Gruppen und Events nur für Frauen ziehen immer mehr Großstädterinnen an. Was steckt dahinter? Zum Frauentag haben wir dem „Wonder Coworking“ in Prenzlauer Berg einen Besuch abgestattet.
Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Famose Frauen aus Prenzlauer Berg“
“Da fehlt doch ein Teil”, sagt Shaghayegh Karioon und wirft einen prüfenden Blick auf das Flipchart, das in Einzelteilen vor ihr auf dem Holzfußboden liegt. „Mh“, sagt sie mit ruhiger Stimme. Gelassenheit liegt auf dem Gesicht der 38-Jährigen. Ein kleines Kind kommt aus dem Nebenzimmer geflitzt, vorbei an Shaghayegh und in einen Nebenraum, in dem bunte Teppiche und Spielzeug liegen. „Das ist meine Tochter“, sagt die Unternehmerin grinsend. Shaghayeghs Ruhe ist nicht selbstverständlich. Die ersten Ankömmlinge haben sich schon hingesetzt, alle paar Sekunden geht die Tür auf und es trudeln neue Gäste ein. Shaghayegh Karioon strahlt dann jedes Mal übers ganze Gesicht, begrüßt überschwänglich, bietet Käse auf Holzspießen und Sekt an.
Gut 30 Frauen werden am Ende in dem kleinen Erdgeschoss-Raum an der Prenzlauer Allee sitzen. Manche auf Schränken in der hintersten Reihe, weil sie keinen freien Stuhl mehr ergattern konnten. Es werden Vermögensberaterinnen kommen, Webdesignerinnen, Studentinnen und Projektmanagerinnen. Manche allein, manche mit Freundinnen, manche mit ihren Kindern.
Fast zwei Stunden werden sie Jeanine Glöyer zuhören, die vor zehn Jahren ihre eigene Modemarkte gegründet hat. Glöyer gehört zu den „Female Founders“ – zu deutsch: weiblichen Gründern, die Shaghayegh Karioon regelmäßig einlädt. Damit sie anderen Frauen ihre Erfolgsgeschichte vortragen, sie inspirieren, ihnen Mut machen. Einen Beweis liefern, dass auch Frauen es ganz nach oben schaffen können. Dass Glöyer ihre Geschichte gerade hier vorträgt, ist kein Zufall. Denn wir befinden uns im „Wonder“ – einem kleinen, unscheinbaren Coworking-Space nur für Frauen. Shaghayegh Karioons Herzensprojekt.
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Diskutieren unter Gleichgesinnten
Die „Only-Women“-Branche boomt, könnte man sagen. Gruppen, Veranstaltungen oder Projekte nur für Frauen sind in der Großstadt längst massentauglich. Sie heißen „Female Techmakers“, „Connecting rising Women“, Crypto Ladies“ oder „Female Founders Stammtisch“. Manchmal geht es nur darum, nach der Arbeitswoche zusammen einen Drink zu nehmen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Ein anderes Mal treffen IT-interessierte Frauen auf die Vorreiterinnen der Blockchain-Branche, werden Vorträge, Diskussionen und Networking-Runden organisiert.
Eines haben dabei alle Initiativen gemein: Sie sollen Frauen dabei helfen, sich zusammenzuschließen und voneinander zu lernen, sich inspirieren zu lassen. „Manche kommen nur für das Netzwerken und die Events hierher“, sagt Shaghayegh, die jetzt ganz hinten in den Zuschauerreihen sitzt und von hier aus den perfekten Blick auf den Eingangsbereich hat.
Fernab von Hipster-Klischees
Das Wonder Coworking ist ein Ort, der so gar nicht aussieht, wie man sich ein Gemeinschaftsbüro für Kreative in Prenzlauer Berg vorstellen würde. Hier gibt es keine langen Designer-Holztische, keine Müsli-Spender, keine bunten Sofas, keine Club Mate. Nein, mit den funktionalen weißen Möbeln, den 90er-Jahre Zimmerpalmen und den abgesenkten Kacheldecken, aus deren Zwischenräumen grelles, kühles LED-Licht strahlt, fühlt man sich für einen Moment eher an das Wartezimmer einer Arztpraxis erinnert.
Bei einem Rundgang durch die Arbeitsräume sind es dann höchstens kleine Details und auch nur vereinzelt, die einen daran erinnern, wo man ist. Ein Schild im Flur, auf dem in Schnörkelschrift „The future is female“ steht. Oder ein buntes Wandtattoo, das im Comic-Design Frauen in verschiedenen Situationen zeigt: Bei der Arbeit vorm Laptop, mit dem Regenschirm auf der Straße oder beim Kaffee mit der Freundin. Und dann ist da noch die kleine Leseecke: ein höchstens vier Quadratmeter großer Raum und im Hintergrund ein meterhohes Bücherregal, in dem Titel wie „Existenzgründung für Frauen“, „Kluge Geschäftsfrauen“ oder „Netzwerken als Erfolgsstrategie für Frauen“ stehen. Viele Bücher sind auf englisch, heißen „A single Woman“ oder „She means business“. Und auch die wohl bekannteste Neuerscheinung feministischer Literatur darf natürlich nicht fehlen: „Alte weiße Männer“ von Sophie Passmann.
