Hebamme

„Der Frauentag ist ein gutes Signal“

von Julia Schmitz 8. März 2019

Anja Constance Gaca ist Hebamme, Autorin, vierfache Mutter – und eröffnet, pünktlich zum Internationalen Frauentag, unsere Reihe „Famose Frauen aus Prenzlauer Berg“.


Dies ist ein Text aus unserer Reihe
„Famose Frauen aus Prenzlauer Berg“


 

Liebe Anja, du arbeitest als freiberufliche Hebamme, schreibst Bücher über Baby- und Elternthemen, und bist selbst vierfache Mutter – wie machst du das alles?

Anja: Gute Frage! Ich würde sagen: selbst und ständig, wie man so schön sagt. Meine Kinder sind 13, 10, 6 und knapp zwei Jahre alt – ich arbeite immer dann, wenn sich eine Lücke ergibt und habe nicht die Erwartung, dass ich dafür immer sechs oder acht Stunden pro Tag am Stück zur Verfügung habe. Als Hebamme bin ich es sowieso schon lange gewohnt, am Abend, am Wochenende oder an den Feiertagen zu arbeiten. Mein Mann hatte außerdem zwölf Monate Elternzeit genommen; mittlerweile ist unser jüngstes Kind aber auch für ein paar Stunden am Tag im Kinderladen.

 

Wie bist du zu dem Beruf der Hebamme gekommen?

Anja: Ich habe zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht und auf einer Intensivstation und in der Dialyse gearbeitet, das war aber nicht ganz so mein Ding. In der Ausbildung zur Krankenschwester wird man auch in der Geburtshilfe eingesetzt und letztendlich habe ich dorthin gewechselt. Ich war zeitweise angestellt, hatte auch eine eigene Praxis und arbeite jetzt freiberuflich in der Schwangeren- und Wochenbettbetreuung sowie in der Still- und Beikostberatung in Prenzlauer Berg.

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Am Freitag ist Internationaler Frauentag, in Berlin ist er zum ersten Mal ein Feiertag. Was bedeutet dieses Datum für dich?

Anja: Als zusätzlicher Feiertag ist es natürlich ganz schön, aber generell bin ich kein Freund von Muttertag, Vatertag, Frauentag, Hebammentag- es gibt ja für alles einen Tag – eigentlich verdienen diese Gruppen und Themen doch jeden Tag Beachtung. Der Internationale Frauentag ist auf jeden Fall ein gutes Signal, aber es darf nicht dazu führen, dass nur an diesem Datum über die relevanten Themen in Bezug auf Frauen berichtet wird und den Rest des Jahres nichts passiert.

 

Wie ist würdest du die aktuelle Situation rund um deinen Beruf als Hebamme beschreiben?

Für die schwangeren Frauen ist sie schlecht: Es gibt einen akuten Hebammen-Mangel, streng genommen sollten Frauen sich bereits melden, wenn sie den positiven Schwangerschaftstest in der Hand halten. Und trotzdem müssen ich und meine Kolleginnen immer wieder Frauen abweisen, weil die Zeit für eine intensive Betreuung während der Schwangerschaft und im Wochenbett einfach nicht ausreicht. Aber weil dieser eklatante Mangel vorhanden ist, hat man als Hebamme letztlich sehr viele Möglichkeiten. Als ich 2002 die Ausbildung beendete, habe ich mich noch initiativ in mehreren Kliniken beworben, aber die meisten waren bereits ausreichend mit Hebammen besetzt. Heute wird überall händeringend nach Hebammen gesucht! Die Nachfrage ist so groß, dass ich mir z.B. aussuchen kann, nur Frauen aus meinem näheren Wohnumfeld zu betreuen.

 

Was denkst du, woran das liegt? Bekommen mehr Frauen Kinder oder werden weniger Frauen Hebamme?

