Wartenummern, Kindheitserinnerungen oder ein bestimmter Geruch: Die Ausstellung „Heimatgefühle. Über äußere Umstände und innere Zustände“ widmet sich der Frage, was Heimat ist – auf dem Friedhof an der Prenzlauer Allee.
Die alte Blümchentapete hängt in Fetzen von der Wand, die Dielen sind mit Ochsenblut gestrichen, dazu Lichtschalter aus Bakelit, Kastenfenster und in jedem Zimmer ein gekachelter Kamin: Wer das ehemalige Verwalterhaus auf dem St. Nicolai und St. Marien Friedhof an der Prenzlauer Allee Ecke Mollstraße betritt, fühlt sich schnell an das Wohnzimmer von Oma und Opa erinnert. Über 50 Jahre lebte hier der Verwalter des Friedhofs, bevor das Gebäude 2014 in einen Projektraum umgewandelt wurde.
Ein passender Ort für die Frage nach Erinnerung, Herkunft und Heimat, finden die beiden Kuratoren Niels Beugeling und Benjamin Kummer. Für ihre Ausstellung, die von dem AG Friedhofsmuseum Berlin e.V. organisiert wird, haben sie sieben internationale Künstler*innen gebeten, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Nicht nur, aber auch, weil der Begriff „Heimat“ in den letzten Jahren für viele einen unangenehmen Beigeschmack bekommen hat: Populisten nutzen ihn gerne, um Menschen anderer Länder auszugrenzen, sie wollen ihre Heimat vor „Überfremdung“ schützen. Aber was bedeutet Heimat überhaupt?
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Stammbaum aus Wollfäden
„Wir sind gar nicht auf der Suche nach einer festen Definition“, sagt Benjamin Kummer, „und wir wollen auch keine Ausstellung speziell zur Flüchtlingskrise sein“. Alle Künstler*innen arbeiten mit einem biographischen Bezug und gelangen dadurch zu ganz unterschiedlichen Darstellungen.
Eine der spannendsten kommt dabei von Thordis König alias „diekleinefraubraun“: Ihre Installation „Wer wir sind“ erzählt die Geschichte von Laila, die als Tochter einer deutschen Mutter und eines russischen Vaters 1918 in St. Petersburg geboren wurde, in Ostpolen aufwuchs und später nach Rothenburg ob der Tauber floh. Bunte Wollfäden, die für die deutsche, polnische und russische Sprache und Staatsangehörigkeit stehen, verbinden Fotografien, Briefe und Geschichten zu einem weit verzweigten Stammbaum – der die Erinnerung an diese Person auch nach ihrem Tod aufrechterhält.
Heimat hat viele Facetten
Um Erinnerungen geht es auch Stina Kurzhöfer und Achim Kirsch in ihrer Arbeit „Random Chase“. Sie haben Beamer auf Staubsaugerrobotern befestigt, die durch einen der Räume rollen und abwechselnd Fotografien aus vergangenen Jahrzehnten an die Wände werfen; diese sollen bei den Besuchern Assoziationen an die eigene Familiengeschichte hervorrufen. Dabei verblassen sie genau so schnell wie Erinnerungen. Nebenan verortet die iranisch-stämmige Künstlerin Hengame Hosseini auf einer Landkarte, in welche Länder ihre Mitschüler nach dem Schulabschluss ausgewandert sind und hinterfragt Herkunft und Identität, Vergangenheit und Gegenwart. Einen Raum weiter dokumentiert Bilal El Soussi den strapaziösen Gang durch die Berliner Ausländerbehörde mit von der Decke hängenden Wartenummern.
„Wie viel Heimat brauchen Sie?“ wollte Max Frisch in seinem Fragebogen aus dem Jahr 1971 wissen, der auf Karteikarten aufgedruckt im Treppenhaus hängt, „Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders“ und: „Kann Ideologie zu einer Heimat werden?“ Ob Blümchentapete und der Geruch nach Kohleofen, ob fester Ort oder ein inneres Gefühl, ob verblasste Erinnerung oder aktueller Zustand: „Heimat“ hat viele Facetten. Nach dem Besuch in der Ausstellung hat man eine Idee, welche dazugehören.
Die Ausstellung „Heimatgefühle. Über äußere Umstände und innere Zustände“ läuft bis zum 15. September im Verwalterhaus auf dem Friedhof an der Prenzlauer Allee Ecke Mollstraße. Geöffnet ist Donnerstag & Freitag von 16-20 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 12-18 Uhr. Jeden Freitag finden Performances, Lesungen oder Konzerte statt. Der Eintritt ist frei.
Foto oben: Benjamin Kummer (links) und Niels Beugeling haben die Ausstellung kuratiert