Vor einem Jahr wurde die Kulturmarkthalle im Mühlenkiez eröffnet – und hat sich seitdem zum beliebten Nachbarschaftstreff gemausert. Ein Besuch vor Ort.
Der 200er Bus spuckt mich an der Haltestelle Stedingerweg aus, hier bin ich in der Hanns-Eisler-Straße 93 verabredet, in der Kulturmarkthalle. Anja Seugling, Ansprechpartnerin für die Presse, wartet auf mich. Ich bin spät dran, Berlin ist heute wieder mal proppenvoll, doch als die Bustür hinter mir zuschnappt, kommt mir die Stadt auf einmal sehr leer vor. Plattenbauten auf der rechten Seite, Kleingärtenanlagen auf der linken, eine ältere Dame sitzt an der Haltestelle, sonst ist da niemand.
Ich frage mich, ob ich richtig ausgestiegen bin, ob das noch Prenzlauer Berg sein kann, keine Cafés, keine Bioläden, keine Kinderwägen, da erkenne ich von Weitem die großen roten Buchstaben „KMH“ auf dem Flachdach der Halle. Nach dem Mauerfall war hier ein Kaisers, dann das überquellende Depot eines Trödelhändlers, nun ist es vor allem ein Ort der Begegnung. Ich gehe hinüber, gehe hinein und merke schnell, dass hier, im Gegensatz zu draußen, so einiges los ist.
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Der Begegnungsort blüht auf
Die ehemalige DDR-Kaufhalle, eine der letzten in Berlin, wie mir Anja Seugling gleich erzählt, versprüht einen ganz eigenen Charme. Aufgrund von Wohnungsnot mussten viele dieser Hallen in den vergangenen Jahren Neubauprojekten weichen. Auch das Gelände, auf dem die Kulturmarkthalle steht, ist von dem Neubauprojekt „Wohnen in der Michelangelostraße“ betroffen. Doch mindestens ein weiteres Jahr ist der Standort gesichert, denn mit der Jüdischen Gemeinde Berlin, der das Grundstück gehört, hat der seit 2016 bestehende Verein Kulturmarkthalle e. V. noch vor der Eröffnung im Mai 2018 eine Nutzung für zwei Jahre ausgehandelt – und das kostenlos.
„Wir sind hier mittlerweile schon so verwurzelt, dass wir es uns gar nicht mehr vorstellen können, irgendwann wieder gehen zu müssen.“
Anja Seugling klingt optimistisch, und ich muss ihr recht geben: Nach einem schnellen Aufbruch sieht es hier ganz und gar nicht aus. Eher sieht man den Räumlichkeiten an, dass der soziokulturelle Begegnungsort immer mehr aufblüht.
Stichwort Miteinander
Die Sonne scheint durch große Fenster in den Eingangsbereich. Hier ist ein gemütliches Café entstanden, das, wie jeder Raum, allen offen steht, die mitmachen wollen. Alles läuft auf Spendenbasis, wer einen Kaffee möchte, entscheidet selbst, was er dafür bezahlt. Auch große Teile der Einrichtung wurden dem Verein gespendet, viele Möbel stammen aus den naheliegenden inzwischen aufgelösten Flüchtlingsunterkünften.
Die Bücher, die eine komplette Wand im Café einnehmen, wurden größtenteils von Nachbar*innen vorbeigebracht, erzählt Anja Seugling weiter, während sie mich, ihren vier Monate alten Sohn auf dem Arm, durch die Räume führt. Vom Café aus gehen wir durch den Raum für die Kinderbetreuung, weiter in einen Werkraum, dort hängen allerhand Erinnerungen an den Wänden, die den Entstehungsprozess dokumentieren.
Ein Foto zeigt die verwahrloste Halle, nachdem der Verein den Schlüssel erhalten hatte. Angesichts dessen, wie es letztes Jahr noch hier aussah, ist es schwer vorstellbar, wie in so kurzer Zeit so viel entstehen konnte. Das Stichwort lautet: Miteinander. Schon für die Instandsetzung der Halle baute der Verein auf die Hilfe von Freund*innen, Bekannten und Nachbar*innen, und viele beteiligten sich, um die Halle auf Vordermann zu bringen.
