Vor einem Haus in Prenzlauer Berg hängt seit Monaten eine Werbewand. Die Bewohner klagen über Dunkelheit und schlechte Luft – und der Bezirk jagt einem untergetauchten Hauseigentümer hinterher.
UPDATE vom 26.02.19:
Die Mieter der Torstraße 39 können wieder durchatmen: Der Hauseigentümer hat nachgegeben und die Werbeplane schon am Montag beseitigen lassen. Auch das nur zum Schein auf gestellte Gerüst soll nicht mehr lange stehenbleiben, berichtet die Mieterin, die Anfang der Woche einer Einladung von Stadtentwicklungssenatorin Lompscher (Linke) gefolgt ist. Man kümmere sich jetzt darum, dass künftig strenger geprüft werde, wer wo Werbung anbringe, so die Mieterin.
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ARTIKEL vom 25.02.19:
Behutsam hebt Manuela Schröder* den schweren Blumentopf an, aus dem nur noch ein einzelner mickriger Stiel mit zwei Blättern herausragt. „Das war meine Bananenpflanze”, sagt sie und stellt den Topf zurück auf ein kleines Höckerchen. Drumherum noch mehr Töpfe und noch mehr vertrocknete Pflanzen darin. „35 sind schon eingegangen”, sagt Schröder und lässt einen wehmütigen Blick durch ihren großzügigen Wintergarten schweifen.
Es ist der hinterste Raum in dem schicken Gründerzeit-Altbau zwischen Rosenthaler Platz und Rosa-Luxemburg-Platz, den die Gesundheitswissenschaftlerin seit elf Jahren bewohnt – und der mit seinen stuckverzierten hohen Decken und den abgezogenen Dielen für viele Berliner der Traum ihrer schlaflosen Nächte sein dürfte.
Gäbe es da nicht etwas, das das Leben an der Torstraße 39 seit einem halben Jahr trübt: Es ist eine gigantische dunkelgraue Werbeplane, die an einem Baugerüst direkt vor den Fenstern hängt und das gesamte Vorderhaus in ein neblig-trübes Licht hüllt. Wie ein dunkler Vorhang schirmt die Plane, auf der eine Luxusmarke wirbt, die Wohnungen von Tageslicht und frischer Luft ab. Schröder nennt es „ein Leben hinter Louis Vuitton”.
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Nachts dagegen herrscht an der Torstraße 39 ein ganz anderer Extremzustand: Denn dann entfalten insgesamt vierzehn Scheinwerfer ihre Wirkung und lassen das Werbeplakat bis zum Sonnenaufgang in grellem Flutlicht erstrahlen. „Nach zwei Monaten war unser Tag-Nacht-Rhythmus so gestört, dass wir teilweise mitten in der Nacht zu Mittag gegessen haben”, berichtet die Berlinerin.
Ein lukratives Geschäft
Schröder ist verärgert – denn sie hat längst begriffen, welches System dahinter steckt: Werbung an Baugerüsten, das ist für findige Immobilienbesitzer eine wahre Goldgrube. Immer wieder lassen Hauseigentümer ihre Objekte während der Sanierung unerlaubt hinter haushohen Werbeplanen verschwinden. Mit dem Ertrag aus der Werbung holen sie nicht nur die gesamten Sanierungskosten wieder herein, sondern verdienen sich häufig sogar noch ein kleines Vermögen dazu.
Nutznießer dieses perfiden Systems sind nicht nur die Eigentümer selbst, sondern auch die Baugerüst- und die Werbefirma, die das Banner anbringt. Ob die einzelnen Parteien allerdings immer in die betrügerischen Geschäfte eingeweiht sind, ist unklar. Im Fall Torstraße 39 war lediglich der Gerüstbauer Quadriga GmbH zu erreichen, dessen Geschäftsführer auf Anfrage mitteilte, in dem Anliegen “nicht behilflich sein” zu können.
Und es gibt noch eine Partei, die daran verdient, wenn Immobilienbesitzer ihre Baugerüste mit Werbung tapezieren: Nämlich der Bezirk selbst, dem der Bürgersteig gehört und für die Werbung sogenannte Sondernutzungsgebühren kassiert. Im Falle Torstraße 39 sind es laut Bezirksamt Mitte 15 Euro pro Quadratmeter und pro Monat, was bei einer Werbefläche von 16,8 x 15,2 Metern knapp 3900 Euro pro Monat ergibt.
Niemand fühlte sich zuständig
Einige Immobilienbesitzer betrügen gleich doppelt: Denn an manchen Fassaden wird lange Zeit gar nicht gearbeitet und die Gerüste nur zum Schein aufgestellt, um die Flächen teuer vermieten zu können. So offenbar auch an der Torstraße 39 geschehen: Erst vor einer Woche seien die ersten Bauarbeiter aufgetaucht, berichtet Schröder.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas erlaubt ist”, sagt die Wissenschaftlerin. Und tatsächlich: Eine Werbeplane an einem Gerüst vor einem bewohnten Mietshaus ist illegal, und doch hängt sie bis heute. Wie kann das sein?
