Viele Gotteshäuser verlagern ihr Angebot dieser Tage ins Internet. Das Stadtkloster Segen in Prenzlauer Berg fährt derweil einen anderen Kurs.
„Hey, ihr Lieben!”, ruft Antje Erdmann und winkt überschwänglich in die Kamera. Die Diakonin, grauer Fleecepullover und Jeans, sitzt auf dem Teppichboden, die Kamera ist frontal auf sie gerichtet. Vor sich breitet sie ein Stofftuch aus, drapiert ein Glas Rotwein und ein Körnerbrötchen darauf. Drumherum: 13 kleine Holzfiguren. Jesus und seine Jünger, die zum Abendmahl Platz nehmen. Doch bevor gegessen und getrunken wird, steht die Fußwaschung an. Also lässt Erdmann das Jesus-Holzmännchen, es ist etwas größer als die anderen, einmal um den Tisch herum wandern und jedem Jünger ein kleines Waschbecken hinstellen. „Das dauert eine Weile”, sagt die Diakonin mit sanfter, fast meditativer Stimme.
Sechs Minuten geht das Video mit dem Titel “Fußwaschung und Abendmahl”. Es ist einer von vielen Clips, die die Evangelische Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord (EKPN) in den vergangenen zwei Wochen auf ihrer Webseite hochgeladen hat. 89 Abonnenten haben den neu gegründeten Youtube-Kanal der Gemeinde abonniert, alle paar Tage erscheint dort der Mitschnitt eines Gottesdienstes, den die Geistlichen vor leeren Kirchenbänken abhalten. Am Gründonnerstag können Menschen mit Wein und Brot am Esstisch sitzen und am Abendmahl teilnehmen, die Herz-Jesu-Kirche in Prenzlauer Berg vergibt sogar interaktiv den Segen.
Gottesdienste ausdrücklich verboten
Die Gotteshäuser in Prenzlauer Berg bilden mit ihrem Online-Angebot keine Ausnahme. Denn der durch das Corona-Virus ausgelöste Digitalisierungsschub hat bundesweit auch die Kirchen erfasst. Öffentliche Gottesdienste und andere “vermeidbare” Veranstaltungen sind seit Ende März offiziell verboten, so steht es in der SARS-Co-V2-Eindämmungsverordnung. Einkaufen, Spazierengehen oder Sport bilden eine Ausnahme – nicht jedoch der Besuch von Gotteshäusern. Und so drehen nun Pfarrer*innen Videos mit der Smartphone-Kamera, nehmen Vikarinnen Podcasts auf oder verschicken Diakone geistliche Impulse per E-Mail. Es gilt, präsent zu bleiben und den Kontakt zu den Schäfchen nicht zu verlieren.
Doch auf diesen Zug möchte nicht jeder aufspringen. Carsten Albrecht ist eines von sechs Konvents-Mitgliedern im Stadtkloster Segen an der Schönhauser Allee, das ebenfalls zur Evangelischen Gemeinde Prenzlauer Berg Nord gehört. Fünf Tage vor Ostern sitzt der Familienvater auf einem Plastikstuhl im Klostergarten hinter der Kirche, neben ihm sein Sohn auf einem Holzstamm.
„Die Angebote von den Kirchen sind toll”, sagt Albrecht. „Aber die muss man nicht nach Athen tragen”. Albrecht will lieber darauf verweisen, was die anderen Kirchen schon anbieten, statt mit ihnen in Konkurrenz zu treten. Zumindest teilweise ist aber auch das Kloster an der Schönauer Allee digitaler geworden. Spirituelle Gedanken, Psalme und Meditationen werden per Mail rausgeschickt, der Glaubenskurs findet über Videokonferenz statt. Albrecht kommt gut damit zurecht: „Die Gesprächsqualität ist sogar hoher. Man ist fokussierter und verfällt nicht so leicht in die Laberei”.
