Daria Penyaeva aus Moskau ist vor vier Jahren mit ihrer Familie nach Berlin gezogen – und hier zur begeisterten Prenzlauer Bergerin geworden. Die IT-Spezialistin ist unsere nächste „famose Frau“.
Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Famose Frauen aus Prenzlauer Berg“
Ein Vorurteil gefällig? Russen frieren nicht. Das muss sich Daria Penyaeva regelmäßig anhören, wenn sie im Berliner Winter erwähnt, dass ihr kalt ist. Ungefähr 90 Prozent ihrer Gesprächspartner*innen entgegnen dann erstaunt: „Du kommst doch aus Moskau.“ „Ja, stimmt schon“, sagt sie dann. „Aber ich bin ein Mensch. Ich friere!“
Daria Penyaeva lacht, als sie diese Anekdote erzählt. Vier Jahre ist es her, dass die IT-Spezialistin mit ihrer Familie nach Deutschland, nach Berlin kam. Wer gerade mal wieder die Nase voll hat vom ewigen Berliner Chaos, vom Gefühl, dass hier nichts vorangeht, sollte sich mit ihr unterhalten. Sie ist so begeistert von der Stadt, dass es ansteckend ist. Und wenn sie von Berlin spricht, meinte sie vor allem: Prenzlauer Berg.
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Aber von vorn. „Eigentlich ist Deutschland meine Heimat“, sagt Daria Penyaeva nur halb im Scherz. Denn sie wurde in Templin geboren, ihr Vater war damals mit der Armee in der uckermärkischen Stadt stationiert. Als sie zwei Jahre alt war, ging die Familie zurück nach Russland, sie wuchs in Sankt Petersburg und Moskau auf. Die deutsche Sprache hat sie erst gelernt, als sie als Erwachsene zurückkam.
Am richtigen Ort
Dass sie irgendwann wieder nach Deutschland, ganz in die Nähe ihrer Geburtsstadt, ziehen würde, war nicht geplant. Zunächst verschlug es ihre Familie nach Südkorea. Ihr Mann Roman, der ebenfalls in der IT-Branche arbeitet, begann eine Stelle bei Samsung in Südkorea, in Suwon, das in der Nähe von Seoul liegt. Als Partnerin eines in Südkorea angestellten Ausländers durfte Daria Penyaeva nicht arbeiten – anders als in Deutschland, wie sie betont. Sie blieb zu Hause und kümmerte sich um Sohn Fjodor, der damals zwei Jahre alt war.
Südkorea war laut und schnell, „noch verrückter als Moskau“, sagt sie. Die Familie blieb anderthalb Jahre. Dann fand ihr Mann einen neuen Job bei einem Start-up in Berlin – und Daria Penyaeva den Ort, an dem sie sich von Anfang an wohl fühlte.
In Moskau, dieser 12-Millionen-Metropole, sei das Leben schnell, der Konkurrenzdruck groß. Viele ihrer Moskauer Freund*innen könnten sich nicht vorstellen, in Berlin zu leben – einer Stadt, in der am Sonntag die Supermärkte geschlossen haben und alle immer noch mit Bargeld bezahlen. „Dafür können wir in unserer Wohnung in Prenzlauer Berg die Vögel singen hören“, sagt sie. Die Stadt sei chaotisch, das ja. Aber dafür sei die Lebensweise eben entspannter, die Leute gelassen.
Nachbarn aus Estland und der Ukraine
In Prenzlauer Berg habe sie nur positive Erfahrungen gemacht. „Ich bin nicht die einzige Ausländerin hier, das macht es leichter für mich.“ Und dann erzählt sie, dass im fünften Stock ihres Wohnhaues eine Familie aus Estland lebt und in einer Wohnung unter ihnen eine Familie aus der Ukraine und dass diese Nachbar*innen zu Hause auch Russisch sprechen.
Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in der Nähe des Anton-Saefkow-Parks. Ihre Wohnung, sagt sie, sei ein bisschen zu klein für eine dreiköpfige Familie, die Miete recht hoch. Aber das Haus, in dem sie leben, habe einen großen Innenhof. Wenn die Kinder sich dort zum Spielen treffen, hört Daria Penyaeva Deutsch, Russisch, Ungarisch und andere Sprachen, die zu den Familien gehören, die hier leben.
Manche Berliner*innen, die noch in der Schule Russisch gelernt haben, begrüßten sie manchmal in ihrer Muttersprache, wenn sie erfahren, aus welchem Land sie stammt. „In Russland bekommt man das Gefühl vermittelt, dass Russen wegen der politischen Situation von Menschen aus anderen Ländern nicht gemocht werden“, sagt sie. „Hier in Berlin spüre ich immer wieder, dass das nicht stimmt.“
Frauen in der Unterzahl
Daria Penyaeva ist gelernte Ingenieurin für Systemtechnik – auch in Russland ist das ein Beruf, in dem vor allem Männer vertreten sind. In ihrem Studiengang waren Frauen deutlich in der Unterzahl, ebenso wie in den Büros, in denen sie später arbeitete: In Moskau hat sie bei Ernst & Young und bei Philips gearbeitet, jeweils im IT-Bereich.
Man brauche mehr Frauen in MINT-Berufen, heißt es immer in Deutschland. Aber mit einem Job in Berlin wollte es zunächst nicht klappen. Vielleicht sei es Kopfsache gewesen, sagt Daria Penyaeva rückblickend – eine Frage des selbstbewussten Auftretens. Die Arbeitsagentur sei keine große Hilfe gewesen, die habe ihr nur Stellen vorgeschlagen, die für sie nicht in Frage kamen.
Irgendwann hörte sie von einem Weiterbildungsprogramm an der Beuth Hochschule, das sich an zugewanderte Akademiker*innen richtet. Dort belegte sie Kurse, in denen sie lernte, wie der deutsche Arbeitsmarkt funktioniert, bekam Unterstützung beim Schreiben ihrer Bewerbungen, nahm Sprachunterricht. Das Wichtigste: Sie traf auf Menschen, die in einer ähnlichen Situation waren wie sie.
Dann klappte es mit der Stelle. Heute arbeitet sie bei der DB Services, einem Tochterunternehmen der Deutschen Bahn, als Referentin für Berichtswesen. Übrigens auch wieder als eine von wenigen Frauen unter Männern.
Natürlich vermisst sie ihre Freunde und Familie in Moskau. Aber Berlin möchte sie so schnell nicht verlassen. Und wenn sie doch weiterzöge, was würde ihr am meisten fehlen? „Die Bötzowstraße“, sagt sie ohne zu zögern.
Foto: Sarah Schaefer