Schönhauser Allee 69

„Wir lassen uns da nicht rausholen“

von Mona Linke 16. April 2020

Seit Jahren streiten Mieter*innen und Investoren um die Zukunft der Schönhauser Allee 69. Ein meterhohes Baugerüst hat den Kampf jetzt neu entfacht.


„Zuhause bleiben”, lautet dieser Tage die Devise. Und für einige Menschen in der Stadt wird das zur Zerreißprobe. Sandra Schmidt zum Beispiel ist aus ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg „geflüchtet”, wie sie es nennt – denn vor ihrem Fenster ragt seit drei Wochen ein meterhohes Baugerüst in die Höhe. Schmidt wohnt seither in ihrem Schrebergarten in Rosenthal. Fehlenden Komfort nimmt die Berlinerin gern in Kauf, um nicht einen Tag länger in ihrer Wohnung sitzen zu müssen. Hier in Pankow sei sie „weit genug weg” von allem, sagt sie lakonisch.

Und man versteht die Mieterin, wenn man sich ihr Zuhause, die Schönhauser Allee 69, ansieht. Seit inzwischen 18 Tagen ragt ein meterhohes Baugerüst eine Hauswand im Hinterhof empor. Dachinstandsetzungsarbeiten. Für die Bewohner*innen  von insgesamt vier Wohnungen bedeutet das: Dämmerlicht, Lärm, Baustellendreck und keinerlei Privatsphäre.

„Ich verstehe gar nicht, warum die Arbeiter jetzt überhaupt noch so viel rumrennen dürfen”, sagt Sandra Schmidt, die als Risikopatientin möglichst viel Abstand zu anderen Menschen wahren möchte.  Vier Wochen sollen die Arbeiten andauern, heißt es vom Bauamt in Pankow. Und bis zum Ablauf dieser vier Wochen werden die Mieter*innen der Schönhauser Allee 69 wohl auch noch mit dem Gerüst leben müssen – denn gegen geltendes Recht verstößt der Eigentümer damit nicht, wie Pankows Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) mitteilt: „Wir haben natürlich kein Gerüst zu genehmigen, welches auf Privatgelände errichtet wird. Und das ist hier der Fall.“ Auch seien die geplanten Maßnahmen nicht genehmigungspflichtig, heißt es derweil vom Bauamt in Pankow. Es gebe einen Schaden am Dach, daher seien die Arbeiten notwendig.

Doch Sandra Schmidt glaubt all das nicht. Sie hält das Gerüst und die Bauarbeiten für Staffage, für einen Vorwand: „Ich denke, dass sie das Dach komplett renovieren und anschließend teuer vermieten wollen”, sagt sie. Ein Misstrauen, das nicht von ungefähr kommt. Denn seit inzwischen zwei Jahren tobt ein erbitterter Kampf um das fünfstöckige Wohnhaus an der Schönhauser Allee. Die Kontrahenten: besorgte Bewohner*innen gegen sanierungsfreudige Investoren. Ringrichter ist der Bezirk Pankow.

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Firmengeflecht bis nach Zypern

Doch von vorne: Ursprünglich wurde das Mietshaus einmal von den Wohnungsgesellschaften KWV und WiP und der Treuhand AG verwaltet. Schon zu DDR-Zeiten zogen Künstler, Kreative und Musiker in das 20-Parteien-Haus und eröffneten Ateliers. Im Juli 2016 kauften die beiden Investoren Rom Zalel und Itai Amir die Immobilie und gründeten die Schönhauser Allee 69 Berlin GmbH mit Sitz an der Bleibtreustraße 32 in Charlottenburg. Laut Informationen des Recherche-Unternehmens North Data, das regelmäßig Firmenverflechtungen aufdeckt und analysiert, gehört die Schönhauser Allee 69 GmbH wiederum zu 50 Prozent der Brune Investment AG, dessen Geschäftsführer Itai Amir ist.

Die andere Hälfte gehört laut Recherchen des Netzwerks „200 Häuser” der Aberavon Limited, einer Firma mit Sitz in der zyprischen Hauptstadt Nikosia, die allerdings an einem Briefkasten endet. Vertreten wird die Aberavon Limited von der Anwaltskanzlei KKLaw Secretaries, die unter anderem ganze Immobilienunternehmen wie Grand[3] City Properties und Aroundtown vertritt, die in den größten europäischen Metropolen mehr als 100.000 Wohnungen besitzen.

 

 

Schönhauser Allee 69

Leben hinter einem Gerüst. Foto: Archiv Schönhauser Allee 69.

 

Nach einer ersten Mieterhöhung im November 2017 kündigen die Eigentümer vier Gewerbemieter*innen in dem Haus die Ateliers, die seither leer stehen. Die ersten Bauanträge stellen die neuen Eigentümer im Sommer 2018. Die Pläne: Dachgeschossneubau, Modernisierung des Seitenflügels, Anbau von Balkonen und Aufzug, Neubau von Badezimmern, Wärmedämmung, Austausch der Fenster, Bau eines fünfstöckigen Wohnateliers und umfangreiche Grundrissänderungen. Einzig letztere verhinderte der Bezirk Pankow, alle anderen Maßnahmen wurden genehmigt. Im Dezember 2018 trifft bei den Mieter*innen die Modernisierungsankündigung ein, genauer gesagt: am 27.12.2018. Vier Tage, bevor das sogenannte Mietrechtsanpassungsgesetz greift, nach dem Modernisierungen nicht mehr zu elf Prozent, sondern nur noch zu acht Prozent auf die Mieter*innen umgelegt werden dürfen.

