Was bedeutet der Klimanotstand für Pankow? Drei Lokalpolitiker erklären, warum der Bezirk jetzt nicht mehr zögern darf.
Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Umweltschutz & Nachhaltigkeit“
Nachdem Pankow im Sommer 2019 den Klimanotstand ausgerufen hat, sieht sich der Bezirk in der moralischen Pflicht, auch danach zu handeln: Seit Anfang des Jahres gibt es einen „zeitweiligen Ausschuss zum Klimaschutz“. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden Jurik Stiller sowie Dr. Jaana Stiller und Maximilian Schirmer (Linke) über kurzfristige und langfristige Maßnahmen in Sachen Klimaschutz.
PBN: Bei einem Blick in die aktuellen Anträge/Themen der BVV wird man mit ähnlichen Begriffen überhäuft: Klimaschutzteam, Klimaschutzrat, Klimaschutzausschuss, Klimaschutzbeauftragter, Klimaschutz- und Umweltbüro – wie soll man da als Außenstehender durchblicken?
___STEADY_PAYWALL___
Jurik Stiller: Das sind tatsächlich keine Synonyme! Wir hoffen, dass es all das bald wirklich gibt.
Maximilian Schirmer: Fest steht bisher: Der oder die Klimaschutzbeauftragte wird auf jeden Fall in absehbarer Zeit kommen, die entsprechende Stelle wird bald ausgeschrieben. Sie wird beim Bürgermeister angesiedelt sein, aber die Person wird mit allen Bereichen des Bezirksamts zusammenarbeiten. Bisher liefen Anträge rund um das Thema Klimaschutz – die es auch schon vor dem Klimanotstand gab – über die Abteilung für Umwelt und Ordnung und Stadtrat Daniel Krüger von der AfD; von dort gab es meist die Antwort, dass alle anderen Bereiche angefragt wurden, aber wenig Rückmeldung gegeben haben. Mit einer neuen Organisationsstruktur wollen wir dem Abhilfe schaffen: Es soll den erwähnten Klimaschutzbeauftragten geben, außerdem ein Klimaschutzteam mit zuständigen Personen in allen Ämtern des Bezirksamts und einen Klimaschutzrat, der aus Bürger*innen, Experten, NGOs bestehen soll.
PBN: Und das Klimaschutz- und Umweltbüro?
Dr. Jaana Stiller: Man muss unterscheiden zwischen dem Umweltbüro, das es bereits in Weißensee gibt, und dem Klimaschutzbüro, das neu entstehen soll. Es ist aber noch nicht klar, ob das unter dem Dach des Umweltbüros angesiedelt sein wird; Wir sind eher dagegen, denn die Aufgaben sind auf jeden Fall unterschiedlich. Im Umweltbüro geht es hauptsächlich darum, Schülergruppen und Bürger*innen über Themen von Umwelt- und Naturschutz im Bezirk zu informieren.
MS: Im Umweltbüro geht es wirklich um Umweltbildung, das Klimaschutzbüro wird ganz andere Aufgaben haben. Eine Zusammenlegung hätte natürlich auch Vorteile, denn es sind schon Stellen und Mittel vorhanden, die man aufstocken könnte. Es gibt auch verschiedene Fördertöpfe auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene, die man einbeziehen kann. Der Klimaschutzbeauftragte soll schauen, wo die Expertise im Klimaschutzbüro herkommen könnte und der soll Klimarat unterstützen.
PBN: Werden, abgesehen vom Klimaschutzbeauftragten, noch weitere Stellen geschaffen?
JaS: Das hoffen wir!
JuS: Ein eigener Stab für den Klimaschutzbeauftragten ist erstmal nicht vorgesehen, auch wenn er bitter nötig wäre. Der Haushalt des Bezirks ist ja gerade erst frisch verabschiedet, es ist also auch der falsche Zeitpunkt für neue Stellen.
MS: Pankow hat in Sachen Klimaschutz, im Vergleich mit anderen Bezirken, einiges aufzuholen – der politische Wille ist aber da. In meinen Augen ist im vergangenen Jahr eine ganze Menge in dem Bereich passiert. Wir wollen aber mittel- und langfristig mehr Personal dafür haben.
