Edgar Rai ist Buchhändler und schreibt seit zwanzig Jahren Romane. Wir haben mit ihm über sein neues Buch gesprochen und warum er immer wieder nach Prenzlauer Berg ziehen würde.
Man kann an diesem Laden gar nicht vorbeigehen: Zwischen Kulturbrauerei und wuseliger Kreuzung von Schönhauser Allee und Danziger Straße liegt die Buchhandlung Uslar & Rai, die mit orangener Markise und zwei liebevoll thematisch gestalteten Schaufenstern sofort auffällt. Seit 2012 gehen Katharina von Uslar und Edgar Rai hier einer ihrer größten Leidenschaften nach: Dem Verkaufen von Büchern.
Regelmäßig laden sie gestandene Schriftsteller*innen oder Debütant*innen ein, ihre Buchpremiere im hinteren Teil des langgezogenen Ladengeschäfts zu feiern, oft lesen Schauspieler*innen die Textpassagen, moderieren bekannte Namen wie Jörg Thadeusz oder Knut Elstermann die Veranstaltungen. Erst kürzlich richteten die beiden ein fünftägiges Literaturfestival aus, dessen Abende im Handumdrehen ausverkauft waren.
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„Ich finde überall Geschichten“
Seit sieben Jahren verkauft Edgar Rai Bücher – doch seit bereits fast zwei Jahrzehnten schreibt er selber welche: Lauschige Sommergeschichten rund um Freundschaften und Beziehungen, handfeste Krimis über die „Bullenbrüder“ zusammen mit Hans Rath oder eine Nacherzählung der Homer’schen Dichtungen für Eilige finden sich darunter. Rund zwei Dutzend Publikationen sind es mittlerweile, mehrere davon unter insgesamt vier Pseudonymen veröffentlicht.
Eine beachtliche Produktionskraft und ein unbändiger Mitteilungsdrang zeichnen den 52-jährigen aus: „Ich finde überall Geschichten. Und immer wenn ich eine davon aufschreibe, fallen drei weitere hinten runter“, erzählt er. Wenn er ein paar Tage nicht schreiben könne, werde er unruhig, weshalb er sich jeden Morgen gegen acht Uhr an den Schreibtisch setze und bis mittags an dem jeweils aktuellen Text arbeite. Meist schafft er mit dieser disziplinierten Arbeitsweise zwei bis drei Seiten, manchmal mehr.
Berlin in den Goldenen Zwanzigern
Wie lange hat er also an seinem neuesten Streich gearbeitet, der immerhin 510 Seiten stark ist? „Ungefähr vor vier Jahren habe ich mit der Recherche angefangen, effektiv geschrieben habe ich daran ein Jahr“, überschlägt Rai. Im Licht der Zeit spielt 1929 in Berlin und erzählt die schauspielerischen Anfänge von Marlene Dietrich, die mit ihrer Rolle als Lola Lola in Der blaue Engel ihren Durchbruch feierte.
Einen Welterfolg, den sie vielleicht gar nicht erreicht hätte, wenn sich der vorwärtsgewandte Karl Vollmöller nicht in den Kopf gesetzt hätte, Deutschland in Sachen Tonfilm an die Errungenschaften der USA anzuschließen. Ihm gelingt es, Heinrich Mann die Filmrechte an seinem Roman Professor Unrat abzukaufen und Produzent sowie die kritische UFA-Filmproduktion von seinem Vorhaben zu überzeugen.
Eine Geschichte, deren Ausgang bekannt ist und die sich auf wenigen Seiten zusammenfassen ließe; doch dass Edgar Rai sich die Zeit nimmt, der Figurencharakterisierung viel Platz einzuräumen und – für einen in den Goldenen Zwanzigern angesiedelten Roman fast schon unüblich – ganz ohne Leiche oder Kriminalfall auskommt, verleiht dem Buch eine angenehme Ruhe, die nach wenigen Seiten auf den Leser übergreift. Auch dass Rai einen Großteil der Geschichte aus der Perspektive der selbstbewussten und lasziven Marlene Dietrich erzählt, die vor ihrem Durchbruch als Revuegirl arbeitete und der man attestierte, keinerlei Schauspieltalent zu haben, gibt dem Roman einen besonderen Reiz.
Jegliche Zeitungen aus dem Jahr 1929 hat Rai für die Recherche gelesen – „mittlerweile muss man dafür zum Glück nicht mehr im Archiv im Westhafen sitzen, sondern kann das alles elektronisch machen“ –, um ein Gefühl zu bekommen für die Atmosphäre der Stadt, den Duktus der Menschen und die politisch sich immer stärker zuspitzende Lage. Und auch wenn man mittlerweile durch die Krimi-Reihe von Volker Kutscher oder die darauf basierende Fernsehserie Babylon Berlin weitgehend mit dem Flair des damaligen Berlins vertraut ist, verzichtet Rai weitestgehend auf Klischees und name-dropping.
„Ich liebe diese Kreuzung“
Während wir uns – mit Eiskaffee auf einem gemütlichen Ledersofa sitzend – über seine beiden Berufe unterhalten, fahren auf der Straße vor dem Laden immer wieder Krankenwagen vorbei, rattert die U2 über die Schienen, hupt und schreit und knattert es. „Ich liebe diese Kreuzung, die Geräusche und die vielen Menschen“, ist Rai fasziniert. Eigentlich hatten sie ihre Buchhandlung zunächst in Kreuzberg eröffnen wollen, doch dann sei Katharina per Zufall auf das Ladengeschäft in Prenzlauer Berg gestoßen: Ein ehemaliges Bordell, die Decke war abgehangen, die engen Kabinen noch immer in den langen Raum eingebaut. Schwer vorstellbar, wenn man heute in dem lichtdurchfluteten und komplett weiß gestrichenen Raum steht.
„Ich würde mit der Buchhandlung immer wieder nach Prenzlauer Berg ziehen“, bemerkt er. Auch wenn die Konkurrenz durch andere Buchhandlungen in der Umgebung ständig steige, ebenso wie die Mietpreise, die in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Kreuzung explodiert sind. Zumindest um die muss sich Edgar Rai keine Sorgen mehr machen: Vor kurzem bekam er die Möglichkeit, das Ladengeschäft zu kaufen – und hat so wieder den Kopf frei für unzählige weitere Buchprojekte.
Edgar Rai: Im Licht der Zeit. Piper Verlag, 2019.
Gebunden, 510 Seiten, 22,- Euro