So erklärt es auch Vollrad Kuhn in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Pankower Linken:

Eine Kappung der Miethöhe nach Modernisierung durch die ortsübliche Vergleichsmiete, (…) ist im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht vorgesehen. Daher können Mieten nach Modernisierung die Werte des Berliner Mietspiegels erheblich überschreiten. Demnach müssen sich die Mieterinnen und Mieter der Schönhauser Allee 69 auf Basis des geltenden Mietrechts mit dem Vermieter auseinandersetzen.

Gesagt, getan. Mietpreissteigerungen von bis zu 19,50 Euro pro Quadratmeter wollte allerdings kein Mieter in dem Haus akzeptieren. Bis heute wurden die Erhöhungen nicht geduldet. Denn dieses Recht haben Mieter*innen. Auch dürfen sie – anders als Gewerbemieter – nicht einfach gekündigt werden. Genau das wäre aber vielen geschäftstüchtigen Investoren das Allerliebste, schließlich lassen sich leere Immobilien sehr viel teurer verkaufen als vermietete. Die einzige Möglichkeit, die Immobilienbesitzer hier haben, ist die Umwandlung in Eigentum.

„Der Bezirk hat alle durchgewunken“ 

In sozialen Erhaltungsgebieten, wo der der Milieuschutz greift, ist das eigentlich verboten. Und trotzdem kommen Eigentümer*innen immer wieder damit durch. Grund dafür ist Paragraf 172 im Baugesetz, nach dem eine Umwandlung erteilt werden muss, wenn sich der Käufer verpflichtet, innerhalb von sieben Jahren nur an die Mieter zu verkaufen. Nach sieben Jahren darf der Eigentümer dann auch die vermieteten Wohnungen verkaufen und die Mieter*innen gegebenenfalls kündigen. Im Milieuschutzgebiet sind es zwölf Jahre.

In einem solchen Milieuschutzgebiet befindet sich auch die Schönhauser Allee 69. Schmidt macht das umso wütender: „Der Bezirk hat alle durchgewunken, die eine Umwandlung beantragt haben”, sagt sie. Überhaupt ist Schmidt enttäuscht vom Bezirk Pankow: „In Friedrichshain-Kreuzberg wäre das nicht passiert”.

Zumindest gilt seit dem 15. Mai 2019 ein Baustopp für die Schönhauser Allee. Der Grund: Die Bauarbeiter haben unerlaubt angefangen, die leerstehenden Wohnungen zu renovieren, obwohl der Baubeginn noch nicht angezeigt war. Erst wenn Standsicherheit und Brandschutz geprüft wurden, dürfen die Arbeiten beginnen.

Es gibt keine Motivation, Mieter zu vergraulen”

Schmidt und die anderen Bewohner*innen denken gar nicht daran, aufzugeben. „Wir lassen uns da nicht rausholen”, sagt die Mieterin. „Man kauft sich auch kein Haus voller Künstler, das ist schon ein bisschen blöd. Wir haben halt keine Angst”.

Doch was sagen eigentlich die Eigentümer zu all dem? Itai Amir, dessen Firma die Schönhauser Allee 69 Gmbh zur Hälfte gehört, zeichnet ein anderes Bild von der Lage: „Es gibt keine Motivation, Mieter zu vergraulen oder die Miete unnötig nach oben zu treiben”, sagt der Investor auf Anfrage. „Ganz im Gegenteil versuche ich seit mindestens anderthalb Jahren, eine gemeinsame Lösung zu finden”.

Ein Treffen zwischen Amir und den Mieter*innen hat es tatsächlich gegeben, vor knapp einem Jahr. Man habe ihnen damals ein Angebot gemacht, erinnert sich Sandra Schmidt. „Dass wir zwei Euro weniger zahlen oder so”. Ihre Anwältin habe den Vorschlag nur als “völlig indiskutabel” abgewunken.

Amir hingegen beteuert, dass alle Arbeiten in enger Absprache mit dem Bezirksamt getätigt wurden. Und weiter: „Ja, ganz klar. Das Haus muss saniert werden und es wird auch neuer Wohnraum geschaffen. Ist es heutzutage eine Schande, wenn man ein Haus renovieren möchte, dass wegen seines Zustands für die Mieter Gefahren birgt?” Tatsächlich hat sich nicht nur an der maroden Außenfassade, sondern auch im Innern des Mietshauses in den vergangenen 200 Jahren nicht viel verändert: Das stille Örtchen auf dem Gang ist der Standard, vereinzelt sind Fußböden durchgebrochen, geheizt wird mit Öfen.

„Ich würde mich gegen ein paar Dinge nicht sperren”, sagt Sandra Schmidt. Von hinten zum Beispiel sehe das Haus schlimm aus. Aber überteuerter Schnick-Schnack wie eine Luxus-Haustür, die der Eigentümer habe einbauen wollen – dafür wolle sie nicht mehr Miete zahlen.

Was das Gerüst betrifft, bleibt Sandra Schmidt und den anderen Mieter*innen nichts anderes übrig, als erst einmal abzuwarten. Und weiter darauf zu hoffen, dass sich die Schönhauser Allee 69 eines Tages in das zurückverwandeln wird, was sie eigentlich sein sollte: ein Zuhause.

Foto oben: Mona Linke

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