„Die Stimmung wird bedrückender“

von Kristina Auer 7. November 2018

ARCHIV: 30 Jahre lang hatte die Synagoge in der Rykestraße keinen festen Rabbiner. Ab sofort hat sie Boris Ronis. Ein Gespräch über das Gemeindeleben, Zukunftspläne und die rechtsradikale Gefahr in Prenzlauer Berg.

INTERVIEW vom 16.12.2016:

Herr Ronis, Sie sind seit Anfang Dezember 2016 der neue Rabbiner in der Synagoge in der Rykestraße. Bisher wohnen Sie in Wilmersdorf. Ziehen Sie jetzt nach Prenzlauer Berg?

Bei der Marktsituation glaube ich nicht, dass ich in Prenzlauer Berg eine Wohnung finden würde. Ich habe zwei Kinder, da müsste es schon eine größere Wohnung sein. Nein, ich bleibe erstmal in Wilmersdorf wohnen.

 

Warum hatte die Synagoge in der Rykestraße 30 Jahre lang keinen Rabbiner?

Es gab zwar keinen festangestellten Rabbiner, aber es ist jetzt nicht so, dass seit 1986 kein Rabbiner mehr vor Ort gewesen wäre. Es gab immer einen Gastrabbiner, der zu den Feiertagen und einigen Shabbat-Feiern in die Synagoge gekommen ist. Seit meiner Ordination im Jahr 2010 habe ich das übernommen. Am 2. Dezember bin ich jetzt mit Vertragsunterschrift festangestellt worden. Die Jüdische Gemeinde in Berlin hat erkannt, dass in diese besondere Synagoge ein fester Rabbiner gehört. Dafür bin ich der Gemeinde sehr dankbar.

 

Was ist das Besondere an dieser Synagoge?

Zuerst mal ist da ihre Geschichte: Die Synagoge in der Rykestraße ist sehr alt. Sie wurde 1904 gebaut und eine der wenigen größtenteils erhalten geblieben. Prenzlauer Berg war damals ein Zentrum des jüdischen Lebens in Berlin. 1938 hat man die Synagoge angezündet, aber weil sie so nahe an den umliegenden Wohnhäusern stand, wurde sie relativ bald gelöscht und nicht völlig zerstört. Während der DDR-Zeit wurde sie als einzige große Synagoge in Berlin aktiv genutzt. Unser Kantor Oljean Ingster, der schon das Gemeindeleben in der DDR miterlebt hat, ist heute noch bei uns. Außerdem ist die Synagoge in der Rykestraße die größte in ganz Deutschland. Nach der letzten Renovierung im Jahr 2000 haben dort 1.200 Leute Platz.

Aber auch das Gemeindeleben in der Rykestraße ist besonders. Wir haben dort eine interessante Entwicklung: die Gemeinde wächst eigentlich ständig. Es gibt dort – wie man es von Prenzlauer Berg eben immer so klischeemäßig sagt – sehr viele Familien mit Kindern, aber auch ältere Menschen. Außerdem kommen auch viele Studentengruppen und Besucher aus aller Welt zu uns. Viele möchten die Synagoge nicht nur besuchen, sondern auch benutzen. Das heißt , dass beispielsweise Familien aus Israel oder den USA Gottesdienste und Feste mit ihren Kindern feiern wollen. Das alles bieten wir an. Aber alle Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen zu betreuen, ist schon ein sehr weites Spektrum. Das ist dann auch der Grund dafür, dass die Gemeinde beschlossen hat, hier wieder einen festen Rabbiner einzustellen.

 

Was wird jetzt als fester Rabbiner anders für Sie und die Gemeinde?

Für die Gemeinde wird anders, dass sie jetzt sozusagen ein neues, offizielles Gesicht bekommt. Ich bin jetzt sowohl von außen als auch innerhalb der Gemeinde der erste Ansprechpartner. Ich werde natürlich viel öfter vor Ort sein als früher. Als Honorarkraft habe ich bisher zwischen drei Synagogen gependelt. Ab sofort kann ich auch für die Betenden in der Gemeinde mehr zur Verfügung stehen als bisher. Ich freue mich, dass ich jetzt die Zeit dafür habe.

