Halbzeit für Bezirksbürgermeister Sören Benn. Im Interview erzählt er von seinen Visionen für Pankows Straßen. Und was er von Kinderhassern hält.
Seit zweieinhalb Jahren ist Sören Benn (Linke) Pankows Bürgermeister – zweieinhalb Jahre stehen ihm noch bevor. Im dritten Teil des Interviews mit den Prenzlauer Berg Nachrichten berichtet er davon, was ihn wütend macht. Menschen, die Reißzwecken auf Spielplätzen verteilen, zum Beispiel. Oder Parteien, die in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hetzen und „Gesinnungsschnüffelei“ betreiben.
Auch zur Verkehrswende findet Benn klare Worte: Am liebsten würde er ganze Wohnblocks im Bezirk weitgehend autofrei halten.
Herr Benn, zur Verkehrswende in Pankow: Was ist seit Beginn Ihrer Amtszeit auf den Straßen passiert?
Benn (lacht): „Ich bin deutlich häufiger von der Polizei auf dem Fahrrad kontrolliert worden. So habe ich mir zwei Punkte in Flensburg eingefangen.“
Wie das?
„Das sage ich nicht. Das passiert zum Beispiel, wenn man bei Rot über die Ampel oder auf dem Fußgängerweg fährt.“
Sie sagten bezogen auf den Radverkehr, die Wende gehe Ihnen zu langsam.
„Ja. Ich habe mir mal auflisten lassen, was hier bis 2021 in Prenzlauer Berg passiert. Das finde ich jetzt nicht rekordverdächtig. Es ist nicht nichts. Aber es ist auch noch nicht das klare Signal einer Radverkehrswende.“
Woran liegt das?
„Bei den Veränderungen im übergeordneten Straßenverkehrsnetz: Da sind wir als Bezirk einfach raus. Wir können die Entscheidungswege nicht beeinflussen. Für das Hauptroutennetz ist der Senat zuständig. Davon hängt ab, wie das Nebenrouten- und Ergänzungsnetz aussehen wird. Zum Glück sind wir so weit, dass Konsens darüber herrscht, dass Stargarder Straße und Gleimstraße zur Hauptroute zählen und dort untersucht wird, ob eine Fahrradstraße möglich ist.“
Sind Sie damit zufrieden?
„Was ich mir damals gewünscht habe, als ich ins Amt kam. Nämlich, dass wir relativ zügig eine eigenen Pankower Plan zum Radwegenetz haben. Das ist nicht eingetreten. Es hat lange gedauert, Radverkehrsplaner im Bezirk einzustellen. Und straßenverkehrsrechtliche Anordnungen sind offenbar auch eine Wissenschaft für sich. Mir reichen die Instrumente bei weitem nicht aus. Ich würde gern so etwas wie die Superblocks in Barcelona ausprobieren. Das habe ich mir angeschaut. Ganze Karrees in Pankow weitgehend autofrei zu halten, das fände ich wahnsinnig gut.“
Und warum tun Sie da nichts?
„Es gibt da rechtliche Hürden, die den Zeithorizont unüberschaubar machen. Es müssten zum Beispiel Straßen entwidmet werden. Die deutsche Straßenverkehrsordnung ist eine, die darauf ausgerichtet ist, dass der Verkehr fließt. Ich habe überhaupt nichts gegen Autofahrer. Ich habe nur etwas gegen zu viele Autos in der Stadt.“
Vor einem halben Jahr haben Sie eine Brandrede gegen die AfD gehalten. Anlass war eine Anfrage der BVV-Fraktion über Linksextremismus. Das hat Ihnen viele Sympathien eingebracht. Auf Facebook wurde die Rede rund 1000 Mal geteilt. Hat Sie diese Reaktion überrascht?
„Ja, diese Rede war ja nicht strategisch vorbereitet. Ich habe lange überlegt, wie ich mit diesen 55 Fragen inhaltlich richtig umgehe. Da wurde das Instrument der Großen Anfrage dafür missbraucht, die Verwaltung schwindelig zu spielen. Es war aus meiner Sicht angezeigt, auf einen politischen Aufschlag auch politisch zu antworten.“
Haben Sie die Rede eigentlich selbst geschrieben?
