Im Nordischen Viertel wird mit den Bäumen in Ekkehard Maaß‘ Hinterhof auch ein Stück Prenzlauer Berger Geschichte gefällt.
In der Schönfließer Straße trafen sich in den achtziger Jahren unangepasste Künstler bei Ekkehard Maaß‘ literarischem Salon. Nun wird der luftige, grüne Hinterhof zugebaut. Wie Bäume, Wandmalereien und ein Stück Geschichte der Verdichtung zum Opfer fallen.
An eine Pflanzung kann er sich noch ganz genau erinnern. „Den Kastanienbaum da“, sagt Ekkehard Maaß und zeigt auf eine große, helle Baumstumpf-Wunde, „den habe ich gemeinsam mit meinem Erzfeind gepflanzt.“ Für den Baum brauchte es vereinte Kräfte, so versenkte ihn Maaß gemeinsam mit Stasi-Spitzel Sascha Anderson in der Erde, auf einem Hinterhof in der Schönfließer Straße. Da wohnte Anderson bereits mit Maaß‘ Dann-nicht-mehr-Frau Wilfriede zusammen – im Hinterhaus, und um dorthin zu gelangen, mussten sie an „Ekkes“ Wohnung im Vorderhaus vorbei. „Keine schöne Situation.“
Aber auch alles lang, lang her. Die Keramikerin Wilfriede Maaß lebt nicht mehr in Berlin, der nach der Wende als IM enttarnte Schriftsteller Sascha „Arschloch“ Anderson, mittlerweile Schwiegersohn des illustren Walser-Clans, auch nicht mehr, und Liedersänger und Publizist Ekkehard Maaß wieder im Hinterhaus. In ebenjener Wohnung, wo sich in den Achtzigern die alternative Prenzlauer Berger Künstlerszene zu den legendären literarischen Salons versammelte. Hier, in der Schönfließer 21, trafen sich junge Autoren, die ihr Abfallen vom sozialistischen Glauben einte, hier lasen und sangen Wolf Biermann, Christa Wolf, Heiner Müller, hier spionierte Anderson seine Freunde aus.
13 Wohnungen – und 45 Autostellplätze
Nun, 40 Jahre später, ist in der Schönfließer Straße von Anderson nicht einmal mehr der Kastanienbaum übrig. Gefällt an einem Montagmorgen Anfang März, zusammen mit fast allen anderen Bäumen auf dem (noch) weitläufigen Hinterhof der Schönfließer Straße. Der Grund: Verdichtung, der Eigentümer will bauen. Der Bauherr, die „Stadtcom City“, will laut Bezirksamt 13 Wohnungen entstehen lassen – acht davon in einem Neubau aus Haupt- und Seitenflügel, der Rest in auszubauenden Dachgeschossen in den Häusern Schönfließer 20 und Schivelbeiner 31. Außerdem ist unter dem Neubau eine Tiefgarage mit – für 13 Wohneinheiten recht großzügigen – 45 Stellplätzen geplant, mit Zufahrt von der Schivelbeiner Straße aus.
Der untypisch große Hinterhof entstand Mitte der siebziger Jahre als DDR-Vorzeigeprojekt. Damals entkernte man die Höfe, verband sie miteinander, ließ Licht und Luft in die Blöcke. „Hier konnte man spazieren gehen, ohne überhaupt auf die Straße zu treten“, erzählt Maaß. Nach der Wende dann sofort die Gegenbewegung: „Als die Mauer fiel, zog als erstes die katholische Kirche dort nebenan einen Zaun um ihr Grundstück.“
Was für den Bezirk lediglich eine weitere Genehmigung auf dem Weg zur verdichteten Stadt ist, bedeutet in diesem Fall den Verlust von im wahrsten Sinne des Wortes gewachsener Geschichte. „Wir als Mietergemeinschaft sind unheimlich betroffen von dem Verlust dieses kleinen Parks hier“, sagt Maaß, und schaut sich noch immer einigermaßen entsetzt auf dem kahlen Hof um. „Ich habe hier vor 40 Jahren selbst über 200 Büsche und Bäume gepflanzt. Das war hier wirklich eine kleine Oase.“
„Wir waren schon eine Gefährdung für den Staat“
