Prenzlauer Berger Clubleben: früher ideell, heute kommerziell?

von Victoria Scherff 31. Januar 2019

Wir haben einen Blick in die hiesige Clubkultur der 90er geworfen. Eine kleine Zeitreise, Tipps fürs heutige Nachtleben – und ein dringender Appell an die Berliner Politik.


Das Ikon, der Knaack Club, der Klub der Republik und dann letztes Jahr der Bassy Club am Pfefferberg – wenn man über die Musikszene in Prenzlauer Berg nachdenkt, schießen sofort die zahlreichen Club-Schließungen der letzten Jahre in den Kopf: Im schmerzhaften Rhythmus gab es  Jahr für Jahr eine Closing- oder Abriss-Party.

„Lärm, Mietpreise und Gema“: Für Autor und DJ Henryk Gericke sind das die Hauptgründe für die zahlreichen Schließungen. Wir treffen uns an einem kalten Dienstagvormittag in der 8mm Bar, wo Gericke seit 16 Jahren auflegt. Genauso lang gibt es die Bar an der Schönhauser Allee schon. Der kalte Rauch der letzten Club-Nacht hängt noch in der Luft, es gibt Orangensaftschorle, draußen donnern die Autos von Prenzlauer Berg aus Richtung Mitte. „Wir sind hier in einem der ganz wenigen Orte in Prenzlauer Berg, wo es noch ein regelmäßiges Musikprogramm mit Band gibt“, sagt der 54-Jährige.

 

Ein kleines Tacheles am Kollwitzplatz

Gericke ist seit über 20 Jahren als DJ in der Szene unterwegs, lange hat er als Booker gearbeitet. Der Ex-Punk ist gut vernetzt und hat die Entwicklung der Musikszene im Bezirk von Anfang an mitbekommen: Zuerst in der DDR, dann in den aufregenden 90er Jahren – und heute in Zeiten von rasant steigenden Mieten und Verdrängung.

Henryk Gericke vor der 8mm Bar in der Schönhauser Allee 177B (Foto: Victoria Scherff)

 

„Als die Mauer fiel, gab es hier unglaublich viele tote Räume – ein Großteil der Gewerberäume in Prenzlauer Berg stand über Jahrzehnte leer. Es war eine spannende Zeit“, erinnert sich Gericke. „Unmittelbar am Kollwitzplatz gab es einen Techno-Club, das ist heute unvorstellbar“, beschreibt er die ersten Jahre nach der Wende. Über den Hinterhof, ging es in den beengten Keller hinein und „dann war da so etwas wie ein kleines Tacheles.“ Genauso schnell, wie die Underground-Bars und -Clubs im Prenzlauer Berg der 90er Jahre aus dem Boden schossen, genauso schnell waren sie auch wieder verschwunden. Heute existierten keine mehr davon. Den Techno-Club am Kollwitzplatz traf es 1995, „dann fielen die Investoren ein“. Diese sanierten die baufälligen, von der DDR-Regierung vernachlässigten Häuser.

 

Heute wohnt man im Osten und feiert im Westen

In den ersten wirren Jahren nach der Wende wurde „im Osten gefeiert und im Westen gewohnt“. Heute sei es genau andersherum, beobachtet Gericke. „Es gab die obskursten Läden am Helmholtz- und Kollwitzplatz“. Die Aufbruchstimmung und die neue politische Ordnung weckte den Erfindergeist der Prenzlauer Berger: Und so kam es schon mal vor, dass es in einer Boutique auf der Danziger Straße nicht nur Kleidung, sondern auch eine warme Suppe zu kaufen gab.

Damals underground, heute schick hergerichtet: Häuserreihe im Kollwitzviertel (Foto: Victoria Scherff)

 

Gibt es überhaupt noch Clubs in Prenzlauer Berg, die sich vor und nach der Wende behauptet haben? Die bekannteste Adresse aus der DDR-Zeit, der Knaack-Club an der Greifswalder Straße, musste 2010 nach 58 Jahren schließen. Es gab Beschwerden und einen anschließenden Rechtsstreit mit den neuen Nachbarn über den nächtlichen Lärm. Letztes Jahr gab es Gerüchte über eine Wiedereröffnung am Mauerpark.

Einzig geblieben aus vergangenen Zeiten ist der heutige Frannz-Club. Zu DDR-Zeiten wurde er 1970 als Jugendklub „Franz“ aufgemacht, es gab Kultur, Tanz und Konzerte für die Ostberliner. Nach der Wende schloß der Franz im Jahr 1997 und eröffnete als „Frannz-Club“ 2004 wieder die Türen für das Mainstream-Nachtpublikum.

Und dann gab es natürlich noch den Magnet Club (2001-2010), das Icon (1997-2012) und den Klub der Republik (2002-2012). Letzterer hatte wieder für eine kurze Zeit in der Willner-Brauerei eröffnet, schloss dann aber 2018 wieder.