Präsent zu bleiben, das ist für den Orden, die Stadtkloster-Gemeinschaft, fast wichtiger als für die normalen Kirchen. Denn das Kloster finanziert sich hauptsächlich durch Gäste: Konfirmanden, Reisegruppen, Touristen. Spirituelle Suchende oder gestresste Arbeitnehmer, die eine Auszeit vom Alltag brauchen. Kirchensteuermittel bekommt der Orden nicht, weil er als Verein gilt.
Die Kirche bleibt offen
An diesem Dienstagvormittag vor Ostern aber sind Albrecht und sein Sohn die Einzigen auf dem Gelände. Ein Ausnahmezustand – denn normalerweise um diese Zeit mieten sich um die 70 Leute ins Stadtkloster ein. „Wir sind jetzt dabei, alles abzusagen, Veranstaltungen und Vermietungen zu stornieren”, sagt Albrecht. Noch sei man liquide und könne die nächsten Monate Gehälter auszahlen. Wie es dann weitergeht, müsse man sehen.
Seine Türen schließen wollen die Ordensleute aber noch nicht. Zwar sind die meisten Angebote, darunter Kurse, Filmabende, das Abendgebet oder die Einkehrwochenenden, abgesagt. Ein anderes Angebot haben die Konventsmitglieder dagegen sogar hochgefahren: Vier Nachmittage in der Woche findet nun die “Offene Kirche” statt: Dann können sich Besucher und Interessierte in dem Kloster umsehen oder einfach nur dasitzen und nachdenken. Immer noch wird zweimal am Tag gebetet, auch hier kann kommen, wer will.
„Da verirren sich in der Regel ein bis zwei einsame Spaziergänger in die Kirche. Und das ist jetzt auch nicht anders”, sagt Albrecht. Dass die Segenskirche noch offen steht, findet er vertretbar: „Sich in ein Gotteshaus zu setzen, ist meiner Meinung nach ein legitimer Grund, das Haus zu verlassen”. Zu den öffentlichen Gebeten will Albrecht aber trotzdem nur ungern offiziell einladen. „Ich rufe jetzt nicht dazu auf, dass alle kommen sollen. Da hätten wir dann ein Problem”.
Trotzdem: Auch an den Ostertagen wird die Kirche geöffnet sein. „Das ist das Fest der Feste”, sagt Albrecht. „Da sollten die Leute die Möglichkeit haben, in die Kirche zu gehen”. Man erwarte nicht viele Leute, so Albrecht. Außerdem werde man darauf achten, dass sich nicht zu viele Leute gleichzeitig in der Kirche aufhalten.
„Viele finden jetzt zur Kirche“
Vor allem die Einsamen seien es nämlich, die die digitalen Angebote der Kirchen nicht nutzen würden. „Wir im Konvent sind hier in einer sehr privilegierten Situation, weil wir ohnehin zusammen leben. Deswegen sind wir auch jetzt immer in einer Gemeinschaft, feiern das Osterfest zusammen”. Albrecht kann sich vorstellen, dass viele Gläubige dieser Gedanke tröstet. „Einfach zu wissen, dass das geistliche Leben weiter stattfindet”.
In jedem Fall sei der Sprung ins Digitale für die Gotteshäuser aber eine riesige Chance. „Viele Menschen finden dadurch erst zur Kirche. Eine Freundin zum Beispiel verfolgt jetzt immer die Messe per Livestream”.
Carsten Albrecht weiß, dass es dieser Tage vielen Gläubigen schwerfällt, auf ihre Rituale zu verzichten. Doch auch der aktuellen Pandemie-Zeit kann er etwas Gutes abgewinnen: “Das ist eine interessante Situation, in der wir uns jetzt befinden. Wir sind quasi gezwungen, im Hier und Jetzt zu leben. Man kann nicht über die Zukunft nachdenken, nicht planen“, sagt Albrecht. „Und das ist irgendwo auch schön”.
Foto oben: Mona Linke