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An warmen Tagen verlegte sich der literarische Salon aus der Wohnküche auch nach draußen. Das Zentrum des Hofes war ein großer Nussbaum, darunter wurde getafelt. Anekdoten zum Hof hat Maaß unzählige auf Lager, nicht nur die vom Kastanienbaum. Da ist noch die Laube, die er baute und die zu einem beliebten Treffpunkt der Anwohnerjugend wurde. Darin vermutete die Volkspolizei, wie in jeder Art von Versammlung, Aufruhr, und verhörte Maaß als vermeintlichen Rädelsführer. „Ich stand dann alleine in diesem Hof mit Vertretern vom Rat des Kreises, Polizei, Stasi und wer weiß ich noch alles. Und in dem Augenblick, als sie zum Sprechen anheben, erschallen die Glocken der Kirche, und die sind ja hier im Hof richtig laut. Wir standen uns dann lächelnd und schweigend fünf Minuten gegenüber.“
War Maaß‘ Salon denn ein Oppositionellen-Treff? Nein, sagt er klar. Die Linie von Robert Havemann, Wolf Biermann, Rudolf Bahro, Bärbel Boley, Gert Poppe, „die eigentlich den Sozialismus in der DDR mit menschlichem Antlitz verwirklichen wollten“, sei von der unangepassten Künstlerszene getrennt zu betrachten. „Diese löste sich schon zehn Jahre vor ’89 von der sozialistischen Utopie und letztlich der DDR, die wollten schon damals einfach bürgerliche Rechte und Freiheiten durchsetzen. Die hatten aber keine sozialistische Utopie mehr.“
Für einen Staat, der auf Ideologie gegründet ist, aber auch ein Grund zur Beunruhigung. Wieso also wurde Maaß‘ Salon nie ausgehoben? „Wir haben uns nicht vordergründig politisch artikuliert“, sagt er. „Für den Staat waren wir zwar schon eine Gefährdung, aber man hat sich damit zufrieden gegeben, uns zu kontrollieren. Hier sprangen ja etliche Spitzel herum, allen voran Sascha Anderson.“ Und bei den Lesungen selbst seien immer bekannte Köpfe wie Heiner Müller, Christa Wolf oder Volker Braun dabei gewesen – „bei denen die Stasi Angst haben musste, dass eine ‚Aktion‘ den Weg in eine Westzeitung fände“.
Denkmalschutz? Fehlanzeige
Neben den Bäumen werden auch Wandmalereien, die im Rahmen des Salons an einer Brandmauer im Hof entstanden, der Bebauung zum Opfer fallen. „Das war 1987, eine Aktion mit Künstlern aus Georgien“, erinnert sich Maaß und zeigt auf die Malereien an der Wand. Nachdem viele der Prenzlauer Berger Literaten in den achtziger Jahren die DDR verließen, öffnete sich der Salon in Richtung Osteuropa. „Die kamen aus Sowjet-Georgien hierher – Berlin, das war für die verrückt, groß, faszinierend, all das, was ihnen hier an Kultur entgegenschlug. Die sind richtig ausgeflippt.“
Verbildlicht haben die Künstler dieses Überwältigungsgefühl etwa mit einem kleinen roten Männchen, dessen Kopf aus dem Rahmen des Bildes hinausragt. Das eine Bein ist ein Anker – „man bleibt trotzdem in seinem System verankert, ganz raus kann man nicht“, erklärt Maaß. Auch prominente Maler wie Trakia Wendisch, Uta Hünniger und Christine Schlegel verschönerten die Mauer,nicht alles ist mehr erhalten. Maaß und seine Nachbarn schlugen bei der Denkmalbehörde Alarm, als sie von den Bauplänen hörten.
Doch ohne Erfolg. Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) bescheinigt den Bildern einen schlechten „Überlieferungszustand“, sie seien „offenbar nicht zur langjährigen Erhaltung gedacht“ gewesen. Allerdings solle auf Anregung der Denkmalbehörde eventuell eine Infotafel an die Kunstaktion und die Geschichte des Hofes und seiner Anwohner erinnern.
Doch der Verlust der Bilder ist für Ekkehard Maaß nicht das Schlimmste. „Geschichte kann man auch anders bewahren als immer nur als Denkmal“, findet er. „Der schlimmere Verlust ist die grüne Lunge.“ Und dass sich die Interessen eines Einzelnen gegen die Interessen von etwa 200 Anwohnern durchgesetzt hätten – Anwohner, die bereits vor einem Jahr Briefe an Bezirk und Denkmalbehörde schrieben. „Klar, ich verstehe den Bauherrn, der möchte das Grundstück jetzt verwerten“, sagt Maaß. „Ich habe durchaus Verständnis für Kapitalismus. Aber keines, wenn die Stadt so eine grüne Oase zu leichtfertig wegräumt. Das hätte man anders planen können. Hier wurde Frevel getätigt.“