Der wiedereröffnete und dann 2018 wieder geschlossene Klub der Republik in der Willner-Brauerei

 

Ideell, kommerziell, uninteressant

„Früher pendelten die Leute zwischen dem Kaffee Burger, dem White Trash und dem 8mm“, erzählt Gericke und betont, dass das Kaffee Burger nur die ersten drei Jahre hip gewesen sei. Dann durchlebte der Club eine Entwicklung, die man laut Gericke auf den ganzen Bezirk übertragen könne: Zuerst ideell, dann kommerziell – und schließlich für Berliner nicht mehr interessant.
Das „alte Dreieck“ nennt er die drei Clubs. Und dann war da noch die Achse zwischen Bassy und 8mm Bar: „Viele kamen vor dem Bassy oder danach in die 8mm Bar“, das habe sich zum einen durch die verschiedenen Öffnungszeiten als auch durch den unterschiedlichen musikalischen Ansatz gut ergänzt.

Nicht nur als Schriftsteller und DJ, auch als Galerist ist Gericke in Prenzlauer Berg unterwegs. In seiner sogenannten Staatsgalerie Prenzlauer Berg an der Greifswalder Straße organisierte er über 90 Ausstellungen und 200 Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerte, Film- und Buchpremieren. Mittlerweile ist aber auch die Staatsgalerie Geschichte – die Miete wurde erhöht. Im Sommer 2015 machte sie zu.

 

Gepflegt weggehen in Prenzlauer Berg: die besten Adressen

Doch ist der Prenzlauer Berg musikalisch wirklich tot, wie es so oft heißt? Klar ist: In den letzten 30 Jahren hat sich im Bezirk sehr vieles verändert, gestandene Club-Größen sind weggezogen oder mussten schließen. Man kann aber immer noch Musik abseits des kommerziellen Mainstreams erleben. Man muss nur wissen, wo. Gericke benennt ein paar Hot-Spots:

  • Das Ausland in der Lychener Straße: Musik und Literatur, avantgardistisch und experimentell für ein kleines Publikum. Unterstützt werde die Location durch eine Kulturförderung vom Bezirk.
  • Das Watt in der Metzerstraße: Ein Geheimtipp für alle Jazz-Fans, denn dort würden auch mal Jazz-Superstars aus den USA vor nur 30 Leuten spielen.
  • Der Dunckerclub in der Dunckerstraße: Dark Wave seit 25 Jahren, eine alte Adresse wie das Franz und der Knaack Club.
  • 8mm Bar in der Schönhauser Allee: Live-Musik jeden Montag, Donnerstag, manchmal auch am Wochenende, auch internationale Bands aus Japan und Neuseeland.
  • Synästhesie-Festival: Findet seit vier Jahren jährlich im Kesselhaus statt, doch es könnte schon bald in den nächsten Bezirk abwandern: „Wenn wir nächstes Jahr keine Förderung vom Bezirk bekommen, gehen wir nach Mitte“, sagt Gericke.
  • Roadrunner’s Paradise Club in der Saarbrücker Straße: Konzerte und Rock’n’Roll, der Inhaber komme aus der Ostberliner Szene.
  • Mokum in der Danziger Straße Ecke Kollwitzstraße: Musik und wechselnde DJs, seit fast 20 Jahren im Kiez.

Der Dunckerclub in der Dunckerstraße 64

 

Gibt es denn Potential für die Eröffnung neuer Clubs und Musik-Bars, wie man es in den vergangenen Jahren vor allem in Neukölln beobachten konnte? „Wie denn? Wenn man überhaupt noch Räume findet, braucht man die Wohnung darüber“, sagt Gericke, denn auch der beste Schallschutz könne den Beat und die Lautstärke von Konzerten nicht ausreichend nach oben dämpfen. Und dann tummeln sich die Gäste bekanntlich gerne vor der Tür – auch nach 22 Uhr. Die Betreiber sind dann eigentlich verpflichtet, für Ruhe zu sorgen. „Wer Berlin kennt, weiß, dass niemand vor 22 Uhr zu einem Konzert geht“, kommentiert Gericke.

 

Hilfe durch die Club Commission

Doch nicht nur die Auflagen stellen große Hürden dar, vor allem die Gema ist DJ Gericke ein Dorn im Auge: Die 8mm Bar etwa bezahle fast so viel Gema wie Miete. „Die Gema ist mitursächlich dafür, dass viele Läden schließen müssen, die können das einfach nicht mehr bezahlen – und darum kümmert sich niemand in der Politik“, kritisiert der DJ und Autor. In Berlin helfe der Verein Club Commission Bars und Clubs mit Beratung und Anwälten.

Gericke appelliert an die Berliner Politik: „Ick wünsche mir ein hohes Bewusstsein in der Politik für diese Problematik – ohne Nachtleben ist Berlin eine Stadt wie jede andere.“

Wer Gericke live als DJ erleben möchte, trifft ihn regelmäßig im 8mm, einmal monatlich im Sage und vor wie auch nach Konzerten in der Volksbühne.

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