen. „Die Gäste berichten, dass sie gut versorgt sind in der Stadt, aber natürlich deutlich weniger an Pfand sammeln und weniger an Geld erbeten können.“ Spenden können erst wieder mit dem Beginn der neuen Saison im November abgegeben werden, doch helfen kann man auch jetzt: „Wir wünschen uns, dass Sie den Bedürftigen ein Lächeln und ein freundliches Wort schenken – dies jederzeit!“