 

Was werden Ihre wichtigsten Aufgaben sein?

Erstens für die Leute da sein, zweitens für die Leute da sein, drittens für die Leute da sein (lacht). Ich glaube, eine Gemeinde lebt vor allem durch die Kommunikation zwischen dem Rabbiner und den Betenden. Die Kommunikation muss stimmen, damit sich etwas weiterentwickeln kann. Und genau daran bin ich sehr interessiert. Die Synagoge soll mit Leben gefüllt sein. Das fortführen zu können, was vor dem Weltkrieg hier schon einmal vorhanden war, was dann über die DDR-Zeit weitergeführt wurde, verstehe ich als eine große Herausforderung und als eine sehr schöne Aufgabe. Ich wünsche mir, dass die Gemeinde stetig wächst und wir immer mehr unterschiedliche Veranstaltungen und Leben in die Synagoge bringen können. Wir machen Studentengottesdienste und Kindergottesdienste. Zur Chanukka haben wir ein Puppentheater für die Kinder gemacht. Außerdem gibt es kulturelle Veranstaltungen, auch dafür eignet sich die Synagoge ja sehr gut. Die Jüdischen Kulturtage wurden dieses Jahr hier eröffnet und es gab viele Konzerte. Aktuell findet das Louis Lewandowsky Festival für Synagogalmusik statt, da gibt es am Sonntag ein großes Abschlusskonzert bei uns.

 

In den letzten Monaten gab es mehrere rassistisch motivierte Angriffe auf Menschen in Prenzlauer Berg. Zuletzt wurde vor wenigen Wochen ein Jugendlicher schwer verletzt. Wie beurteilen Sie die rassistische Gefahr in Prenzlauer Berg?

Also ich kann Ihnen nur eins sagen: Seit ich 1975 mit meiner Familie nach Berlin gekommen bin, sind die Synagogen polizeilich überwacht. Das heißt, das Potential ist immer da, die Überwachung gibt es ja nicht grundlos. Wie groß die Gefahr akut ist, kann ich nicht genau einschätzen. Aber wenn man dann solche Dinge in der Zeitung liest, wie, dass der NSU die Synagoge in der Rykestraße ausgespäht hat, dann ist das doch ein komisches Gefühl. Die hatten ja sicher nichts Gutes dort vor. Ich versuche ehrlich gesagt, so etwas ein bisschen bei Seite zu drängen und einfach meine Arbeit zu machen, ohne darüber nachzudenken, welche Gefahren es hier gibt.

Das Gefühl, dass die Stimmung generell bedrückender wird, ist jedenfalls da. Es hat noch nicht das Maß erreicht, dass Leute Angst haben, in die Synagoge zu kommen oder das Gefühl haben, noch besser aufpassen zu müssen. Aber die Sorge, dass vielleicht Angriffe sowohl aus der rechtsradikalen als auch vielleicht aus der islamistischen Szene kommen könnten, ist gegenwärtig. Ich bin froh, dass die Polizei unser Haus schützt.

 

Wie kann man solchen solchen Strömungen entgegentreten?

We schafft man es, sie gegen radikale Menschen zu verteidigen? Ich habe dafür leider auch kein Patentrezept. Ich bin skeptisch, ob man Radikale umstimmen kann. Am besten kann man dem vielleicht entgegentreten, indem man die Leute stärkt, die Interesse haben am Judentum, den Menschen und unserer Religion. Indem man sie einlädt, vorbeizukommen, sich die Synagoge anzuschauen und zu sehen, wie schön sie und auch das Gemeindeleben ist. Ich freue mich sehr über dieses Gemeindeleben und möchte gerne alle daran teilhaben lassen, wie toll wir uns entwickelt haben und was wir für spannende Veranstaltungen hier machen. Ich denke, wenn wir diese Kräfte stärken können, die in der Gesellschaft für uns da sind, dann werden sie den Menschen entgegenwirken, die uns Böses wollen.

 

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