„Natürlich. In etwa einer Stunde. Wenn der Impuls stimmt, kann ich schnell schreiben. Diese Gesinnungsschnüffelei rührt an unser Demokratieverständnis. Das ist für mich ein virulentes Thema: Wie offen, wie plural, wie tolerant halten wir unsere Gesellschaft? Wie sehr lässt man sich mit den Mitteln der Demokratie von den Feinden der Demokratie in die Enge treiben? Und da war für mich der Punkt erreicht, zu sagen: Da mache ich nicht mit.“
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Mit der Wahl 2016 ist der Bezirk nach rechts gerückt – die AfD hat 13,3 Prozent bekommen, beliebt ist sie vor allem im Norden des Bezirks. Wie erleben Sie das in Pankow?
„Ich glaube, die AfD hat etwas sichtbar gemacht, was vorher schon da war. Ich glaube nicht, dass Pankow nach rechts gerückt ist. Sondern das, was an Pankow schon rechts war, hat ein neues Medium gefunden, durch das es sich artikulieren kann. Es ist ein neuer Akteur auf dem politischen Markt erschienen, der wählbar erschien mit honorigen Professoren und ehemaligen Generälen. Ich unterstelle nicht jeder und jedem, der oder die die AfD gewählt hat, dass er oder sie ein Nazi ist. Ich denke aber schon, dass die AfD-Wählerinnen und -Wähler sehr wohl wissen, wer diese Partei ist.“
Wo wir gerade beim Thema Hass sind. Vor einiger Zeit hat jemand auf dem Spielplatz am Arnimplatz mehrmals Reißzwecken, Nadeln und Rasierklingen verteilt. Schütteln Sie angesichts solcher Vorkommnisse manchmal den Kopf über die Bürger*innen von Pankow?
„So etwas macht immer ziemlich hilflos. Gegen Irre oder Asoziale ist kein Kraut gewachsen. Das wächst immer wieder nach. Wir wollen alle keinen Überwachungsstaat und wir können auch nicht alle Spielplätze permanent überwachen. Wir müssen als Gesellschaft immer wieder für den Konsens arbeiten, dass dieser öffentliche Raum gehütet und beschützt wird. Das Ordnungsamt kontrolliert verstärkt. Aber wir können Reißzwecken im Sand nicht verhindern.“
Was können Sie als Bürgermeister denn tun?
„Das einzige, was ich als Bürgermeister machen kann, ist zu sagen: Das tolerieren wir nicht. Man muss man nicht mal darüber reden, ob es vielleicht zu viele Kinder sind oder ob sie zu laut sind. Sondern ganz klar: Wer Kinder nicht leiden kann, der soll irgendwo hinziehen, wo es keine Kinder gibt.“
Welches sind die drei wichtigsten Baustellen für Ihre zweite Halbzeit als Bürgermeister?
„Das ist auf jeden Fall die Schulbauoffensive. Sie muss so weit sein, dass es nur noch eine Abarbeitung der Pläne ist und sie richtig gut läuft. Zum Anderen: unsere Verwaltung. Ich will sie wieder so aufstellen, dass wir dem Ziel, sie möge schnurren wie ein Kätzchen, immer näher kommen. Dafür fehlt Personal. Das heißt, wir müssen Einstellungsverfahren beschleunigen. Und eine Willkommenskultur entwickeln: Wenn man nicht so gut zahlen kann, muss man mit anderen Pfunden wuchern. Und dann möchte ich die Diskussion um den Mauerpark so moderieren, dass er uns erhalten bleibt. Er soll bleiben als Lebensraum und als Wohnzimmer.“
Das waren drei Ziele.
„Eines hätte ich noch. Es geht um die Fröbelstraße 15, das Vivantes-Krankenhaus in Prenzlauer Berg, das nach Friedrichshain zieht. Ziel ist ein dort multifunktionaler Standort für Verwaltung, Gesundheit, Wohnen, Flüchtlinge, Kultur, Schul- und Kitanutzung. Dieser Nutzungsmix war meine Idee. Ich möchte, dass die wesentlichen Entscheidungen dazu noch in dieser Legislaturperiode getroffen werden. Nämlich, dass das Land Berlin das Gelände von der Vivantes erwirbt und es dann ausgebaut wird.“
In Teil I unserer dreiteiligen Interviewreihe mit Bürgermeister Sören Benn geht es um: Benns Alltag, seine bewegendsten Momente im Amt und die Bürgerbeteiligung (unter anderem in der Michelangelostraße).
In Teil II spricht Sören Benn über den Wohnungsneubau am Thälmann-Park und die Schulbauoffensive im Bezirk.
1 Kommentar
Nach diesem Interview verstehe ich die Brexit-Leute besser. Vielleicht sollte Pankow auch eine unabhängige Nation werden, damit man das Radwegenetz vernünftig ausbauen kann.