In der Malmöer Straße erinnert neuerdings ein großes Wandbild an zwei ermordete Aktivistinnen aus Lateinamerika: Berta Cáceres und Marielle Franco.
Genau an der Stelle, an der die Dänenstraße einen Knick macht und zur Malmöer Straße wird, erstrahlt ein neues Wandbild an der Fassade des Miethaussyndikates M29. Es zeigt zwei Frauen und auf Spanisch den Spruch „Du hast die Kugel, wir haben das Wort“. Mit dem Wort statt der Waffe kämpfen, dieser Gedanke einte die beiden Aktivistinnen, die abgebildet sind: Berta Cáceres und Marielle Franco.
Die Menschenrechts- und Umweltaktivistin Cáceres, die am 3. März 2016 in ihrem Haus in Honduras erschossen wurde, hatte sich vor ihrem Tod gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in Agua Zarca eingesetzt, einem eigentlich unberührten Stück Natur, das für die dort lebende indigene Volksgruppe Lenca als heilig gilt. Marielle Franco, Stadträtin von Rio de Janeiro, engagierte sich ebenfalls politisch und prangerte die Polizeigewalt in den Favelas an. Sie wurde zwei Jahre nach Cáceres, am 14. März 2018, erschossen. Beide Morde sorgten international für großes Aufsehen – und sind doch nur zwei exemplarische Fälle aus Lateinamerika, der tödlichsten Region für Aktivist*innen.
Zwei ermordete Aktivistinnen, ein strukturelles Problem
„Beide hatten ähnliche Forderungen in unterschiedlichen Kontexten, den Konfliktfeldern Lateinamerikas: Berta im ländlichen Gebiet, Marielle im urbanen“, erläutert Steffi Wassermann. Wassermann, die selbst ein Jahr in Honduras gelebt hat, ist seit 2012 Teil von CADEHO (Cadena por los Derechos Humanos en Honduras), einem Berliner Menschenrechtskollektiv für Honduras, das sich um den Austausch mit Deutschland bemüht, Aktivist*innen hier begleitet und versucht, Honduras in die deutsche Presse zu bringen. Das Mural entstand aus einer Idee von CADEHO und Orangotango, einem Berliner Kollektiv für kreativen und kritischen Protest. Gemeinsam suchten sie nach einer geeigneten Wand und wurden beim Wohnprojekt in der Malmöer Straße 29 fündig. Ein Glücksfall, mitten in Prenzlauer Berg.
Die ursprüngliche Idee, mit einem Wandbild an Cáceres zu erinnern, entstand bereits kurz nach ihrem Tod 2016. „Uns ist wichtig, auf die Beteiligung deutscher Unternehmen hinzuweisen“, betont Wassermann. „Das geplante Werk in Honduras sollte mit Turbinen von Voith Hydro ausgestattet werden.“ Und somit auch von Siemens, denen Anteile der Voith Group gehören. Im Rahmen der Proteste gegen das Werk wurde nicht nur Cáceres umgebracht. „Wir waren mehrfach auf Hauptversammlungen von Siemens und haben auf ihre Verantwortung hingewiesen.“ Allerdings ohne Einsicht. „Es wurde sich geweigert, einen Zusammenhang anzuerkennen mit der Begründung, die Beweislage sei nicht stichhaltig. Erst Monate nach dem Mord an Berta wurde der Bau gestoppt – zumindest für den Moment.“
Schwarz, lesbisch, alleinerziehend
Der Mord an Marielle Franco hatte international ähnlich große Wellen geschlagen wie der an Cáceres. Zu ihren Lebzeiten war Franco den meisten brasilianischen Politiker*innen ein Dorn im Auge, eine starke Frau, schwarz, lesbisch, alleinerziehend und aus der Favela stammend, die sich laut gegen Gewalt und Rassismus engagierte. Neue Erkenntnisse legen nahe, dass die Drahtzieher ihres Mordes möglicherweise im Clan des rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro gefunden werden können. Aber auch hier trägt eine deutsche Firma eine Teilschuld: „Marielle wurde mit einem Maschinengewehr von Heckler & Koch ermordet“, sagt Steffi Wassermann, „das eigentlich an eine Spezialeinheit der Polizei in Rio geliefert wurde, aber in die Hände von Milizen geriet. Das zeigt: Die Waffenkontrolle funktioniert nicht.“ Deswegen liegt ihr eine Sache besonders am Herzen: „Wir wollen auf die fehlende menschenrechtliche Verantwortung von deutschen Unternehmen hinweisen.“
Exemplarisch, nicht ikonografisch
Das Mural in der Malmöer Straße hat also mehrere Funktionen: an die beiden Aktivistinnen erinnern, die Verstrickung deutscher Unternehmen thematisieren, aber auch auf die strukturellen Probleme Lateinamerikas aufmerksam machen und Solidarität mit den Lebenden ausdrücken.