Beides. Es werden mehr Kinder geboren, aber gleichzeitig entscheiden sich weniger Frauen zu einer Ausbildung als Hebamme oder hören mittelfristig wieder auf – die Vergütung ist meiner Meinung nach nicht angemessen, man muss auf Abruf verfügbar sein und man trägt eine hohe Verantwortung für die Schwangere und das Neugeborene und deren Gesundheit. Hinzu kommen die enorm hohen Beträge für die Berufshaftpflichtversicherung: für die freiberufliche Geburtshilfe fast 10.000 Euro im Jahr. Für Berufseinsteiger ist das schwer, man muss darüber hinaus immer wieder in Vorleistung gehen, weil die Krankenkassen – über die Hebammen nach einer festgelegten Gebührenordnung abrechnen – immer drei Wochen Zeit haben, um die erbrachten Leistungen zu zahlen, oft dauert es noch länger. Dazu kommen das Qualitätsmanagement oder die wichtige Fortbildungspflicht. Fortbildungen sind meistens auch teuer. Vor ein paar Jahren gab es mal eine Untersuchung, die gezeigt hat, dass der durchschnittliche Stundenlohn einer freiberuflichen Hebamme noch unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Für Berufsanfängerinnen ist das wenig attraktiv.

 

Ist Hebamme eigentlich ein rein weiblicher Beruf?

Es gibt auch Männer in diesem Beruf, man nennt sie offiziell „Entbindungspfleger“. In Berlin gibt es einen, der praktiziert, in ganz Deutschland sind es, glaube ich, vier. Generell ist es ein sehr weiblich dominierter Beruf. Manchmal überlege ich, ob wir Frauen in diesem Fall diskriminierend sind? Ich bin der Meinung, dass ein Mann genauso gut und einfühlsam bei einer Geburt begleiten kann wie eine Frau. Natürlich ist der Beruf der Hebamme daraus entstanden, dass Frauen schon immer anderen Frauen bei der Geburt geholfen haben, aus dieser Tradition heraus ist es eben ein Frauenberuf. Erst als die Geburten in die Krankenhäuser zu den Ärzten verlegt wurden, kamen Männer ins Spiel. Wichtig ist, dass die Schwangeren die Wahl haben, ob sie von einer Frau oder einem Mann begleitet werden wollen, das geht ja beim Gynäkologen oder der Gynäkologin auch.

 

Du lebst und arbeitest in Prenzlauer Berg. Wie nimmst du hier die Themen Schwangerschaft, Mutterschaft, Kinder wahr? Wie lebt es sich als Frau und Mutter in Prenzlauer Berg?

Von meinem Gefühl her gibt es eine Menge Netzwerke und Unterstützung. Wenn ich die jungen Mütter im Wochenbett besuche bekomme ich häufig mit, dass z.B. eine Nachbarin Essen vorbeibringt oder das Geschwisterkind abholt, was toll ist, wenn die Familie nicht in der Nähe wohnt. Es gibt aber auch viele Frauen, die vereinsamen, weil sie den ganzen Tag mit dem Kind allein sind oder in die bereits bestehenden Mütter-Cliquen nicht reinkommen. In den ganzen Baby-Kursen geht es deshalb gar nicht nur um pädagogische Angebote für dasKind, sondern auch darum, die Mütter aus ihrer Vereinzelung zu holen. Das könnte sicher noch besser laufen. Alleinerziehende Frauen erlebe ich oft als sehr gut organisiert: Sie schauen vorab, wo sie sich Hilfe holen können, beziehen Freunde mit ein etc.

 

Was bedeutet für dich persönlich Gleichberechtigung?

Die ideale Gleichberechtigung besteht für mich dann, wenn die Vorstellungen in einer Partnerschaft gleichberechtigt auf den Tisch kommen und nicht unbedingt darin, dass beide immer fünfzig Prozent der Arbeit machen. Man sollte schauen, was – vor allem mit Kindern – gemacht werden muss und wie man das gemeinschaftlich organisiert bekommt. Und das muss man immer wieder neu diskutieren! Ich halte es für ein Problem, dass man gezwungen ist, z.B. die Länge der Elternzeit vorab festzulegen; bei manchen Paaren wäre es sicher besser, nach einem halben Jahr zu tauschen oder die Elternzeit zu verlängern. Für mich kommt Gleichberechtigung in der Gesamtbilanz zustande – und die muss sich stimmig anfühlen.

Danke für das Gespräch!

 

Mehr über Anja erfahrt ihr auf ihrer Webseite; außerdem schreibt sie regelmäßig auf ihrem Blog Von guten Eltern.

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