Obstkistenpunk

Obstkistenpunk im Gleimkiez

von Julia Schmitz 14. Februar 2019

Ende der 1990er zog Anke Glasmacher in den Gleimkiez. Die letzten ,wilden‘ Jahre von Prenzlauer Berg sind in ihre Erzählungen mit dem Titel „Obstkistenpunk“ eingeflossen.


 

An einem für Anfang Februar erstaunlich frühlingshaften und sonnigen Nachmittag treffe ich Anke Glasmacher an der Ecke von Kopenhagener und Sonnenburger Straße, vor dem Café Kohlenquelle – einer Institution im Kiez, die es seit dem Jahr 2000 gibt und die damit schon zu den alten Hasen im Viertel zählt. „Früher war hier eine Brache“, erzählt Anke mit Blick auf das Areal gegenüber, auf dem sich heute das REH und das Restaurant Kanaan befinden; das Haus am Schwedter Steg (wohl eines der am häufigsten fotografierten Gebäude in der Gegend) sei außerdem damals unbewohnt gewesen.

Seit 1999, als die Autorin aus Köln nach Berlin zog, hat sich das Erscheinungsbild des Gleimkiezes ziemlich verändert: die Mietskasernen haben ihren Mantel aus grauen und bröckelndem Putz abgelegt und gegen pastellfarbene Fassaden eingetauscht. Alles strahlt wie neu – bis auf das Haus in der Sonnenburger Straße, in dem Anke Glasmacher damals eine kleine Wohnung bezog und dessen Vorderseite noch immer daran erinnert, wie es vor 20 Jahren hier aussah. Ihre Zimmer waren damals frisch saniert, der Preis mit knapp 450 Euro für 50 Quadratmeter günstig – „zumindest dann, wenn man gerade aus Köln kommt“, lacht sie. Dass ihre Nachbarn, die teilweise schon mehrere Jahrzehnte in dem Haus wohnten, oftmals nur einen Bruchteil davon zahlten, erfuhr sie erst später.

obstkistenpunk„Natürlich herrschte hier damals eine ganz besondere Stimmung“, erinnert sich die Autorin, es gab mehr Freiräume oder Platz für kreative Zwischennutzungen. Einmal wurde sie von einer Freundin mit ins Theater genommen, in einer Straße des Prenzlauer Bergs, die sie seitdem nicht wiedergefunden hat: „Das war kein schickes Theater, wie man es sich vorstellt, sondern im Hinterhof in einem schummrigen Keller, alles recht improvisiert.“ Die Schauspieler trugen ihre Texte auf Obstkisten stehend vor – eine Episode, die nun zu dem Titel Obstkistenpunk führte, den ihr kürzlich erschienener Erzählband trägt.

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Nicht alle Geschichten darin spielen in Berlin oder handeln von Prenzlauer Berg, doch Glasmachers Zeit im Gleimkiez hat sich untrüglich zwischen den Zeilen festgesetzt. Manche Texte basieren auf wahren Ereignissen – siehe das Hinterhoftheater – manche entstanden aus einer Beobachtung auf der Straße, einem aufgeschnappten Wortfetzen, einer Begegnung oder einer Erinnerung.

„dreckig, stickig, eng, das war ihre einzige erinnerung. […] schwarze nebelschatten dünsteten aus den kohleöfen. tag für tag zogen sie über die straßen bis in die höfe und klebten sich als schwarze schatten dick auf die hausfassaden.“

Schreiben ist für sie wie fotografieren: Aus einer Momentaufnahme finden sich die Worte zusammen und gehen danach ihren eigenen Weg. Sie nutzt dabei in ihren Texten konsequent Kleinschreibung: „sprache ist eine übereinkunft. ich hinterfrage bedeutungen „sprachspielerisch“. das gilt auch für die zeichenform. denn im inhalt wie in der form: vielleicht gibt es hinter der bestehenden eine neue ebene zu entdecken“, kommentiert sie diese Wahl. Dass Anke Glasmacher aus der Lyrik kommt, spürt man auch in Obstkistenpunk: Hier sitzt jedes Wort, sind die Sätze messerscharf, wird auf sprachliche Ornamente verzichtet. Ihre erzählerischen Miniaturen zeichnen sich nicht durch einen klassischen Aufbau mit Anfang, Pointe und Ende aus, sie schweben vielmehr frei im Raum, zerfasern an den Rändern und lassen Spielraum für eigene Gedanken.

„Ich gebe den Text frei und dann kann der Leser damit machen, was er möchte“, beschreibt die Autorin ihre Arbeit und findet es spannend zu hören, was im Kopf der Rezipienten für Assoziationen entstehen oder welche Erinnerungen auftauchen. Auch auf unserem Spaziergang stoßen wir auf viele Anekdoten aus den Anfangsjahren des neuen Jahrtausends, als Berlin noch ebenso grau wie rau war. Geschichten, denen etwas nostalgisches anhaftet – und die Anke Glasmacher auch in Zukunft noch als Inspiration für ihre Gedichte und Erzählungen nutzen wird.

Obstkistenpunk von Anke Glasmacher ist im Elif Verlag erschienen. Weitere Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Homepage. Weitere Texte rund um das Thema Literatur aus, in und über Prenzlauer Berg gibt es bei uns.

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