JaS: Die Entwicklung zeigt sich ja zum Beispiel darin, dass es vorher nur den Ausschuss für Umwelt und Natur gab – der sich aber hauptsächlich mit Naturschutz beschäftigt – und jetzt eben auch ein Klimaausschuss existiert, der sich konkret mit Klimaschutz im Bezirk beschäftigt. Das ist natürlich mit mehr Arbeit verbunden…
MS: … aber nicht nur für uns! Alle haben sich dazu verständigt, diesen Löwenanteil an Arbeit zu tragen: Die Fraktionen, die Leute, die in den Ausschüssen sitzen, aber vor allem auch die Stadträte und der Bürgermeister, der das als Querschnittsaufgabe sieht. Alle müssen jetzt gemeinsam an einem Strang ziehen. Natürlich gibt es da, je nach Fraktion, unterschiedliche Ansätze. Aber grundsätzlich gibt es – die AfD ausgenommen – einen Konsens.
PBN: Was kann Pankow denn konkret für den Klimaschutz tun?
MS: Für uns als Linke ist es immer ganz wichtig, dass der Umgang mit dem Klimawandel möglichst sozialverträglich und gerecht abläuft. Das bedeutet, dass eine Anpassung an die spürbaren Folgen des Klimawandels – wie ein Anstieg der Hitze in der Stadt – für alle möglich sein muss, zum Beispiel, indem Grünflächen und Wasser öffentlich zugänglich sind. Um die ganze Stadt runterzukühlen, brauchen wir extrem viel Grün. Wenn wir den Klimawandel aufhalten wollen, müssen wir außerdem Maßnahmen ergreifen, die CO2 reduzieren. Ein Weg ist der Ausbau des ÖPNVs, durch mehr Straßenbahnen und eine engere Taktung. In Pankow gibt es kaum Flächen für Windräder, wir müssen also stattdessen kurz- bis mittelfristig prüfen, wo sich Flächen für Solarenergie anbieten. Pankow soll möglichst klimaneutral werden.
JuS: Das größte Potential für Solaranlagen auf den Dächern bieten vor allem die bezirklichen Gebäude. An die privaten Wohnungen kommt man leider schwer ran; man kann aber versuchen, die Wohnungsbaugenossenschaften dafür zu sensibilisieren, das Thema verstärkt anzugehen. Verkehr ist natürlich auch ein sehr wichtiges Thema! Der Anteil an Menschen, die sich CO2-arm fortbewegen, muss erhöht werden – vielleicht kommt ja demnächst auch die Seilbahn…
PBN: Also vor allem mehr ÖPNV und weniger Autos?
MS: Das Stichwort ist Flächengerechtigkeit. Es geht nicht darum Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind, zu verteufeln. Der Platz ist begrenzt, die Stadt wächst, das können wir nicht ändern – wir müssen den vorhandenen Platz also gerecht verteilen. Ein Drittel der Berliner*innen fährt mittlerweile mit dem Fahrrad, aber das Auto nimmt weiterhin am meisten Platz weg. Es ist also logisch auf die Verkehrsmittel auszuweichen, die wenig Platz brauchen bzw. vielen Menschen Platz bieten. Fünfzig Jahre lang wurde die „autogerechte Stadt“ geplant, es dauert also, auf eine verteilungsgerechte Stadt umzuschwenken – aber in Pankow wurden schon einige neue Verkehrsanlagen auf die Straße gepinselt, zum Beispiel die farblich abgehobenen Fahrradwege, und dann gibt es auch noch die Fahrradstraßen.
JaS: Die Themen Klima und Verkehrswende gehen tatsächlich Hand in Hand. Ich würde auch sagen, dass es da am sichtbarsten werden muss und auch werden wird.
MS: Und gerade auf den Verkehr können wir als Bezirk relativ schnell Einfluss nehmen, während das beim Thema Kohlestrom nicht geht. Streng genommen sind Stadtentwicklung und Energieversorgung noch wichtiger als Verkehr, wenn es um den Klimawandel geht, aber das sind langfristige Sachen – zum Beispiel Bebauungspläne, die schon einige Jahre alt sind und nicht CO2-arm ausgearbeitet wurden. Wenn wir jetzt etwas planen, wird es vielleicht in fünf bis sieben Jahren umgesetzt, was zu wenig ist. Wir müssen also juristisch prüfen, wie wir auch Dinge in der Bestandsbebauung ändern können. Aber das ist sehr kompliziert.
PBN: Was haltet ihr von Projekten wie der „grünen Turnhalle“ auf dem Gelände der Kleingartenanlage an der Bornholmer Grundschule – die ja relativ kurzfristig umsetzbar wären?
