Streit um das Thälmann-Denkmal in der Greifswalder Straße: Könnte ein Kunstwettbewerb die nötige kritische Distanz unter den Tisch fallen lassen?
Es gibt Zoff in Prenzlauer Berg. Der Stein des Anstoßes ist aus Bronze – 14 Meter hoch, 15 Meter lang, wiegt 50 Tonnen und reckt stramm die Faust gen Himmel. Die Rede ist natürlich vom Ernst-Thälmann-Denkmal an der Greifswalder Straße. 1986 von Erich Honecker höchstpersönlich eingeweiht, erinnert der Koloss an längst vergangene Zeiten in Prenzlauer Berg.
Auch, weil die Büste des von den Nazis ermordeten KPD-Vorsitzenden inzwischen ziemlich marode ist. Für 150 000 Euro soll das stählerne Innenleben Thälmanns deshalb von Rost befreit, Bronze und Steinpodest gereinigt werden. Außerdem haben Bezirk und Senat beschlossen, dass die Skulptur eine neuzeitliche Kommentierung gebrauchen könnte – schließlich handelt es sich um ein nicht unumstrittenes Denkmal eines nicht unumstrittenen politischen Systems. Diese Kommentierung soll aber nicht einfach in Form einer Texttafel passieren, sondern „künstlerisch“ ausfallen. Im Juli hat der Bezirk einen deutschlandweiten Kunstwettbewerb für die „kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart des Ernst-Thälmann-Denkmals“ ausgelobt. Kostenpunkt: 300 000 Euro, die der Senat aus dem Programm „Stadtumbau Ost“ bezahlen will. Noch vor Ende der Abgabefrist am 26. September ist ein Streit über die Deutungshoheit in Sachen Thälmann-Denkmal entbrannt.
„Ein politischer Affront“
___STEADY_PAYWALL___
Christiane Heydenreich (68, Grüne) ist richtig sauer. „Jetzt mal ganz polemisch formuliert: Ich habe den Eindruck, dass hier den Altstalinisten zum 30. Jahrestag des Mauerfalls ein großes Geschenk gemacht wird.“ Die Bezirksverordnete ist erklärter Nicht-Fan der gigantischen Büste. Dabei gehe es ihr bei weitem nicht allein um die Person Thälmanns.
Heydenreich, die seit 1976 in Prenzlauer Berg lebt, erinnere sich noch gut an die Zeit, als das Denkmal am Thälmannpark eingeweiht wurde. „Ich habe das als politischen Affront empfunden“, sagt die Bezirksverordnete. Der Grund: Die Büste wurde nicht von einem DDR-Künstler entworfen, sondern vom Russen Lew Kerbel – und zwar „im heroischen, stalinistischen Stil der 30er Jahre“. Heydenreich verstand das als Botschaft des Regimes: „Hier herrscht die starke Faust des großen Bruders“.
Merkwürdiger Zungenschlag?
Die Bezirksverordnete befürchtet, dass durch den Kunstwettbewerb kritische Punkte in der Kommentierung zu kurz kommen könnten. Denn: Das Preisgericht wird von der auslobenden Instanz bestimmt – ergo dem Pankower Kulturressort unter Bezirksbürgermeister Sören Benn und dem Kultursenat unter Senator Klaus Lederer (beide Linke). Fehlt es da womöglich an kritischer Distanz oder unterschiedlichen Perspektiven? „Es handelt sich eben nicht um das Denkmal eines Malers oder Dichters, sondern eines Politikers“, betont Heydenreich.
Anlass für ihre Bedenken sieht die Bezirkspolitikerin in einem Reader, der den Künstlerinnen und Künstlern als Wettbewerbsmaterial zur Verfügung gestellt wird. Darin sind Redebeiträge aus einem Kolloquium im Vorfeld des Wettbewerbs versammelt. Heydenreich will einen einseitigen Zungenschlag heraushören. Dort ist unter anderem zu lesen: „Das Ernst-Thälmann-Denkmal ist eine der großen und wichtigen Denkmalsetzungen des DDR-Staates in seiner Hauptstadt. Es war Teil der Identität der Hauptstadt des sozialistischen Staates.“ Aber weiter unten auch: „Die Macht, die hier dargestellt wird, ist die Staatsmacht der DDR, die von den Sowjetsoldaten garantiert wird.“ Heydenreich kritisiert, dass im Kolloquium und damit auch im Reader keine DDR-Bürgerrechtler zu Wort kommen.
Bezirk sieht parlamentarische Kontrolle gewahrt
Keinen Grund zur Beunruhigung sieht dagegen Bürgermeister Benn. Das Kolloquium und der Wettbewerb seien schließlich von der Pankower Kommission für Kunst im öffentlichen Raum vorbereitet worden, schreibt Benn in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage, die Heydenreich an das Bezirksamt richtete. In der sitzen unter anderem auch der grüne Stadtrat Vollrad Kuhn, die Rektorin der Kunsthochschule Weißensee und mehrere Künstlerinnen. Die Idee einer künstlerischen statt einer wie ursprünglich geplant historisch-kritischen Kommentierung, sei auch nicht von Seiten der Linke, sondern vom einstigen grünen Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner gekommen. Außerdem sei dem Ausschuss regelmäßig über die verschiedenen Schritte berichtet worden, so Benn weiter.
Heydenreich genügt das nicht. „Ich will eine fundierte, inhaltliche Bewertung der Zeit und auch der Darstellung durch die DDR-Führung.“ Die könne aber mit dem Kunstwettbewerb nicht garantiert werden. Ihre Partei wolle das nicht einfach so hinnehmen und demnächst auch im Abgeordnetenhaus eine Anfrage einreichen.