„Dieses feministische Empowerment fanden viele bescheuert“
Die Idee, einen Coworking Space nur für Frauen zu eröffnen, kam Shaghayegh Karioon schon 2014, als sie noch Angestellte bei einem großen Anbieter für Büroräume war – und fast ausschließlich mit Männern zusammenarbeitete. „Ich fand das dann immer toll, mit Frauen zu arbeiten“, erinnert sich die Berlinerin. Shaghayegh Karioon war überzeugt von der Idee eines Coworking Spaces nur für Frauen, hatte das Konzept sogar schon der Bank vorgestellt – und dann doch einen Rückzieher gemacht. „Ich habe mich nicht getraut“, erzählt sie heute. Auch, weil ihr Bekannte und Freunde von dem Projekt abgeraten haben. „Dieses feministische Empowerment fanden viele bescheuert“. Und so eröffnete Shaghayegh erst einmal das „Amapola“, einen Coworking Space für beide Geschlechter, der bis heute „sehr gut“ läuft, wie sie bilanziert.
2018 wagte sie es dann doch – und gründete das Wonder Coworking an der Prenzlauer Allee. Ihr Mut hat sich ausgezahlt: Knapp 40 Mitglieder sind durchschnittlich angemeldet, um zusammen zu arbeiten, zu frühstücken, Yoga zu machen oder zu quatschen – und all das ohne Männer. Auch zu den abendlichen Netzwerk-Treffen und Vorträgen dürfen nur Frauen kommen.
Es passiert, dass sich bei so viel Exklusivität eine Frage aufdrängt: Wenn Männer keinen Zutritt haben – ist das dann nicht Diskriminierung? Und unterminiert ein solches Angebot nicht gar das eigentliche Ziel der Gleichstellung von Mann und Frau? Warum keine Männer ihre Erfolgsgeschichten erzählen lassen und sich davon inspirieren lassen?
„Klar, das ginge auch“, meint Shaghayegh Karioon. Man wolle auch nicht, dass Frauen nur anderen Frauen zuhörten. „Aber in der Regel sucht man sich ein Vorbild, das einem gleicht“. Einen Menschen, dessen Gedanken man besser nachvollziehen kann, der die gleichen Probleme und Zweifel hat. „Es wird immer verleugnet, dass es einen Unterschied gibt zwischen Männern und Frauen“, sagt die Gründerin und spannt den Bogen zu sich selbst: Der Grund, warum sie nicht expandiere, sei ihre sieben Monate alte Tochter. „So ein Problem hat ein Mann nicht“, sagt sie. „Die Mitglieder sind nicht hier, weil es keine Männer gibt, sondern weil hier Frauen in der Überzahl sind. Und das kommt selten vor.“ In ihrem anderen Coworking Space seien 80 – 100 Prozent der Mitglieder männlich. Um eine ausgeglichene Mischung herzustellen, müsse sie eine Quote machen. „Und das wäre diskriminierend“.
„Die meisten finden es einfach nett“
Den männlichen Mitgliedern ginge es vor allem ums reine Arbeiten, so Shaghayegh. „Im Wonder dagegen geht es mehr um Freundschaften“. Veranstaltungen und Netzwerk-Treffen würden drüben deutlich schlechter angenommen, auch unterhalte man sich wenig zwischendurch. Und es gibt noch einen Unterschied zwischen den beiden Niederlassungen: „Die Frauen hier haben keine Angst, sich offen zu äußern“, so Shaghayegh.
Das spürt auch Lisa End. Die 23-Jährige ist freiberufliche Webdesignerin und arbeitet die Hälfte der Woche im Wonder Coworking. „Ich glaube, viele Frauen sind in männlicher Gesellschaft schüchterner und haben das Gefühl, sie bräuchten die Erlaubnis, etwas sagen zu dürfen“, so die Berlinerin. Und doch bezweifelt sie, dass Frauen mit der Intention hierher kommen, um Männern aus dem Weg zu gehen. „Ich glaube, die meisten rutschen hier einfach rein und finden es dann nett“, sagt End. So sei es auch ihr gegangen, die nicht vorsätzlich nach einem Büro nur für Frauen gesucht habe.
Es ist inzwischen fast 20 Uhr, Jeanine Glöyer steht noch immer vorne, die Power-Point-Präsentation geöffnet, und beantwortet Fragen der Zuhörerinnen: Wie hast du das Ganze finanziert? Woher kommen die Mitarbeiter? Wie hast du deine Zielgruppe definiert? Nach einer guten Stunde gehen noch immer Hände nach oben, aber die 29-Jährige hakt ein – und holt einen damit ganz nebenbei in die Wirklichkeit zurück. Eine Wirklichkeit, in der das Wort „Gleichberechtigung“ plötzlich wieder klingt wie ein weit entfernter Traum. „Ich habe zu Hause noch ein kleines Kind sitzen, das ins Bett gebracht werden möchte“, sagt die Unternehmerin.
Foto oben: Mona Linke