JaS: Wir haben die Bürger und Bürgerinnen dabei unterstützt und den Antrag in die BVV gebracht. Er wurde in den Ausschuss (für Finanzen, Personal und Immobilien – Anm. d. Red.) überwiesen, wo jetzt darüber beraten wird, ob und wie das Projekt umgesetzt werden kann. Es ist ja bereits eine Turnhalle geplant, weshalb wir schauen müssen, inwiefern sich die Bauzeit durch den Vorschlag der Kleingärtner verlängern würde. Ich halte es für ein ganz wichtiges Zeichen, da wir ja auch andere Turnhallen haben und bauen werden, die anders als bisher aussehen könnten.
MS: Schulplätze zu schaffen ist ein verfassungsmäßiger Auftrag, den wir nicht einfach nicht umsetzen können. Da müssen wir schauen, ob und wie das miteinander vereinbar ist. Wir unterstützen das Projekt auf jeden Fall.
JuS: Flächenkonkurrenz scheint aktuell überhaupt eine der großen Herausforderungen zu sein. Wir wollen im Innenstadtraum durchaus verdichten und Wohnraum schaffen, der dringend benötigt wird, wir haben zu wenig Schulplätze, die ausgebaut werden müssen. Und weil wir über Klimaschutz reden: Wir brauchen die Grünflächen und Kaltluftschneisen, die städtische Wärmeeffekte abfedern. Aber man kann nicht alles zur gleichen Zeit realisieren und muss schauen, was am unmittelbarsten benötigt wird – und da wird die Schulbauoffensive prioritär behandelt, was auch gut ist. Andere Flächen, wie zum Beispiel die Kleingärten, müssen darunter aber unter Umständen leiden.
MS: Der Schulbau ist auch ein gutes Beispiel, denn wir haben Beschlüsse gefasst, dass auf jedes neue Schuldach Photovoltaik installiert werden soll, im besten Fall sogar auch eine Begrünung. Weil nicht nur die Parks, sondern auch Fassadenbegrünung für das Klima in der Stadt – und auch innerhalb der Gebäude – hilfreich sind. Wir müssen jetzt unter anderem prüfen, wie viel Strom produziert werden muss, um aus der Kohle auszusteigen, welche Gebäude im Bezirk große Hitzequellen sind und was wir dagegen tun können. Es ist nicht leicht, das alles unter einen Hut zu bekommen.
PBN: Muss Klimaschutz eigentlich radikal und unbequem sein, damit sich etwas ändert?
MS: Ich glaube wir haben ein grundsätzliches Problem in Berlin, handlungsfähig zu sein. Wir haben eine kaputt gesparte Verwaltung, zu wenig Personal in allen Bereichen und die Verwaltung agiert untereinander viel zu kompliziert. Tatsächlich müsste man nicht nur in Sachen Klimaschutz, sondern in allen Bereichen radikal vorgehen! Wir müssen diese Handlungsfähigkeit wiederherstellen. Wir gehen in Pankow schon Schritte in die richtige Richtung – aber eben nicht schnell genug. Beim Thema Klimaschutz erkämpfen sich die Leute – Fridays for Future, Extinction Rebellion etc. – etwas, das aus meiner Perspektive schon längst für sie hätte da sein müssen, nämlich das Mitbestimmungsrecht. Das gilt natürlich nicht nur für Berlin.
JuS: Das Problem ist: Die Wissenschaft weiß schon lange vom Treibhauseffekt und hat immer darauf hingewiesen, dass stärker auf die sich verändernden Temperaturen der Erdatmosphäre geachtet werden muss. Aber es hat keiner darauf gehört. Und jetzt sind in den letzten Jahren die ersten Symptome deutlich spürbar geworden, die Extremwetterlagen nehmen zu – und endlich gibt es eine Stimmung, in der Menschen bewusst wird, dass sie etwas machen müssen. Wir kommen aber so zu spät, dass wir jetzt keine Zeit mehr haben, das Ganze langsam anzugehen. Wenn wir auch nur irgendwie in der Nähe der Klimaziele bleiben wollen, ist diese Geschwindigkeit und die schnelle Umsetzung von allem, was wir vorhaben, unbedingt nötig. Also ja: Wir müssen radikaler und schneller sein!
JaS: Klimaschutz hat eine große soziale Komponente: Es betrifft uns alle.