Das wollten auch die Grünen im Bezirk Mitte wissen, als sie den Fall vergangene Woche vor die Bezirksverordnetenversammlung trugen – und damit einmal mehr ans Licht brachten, wie sich der deutsche Rechtsstaat doch manchmal selbst im Weg steht, wenn es darum geht, skrupellose Betrüger zur Rechenschaft zu ziehen.
So viel vorweg: Der Fall Torstraße ist dem Bezirksamt Mitte bekannt, und zwar seitdem die Mieterschaft das erste Mal von der Plane berichtet hat, also seit September 2019. Bis der Bezirk aktiv wurde, mussten allerdings erst einmal zwei Monate ins Land gehen. Denn bis dato fühlte sich keine Behörde für den Fall Torstraße 39 zuständig.
Der Grund: Das Wohnhaus selbst steht auf Pankower Seite, der Bürgersteig mit dem Gerüst darauf aber gehört zum Bezirk Mitte. Erst Ende Oktober hat sich Mitte des Falls angenommen.
“Die Sache wird sehr schnell beendet sein”
Knapp zwei Wochen später habe das Straßen- und Grünflächenamt dann die verantwortliche Werbefirma, die Richter Media Group, aufgefordert, die Plane zu beseitigen. Weil die auf die Forderung nicht reagierte, drohte der Bezirk mit einer Ersatzvornahme: also damit, das Banner selbst entfernen zu lassen und die Kosten dafür der Werbefirma aufzuerlegen. Das Unternehmen stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Und damit waren dem Bezirk erst einmal die Hände gebunden. Denn selbst den Werbebanner entfernen, das wäre ohne eine Entscheidung des Gerichts über den Fall nicht möglich gewesen.
Im Januar wurde die Richter Media Group dann doch tätig und beseitigte das Werbebanner, wie es auf Anfrage aus dem Bezirksamt Mitte heißt. „Das Plakat war dann weg, und damit war die Sache auch irgendwie erledigt”, so Gothe. Doch der Erfolg sollte nicht lange anhalten: Nur wenige Tage später wurde ein neues Plakat angebracht – allerdings von einer anderen Werbefirma.
Man wandte sich also dieses Mal direkt an den Eigentümer des Hauses, wie Gothe berichtet. Einen Eigentümer, dessen Name das Bezirksamt Mitte bis heute nicht kennt, weil er sich hinter der “Torstraße 39 GmbH” versteckt. Korrespondieren könne man nur mit dessen Rechtsanwalt, sagt der Bezirksstadtrat.
So musste das Bezirksamt im Februar ein neues Verfahren aufmachen und – wie es das Gesetz verlangt – den Eigentümer zunächst anhören. Vor knapp einer Woche habe man den Hauseigentümer also erst auffordern können, die Plane zu entfernen, berichtet Gothe – und ist zuversichtlich: „Die Sache wird sehr schnell beendet werden”.
Bußgeld steht noch nicht fest
Besänftigen lassen sich von der Erklärung des Baustadtrats allerdings nur wenige Bezirksverordnete. Bastian Roet (FDP) ärgert vor allem die Tatsache, dass überhaupt das Gerüst genehmigt wurde, dass ganz offensichtlich nur zum Schein aufgestellt wurde. Die Genehmigung von Werbeplakaten sei das eine, so Röth. Aber das Gerüst würde ja nachts auch noch angestrahlt. „Ich habe Verständnis für die Überlastung von Gerichten, aber das muss doch ein Fall für eine einstweilige Maßnahme sein. Es gibt doch Möglichkeiten, wenn man will. Glaube ich zumindest”, so der Bezirksverordnete.
Tatsächlich aber bleibt dem Bezirk aktuell nichts anderes übrig als das Standardprozedere: Beseitigung anordnen, den sofortigen Vollzug fordern, mit Ersatzvornahme drohen und die dann auch vollziehen, sofern der Verantwortliche nicht wieder den einstweiligen Rechtsschutz beantragt und das Gericht erst einmal über diesen entscheiden muss. Das Problem dabei: Bis es soweit ist, können Monate, in einigen Fällen sogar ein Jahr vergehen. Im Bezirksvorstand zweifle man deshalb seit dem Fall Torstraße 39 daran, ob man der Bitte der Gerichte überhaupt noch folgen sollte, so Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne). Oder ob man nicht künftig dem Gericht vorgreift, um so vielleicht besser gegen die Trickserei mit den Werbeplanen vorgehen zu können.
Zumindest etwas Gutes hätte der Fall Torstraße 39 dann also vielleicht doch. Schröder und den anderen zehn Mieter*innen dürfte das allerdings nur ein geringer Trost sein. Sie können nur hoffen, dass der Werbebanner schnellstmöglich verschwindet – und es bald vorbei ist mit Dunkelheit und dicker Luft.
*Name wurde von der Redaktion geändert