Seit 25 Jahren kocht die Kiezkantine in der Oderberger Straße für den Kiez rund um die Kastanienallee, nun wird dringend finanzielle Unterstützung benötigt. Ein Porträt über das Sozialprojekt aus der Nachbarschaft.
Als ich zur Mittagszeit die Tür zur Kiezkantine öffne, schlägt mir ein wohlig-warmer Geruch entgegen: Auf der Speisekarte steht heute Erbseneintopf, zum Nachtisch gibt es Griessbrei. Fast alle Plätze sind um diese Uhrzeit besetzt, wildes Stimmengemurmel und Gläserklirren umhüllt mich, es herrscht eine gemütliche, familiäre Atmosphäre – fast wirkt es, als würde hier jeder jeden kennen. Dabei habe sich das Publikum in den letzten Jahren wahrnehmbar verändert, erzählt mir Kristina Schneider, Leiterin der Kiezkantine: Früher hätten hier hauptsächlich Anwohner zu Mittag gegessen, mittlerweile setze sich die Kundschaft vor allem aus Touristen und Menschen, die in der Gegend arbeiten, zusammen.
„Früher“, das umfasst mittlerweile bereits ein Vierteljahrhundert: 1992 hatte eine Selbstbaugenossenschaft, bestehend u.a. auch aus den Mietern des Hauses, das Gebäude in der Oderberger Straße 50 gekauft und mit viel Eigenarbeit saniert. Um einen Treffpunkt während des Umbaus zu haben, richtete der dahinter stehende Verein „So oder so“ die Räumlichkeiten im Erdgeschoss als Café ein – es entstand die „Sozialkantine“. Zehn Jahre lang gab man hier in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt Nord Langzeitarbeitslosen mit ABM-Stellen – so genannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – ein berufliches Zuhause, ein dreigliedriges Preissystem ermöglichte auch sozial schwachen Menschen, außer Haus und in Gesellschaft zu essen.
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Unterstützung psychisch kranker Menschen
Als die Förderung des Arbeitsamtes 2003 wegfiel, drohte zunächst die Schließung der Kantine – doch übergangslos konnte die Pinel gGmbh als neuer Betreiber gewonnen werden. „Wir hatten nicht einen Tag geschlossen“, berichtet Schneider. Pinel, die bezirksübergreifend in der ambulanten Psychiatrie tätig ist und unter anderem betreutes Wohnen sowie Arbeit und Beschäftigung als Erprobung und Voraussetzung auf dem Weg in den Arbeitsmarkt von chronisch psychisch Kranken anbietet, trägt auch heute noch die Verantwortung.
Seit 15 Jahren bilden nun chronisch psychisch Kranke einen wichtigen Stützpfeiler in der Organisation der Kiezkantine: Sie arbeiten in der Küche oder im Service oder in der Hauswirtschaft – und zwar zu Zeiten und Bedingungen, die sich mit ihrem gesundheitlichen Zustand vertragen. „Auf dem ersten Arbeitsmarkt wären viele chronisch psychisch Kranke überfordert“, erklärt Schneider, „bei uns haben sie die Möglichkeit, ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend wieder an das Arbeitsleben herangeführt zu werden, Teamfähigkeit zu lernen und eine feste Tagesstruktur zu etablieren.“
Noch immer leiden viele Menschen unter der sozialen Stigmatisierung, die psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft anhaftet: Depressionen sind nunmal weniger sichtbar als zum Beispiel ein gebrochenes Bein, schnell können Betroffene in den Verdacht geraten, zu simulieren. Die Kiezkantine und die Pinel gGmbh, die sich im Sinne des Namensgebers der „ganzheitlichen Wahrnehmung“ des Menschen verpflichtet sieht, möchte dieses Bild ändern: Wer in der Kiezkantine zu Mittag isst, kann Berührungsängste durch bereichernde Begegnungen mit psychisch Erkrankten überwinden.
Finanzielle Unterstützung benötigt
Doch so ehrenhaft die Beweggründe der Kiezkantine sind und so engagiert die Mitarbeiter den täglichen Betrieb aufrechterhalten: Ohne finanzielle Unterstützung funktioniert der Laden auf Dauer nicht. Bisher wurde das Projekt ausschließlich von der Pinel gGmbh finanziert, doch nun ist die Pinel Gesellschaft auf die Unterstützung der öffentlichen Hand angewiesen. „In den ganzen 15 Jahren, seit die Kiezkantine die neue Ausrichtung hat, haben wir keine öffentlichen Gelder für den laufenden Projektbetrieb erhalten“, kritisiert Schneider. Lediglich das Jobcenter Pankow finanziert dankenswerter Weise seit Jahren 5 AGH-Plätze für seine Kund*innen.
Dabei gebe es auch in Pankow einen Geldtopf, der für diese Art von Projekten angezapft werden könne, ist sie überzeugt. Bezirksbürgermeister Sören Benn hatte im Dezember in der Gesprächsrunde „Psychische Erkrankungen und Arbeit“ anlässlich des 15/25-jährigen Jubiläums der Kantine unterstrichen, für wie wichtig er persönlich die Unterstützung chronisch psychisch Kranker durch passende Arbeitsmöglichkeiten einschätze – doch bezüglich der Finanzen seien ihm leider die Hände gebunden. Das werde nicht auf Bezirks-, sondern auf Landesebene entschieden – und dort sei der Druck rund um den Bereich Arbeit für psychisch Kranke als erfolgreiche Therapieform wohl noch nicht groß genug. „Das Thema muss dringend aus dem Schattenbereich herausgeholt werden“, ist auch Schneider überzeugt.
Die Pinel gGmbh wünscht sich nicht nur öffentliche Gelder, sie ist sogar mittlerweile darauf angewiesen – auf lange Sicht kann sie das Projekt Kiezkantine nicht mehr alleine stemmen. Das Ende der Kiezkantine wäre nicht nur ein herber Verlust für Prenzlauer Berg, sondern auch der Wegfall eines Ortes, der vielen Menschen Unterstützung und einen geregelten Alltag bietet.