Kreiert wurde es von drei Künstler*innen, die aus Kolumbien stammen. Juan Camilo Alfonso, der unter dem Namen „Fonso“ malt, kam vor vier Jahren aus Bogotá nach Berlin, um einen Master in Kunst im Kontext zu machen. „Ich habe schon in Kolumbien viele Wandbilder gemacht“, so Fonso. „Mich interessiert Kunst im öffentlichen Raum als partizipatorischen Gedanken, mit gesellschaftlichen Gruppen zusammenzuarbeiten.“ Und diese Kunst, seien es Wandbilder, Graffitis oder Street Art, ist immer politisch. „Kunst in Kolumbien ist automatisch verbunden mit Geschichte, Gewalt, Gedächtnis.“
Erst wurde intensiv diskutiert, dann war er zehn Tage lang mit dem Bemalen der Wand beschäftigt. Unterstützung bekam Fonso von Ángela Atuesta, „La Negra“, und Laura Ortiz, „Soma“, die im Spätsommer zum ersten Mal überhaupt in Berlin waren und drei ihrer fünf Tage Kurzurlaub für die Konzipierung des Gemäldes aufbrachten. „Wir wollten Berta und Marielle nicht ikonografisch darstellen, sondern exemplarisch“, sagt Fonso. „Wir haben auch lange diskutiert, ob es eher ums Erinnern oder Erklären geht.“
Erinnern und erklären
Während die Kolumbianer*innen Skizzen entwarfen, war Steffi Wassermann mit ihrer Gruppe damit beschäftigt, die Wand von sechs Lagen Graffiti zu befreien und die Struktur zu glätten. Gemalt wurde dann mit Rollen und Pinseln. „Das hat zwei Gründe“, erläutert Fonso. „Zum einen sind Spraydosen nicht umweltfreundlich, außerdem kann man mit Rollen und Pinseln detailreicher arbeiten.“ Die vielen Details sind auch der Grund, warum sich die drei Künstler*innen für zurückhaltende, gedeckte Farben entschieden. „Wir wollten viele Informationen einbringen, das Bild aber nicht überladen.“
Selbsterklärend ist das Mural nicht unbedingt. Die Anwohner*innen zeigen sich aber sehr interessiert. Während der Entstehung und bei der Einweihung am 18. Oktober wurden Fonso und Wassermann öfter auf die Bedeutung angesprochen. Die beiden freut’s. „Das ist das Hauptziel für mich“, sagt Fonso, „einen sozialen Raum schaffen für Gespräche. Dies ist der Weg, um etwas zu verändern.“ Steffi Wassermann empfindet ähnlich. „Es war schön, mit den Leuten aus dem Kiez ins Gespräch zu kommen. Das ist ein unglaublicher Wert des Muralismo. Es ist ganz direkte politische Arbeit.“ Auch international kennt man das Mural in Prenzlauer Berg bereits. „Mônica Francisco, die ehemalige Beraterin von Marielle Franco, war hier, und ich konnte ihr das Wandbild zeigen“, erzählt Wassermann stolz. „Zeichen der Solidarität bedeuten den Menschen in Lateinamerika viel.“
Um durch das Mural in der Malmöer Straße 29 weiterhin auf die Probleme in Lateinamerika aufmerksam zu machen, überlegt Steffi Wassermann, Führungen zu organisieren, auch eine Infotafel und eine Box mit Flyern ist geplant. Dazu gibt es eine Website und ein kurzes Video zur Entstehungsgeschichte des Murals. So ist beides möglich: An Berta Cáceres und Marielle Franco erinnern – und zugleich ihre Arbeit und die Situation von lateinamerikanischen Aktivist*innen zu erklären.
Zu finden ist das Mural an der Hausfassade des Wohnprojekts M29 in der Malmöer Straße 29, weitere Informationen gibt es auf der Website.