„Das war ein erster und wichtiger Schritt, um einen einfachen Kontakt zwischen der unmittelbaren Nachbarschaft und den Bewohnern der Flüchtlingsunterkünfte zu ermöglichen. Am Anfang war da viel Misstrauen, wir waren auch schnell als die „Ausländerhalle“ verschrien. Aber um Vorurteile abzubauen, müssen sich Menschen begegnen.“
Nachbarschaft soll einbezogen werden
Anja Seugling unterstreicht damit die ursprüngliche Grundidee der Kulturmarkthalle: Unterstützer der Flüchtlingsunterkünfte in der Storkower Straße wollten einen Ort schaffen, an dem sich die geflüchteten Neu-Berliner*innen mit den Alteingesessenen außerhalb der Unterkünfte treffen konnten. Als Ludger Lemper, Vorsitzender des Vereins, auf dem Weg zum Sport immer wieder an der seit 2015 leerstehenden Halle vorbeikam, war dieser Ort gefunden. Man wollte die Halle als interkulturellen Treffpunkt, als Einkaufsgelegenheit und als Veranstaltungsort nutzen – und der Bezirk Pankow begrüßte das Vorhaben. Nun, ein Jahr später, wurde diese Vision bisher vor allem mit Treffen und Veranstaltungen umgesetzt.
Ein festes monatliches Programm bietet unterschiedlichste Möglichkeiten, die Kulturmarkthalle zu nutzen und sich daran zu beteiligen, so gibt es eine Werkstattgruppe, einen KiezChor, eine KiezSprechstunde für Anwohner*innen, eine Beratung für Geflüchtete, ein Sprachcafé für Frauen und Live-Musik. Die Halle leistet damit einen wichtigen Beitrag zur sozialen und kulturellen Infrastruktur des Mühlenkiezes, denn Treffpunkte wie Cafés oder Veranstaltungsorte sind hier Mangelware. Regelmäßig finden auch einmalige Veranstaltungen wie Workshops oder Podiumsdiskussionen statt.
„Generell steht die Halle jedem offen, der eine Idee hat. Wir versuchen, jede Idee so gut es geht umzusetzen und alles stattfinden zu lassen, was Raum braucht.“
Jeden letzten Dienstag im Monat findet das Plenum der Mitmacher*innen statt, hier werden alle Anliegen gemeinsam besprochen, hier können alle vorbeischauen, die interessiert sind. „Eines unserer Ziele ist noch immer, vor allem die unmittelbare Nachbarschaft mit einzubeziehen, was auch schon gut funktioniert. Letztens kam eine Dame vorbei, die in der Nähe wohnt, und sie hat vorgeschlagen, dass wie doch mal gemeinsam Kuchen backen könnten.“
Ein Späti soll entstehen
Auch das Coachingprogramm „From Idea to Market“, das Geflüchtete dabei begleitet, sich in Berlin eine neue Existenz aufzubauen, nimmt seinen Lauf. Derzeit werden fünf Geschäftsideen unterstützt und Möglichkeiten ausgelotet, um das Programm zu erweitern. Das gilt auch für die Idee, in der Markthalle internationale Lebensmittel und Produkte anzubieten, außerdem soll ein Späti entstehen. Die Kulturmarkthalle bleibt also umtriebig und vor allem: Sie wächst. Mittlerweile beteiligen sich 40 ehrenamtliche Mitglieder unterschiedlicher Nationalitäten. Das Kernteam besteht mit Anja Seugling aus sieben Leuten, und es gibt auch erste Angestellte, die die Organisation unterstützen.
„Jeder macht hier, was er gut kann, und dann noch ein bisschen mehr.“
Ein Jahr nur hat es gedauert, bis der Ort ein fester Bestandteil des Mühlenkiez geworden ist, bis sich das Nachbarschafts- wie auch Flüchtlingsprojekt etablieren konnte. Ebenso ist die Kulturmarkthalle auch ein Generationsprojekt – und sie trägt zur Erinnerungskultur bei. „Manche unserer Besucher erinnern sich noch an die Verkaufstheke von Kaisers, auch der Schriftzug auf dem Boden im ehemaligen Kassenbereich ist noch da.“
Auch andere Bereiche der Halle wurden bereits umfunktioniert oder werden es noch. So ist das Badezimmer des Trödlers, der nicht nur all seinen Trödel, sondern auch seine Wohnung in der Halle hatte, nun eine Küche. Die ehemalige Laderampe für die Lkw wurde zur Werkstatt umfunktioniert. In den früheren Kühlräumen soll Gastronomie entstehen… Es gibt viel Fläche, auf der viel passiert und, wie es den Anschein macht, noch viel passieren wird. Diese Vielfältigkeit und Aufgeschlossenheit ist es, was die Kulturmarkthalle so besonders macht wie den Ort, der sie beherbergt.
Gastbeitrag von Verena Simon