Selbstironie und Stolz

von Julia Schmitz 29. Oktober 2018

Von wegen trübsinnig: Die Jüdischen Kulturtage haben Konzerte, Lesungen und Comedy im Programm! Prenzlauer Berg ist für die Veranstalter ein „Mikrokosmos der Akzeptanz“.


Prenzlauer Berg war einst auch ein jüdisches Viertel – davon zeugt noch heute die Synagoge in der Rykestraße. Wer den Prachtbau im Hinterhof schon immer mal besuchen wollte:  Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage vom 3. bis 11. November gibt es gleich mehrere Gelegenheiten dazu! Warum ein Gleichgewicht aus Gegenwart und Geschichte wichtig ist, und was das alles mit Prenzlauer Berg zu tun hat, haben die Kulturdezernentin der Jüdischen Gemeinde Sara Nachama und der Intendant Gerhard Kämpfe uns im Interview erzählt.

In ein paar Worten zusammengefasst: Was bedeutet jüdische Kultur eigentlich?

Sara Nachama: Jüdische Kultur ist eigentlich alles! Es sind nicht nur Konzerte und Literatur – wenn Sie das Programm der Jüdischen Kulturtage anschauen, werden Sie die Vielfalt sehen.

Gerhard Kämpfe: Ich mache das Programm der Jüdischen Kulturtage seit 2016 und empfinde es immer wieder als Vergnügen, denn es gibt einen unerschöpflichen Fundus an Literatur und Musik. Die jüdische Kultur ist allumfassend und hat vor allem die Geschichte dieses Landes und insbesondere von Berlin in den letzten Jahrhunderten geprägt, bis dann 1933 der Schnitt kam.

 

Was macht Kultur denn zu spezifisch jüdischer Kultur – reicht es, jüdisch und künstlerisch tätig zu sein oder gehören dazu noch andere „Zutaten“?

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GK: Stichwort Humor: gerade in der Literatur kann man ziemlich deutlich feststellen, was jüdischer Humor ist, z.B. bei Ephraim Kishon oder dem zeitgenössischen Autor Oliver Polak. Da gibt es Spezifika in der Art zu sprechen oder sich über sich selbst lustig zu machen – eine Art der Selbstironie und auch des Stolzes. In der Literatur kann man das typisch Jüdische entdecken. Jüdische Musik wiederum gibt es in dem Sinne eher nicht. Es gibt zwar Musik von jüdischen Komponist*innen und die Musik, die in den Synagogen gesungen wird, aber sowas hat das Christentum ja auch.

 

Das Festival findet bereits zum 31. Mal statt. Was hat sich seit den Anfängen 1987 geändert, sowohl in der Konzeption des Festivals als auch in der Wahrnehmung von außen?

SN: Als wir das erste Mal über die Kulturtage sprachen, taten wir das noch mit Heinz Galinski (dem ersten Präsident des Zentralrats der Juden – Anm. d. Red.). In Ost-Berlin in Prenzlauer Berg gab es damals die „Tage der jiddischen Kultur“ und Galinski war der Meinung, wir sollten so etwas in West-Berlin auch machen. Am Anfang war das Festival sehr klein und dauerte nur ein Wochenende, auch der Etat war gering – letzteres hat sich übrigens seitdem nicht geändert, auch wenn wir mittlerweile Geld vom Senat bekommen. Nach der Wiedervereinigung haben wir die Kulturtage aus West- und Ost-Berlin dann zusammengelegt und sie dauerten eine Woche, manchmal sogar fast zwei. Erst fanden die Veranstaltungen noch hauptsächlich im Westen der Stadt statt, mittlerweile sind wir eigentlich in ganz Berlin vertreten.

Jüdische

Seit 70 Jahren gibt es den Staat Israel, 80 Jahre sind seit den Pogromen am 9. November 1938 vergangen. Inwiefern stehen die Jüdischen Kulturtage 2018 im Zeichen der Erinnerung und wie viel ist der Gegenwart gewidmet?

SN: Wir nehmen den 9. November sowieso immer in die Kulturtage hinein, denn das war schon immer der Gedanke dahinter: Wir sollten die Wunde im Herzen der jüdischen Menschen nicht vergessen. In Bezug auf 70 Jahre Israel haben wir mehrere Künstler aus Israel eingeladen, darunter David Broza und Ester Rada, die wirklich sehr unterschiedlich sind, aber zum gegenwärtigen Israel gehören.

GK: Einer der Gründe, warum wir z.B. den humoristischen Abend im Renaissance-Theater gemacht haben, ist der, dass wir auch Veranstaltungen haben möchten, aus denen die Menschen mit einem Lächeln herausgehen. Das halte ich für ganz wichtig. Die Erinnerung daran, was in diesem Land passiert ist, ist eine wichtige Aufgabe der Jüdischen Kulturtage – aber eben nicht nur. Unser wesentliches Anliegen ist es, dass wir nicht-jüdischen Menschen die Bandbreite und Schönheit der jüdischen Kultur zeigen. Und trotzdem schwingt dort auch ein „Wehret den Anfängen“ mit.

 

Dr. Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin, sagte, die Kultur solle eine Brücke des gegenseitigen Verständnisses sein. Welches Statement setzen die Jüdischen Kulturtage in diesen Zeiten, in denen Fremdenhass und Antisemitismus wieder erstarken?

GK: Die Jüdischen Kulturtage an sich sind das Statement! Sich mit jüdischer Musik und jüdischem Essen zu beschäftigen, Führungen durch das Gemeindehaus zu machen – viele Menschen haben noch immer eine Art Scheu, eine Synagoge zu betreten -, das heißt, sich zu öffnen. „Shalom Berlin“ lautet das diesjährige Motto und es bedeutet nicht nur Frieden, sondern dass man positiv auf den Anderen zugeht und wünscht, dies auch zurückzubekommen. Das ist unser Ansatz.

SN: Diesmal sagen wir „Shalom“ und mein persönlicher Wunsch ist es, vielleicht ein „Salam“ zurückzubekommen. Wir kennen die Probleme in Deutschland, und leider wird auch in Berlin der Antisemitismus wieder größer. Es wäre schön, wenn auch die muslimischen Menschen zu den Jüdischen Kulturtagen kämen und sich mit uns freuen könnten.

 

Kultur und Religion sind eigentlich zwei getrennte Bereiche. Wie ist das im Judentum?

SN: Kultur und Religion gehören im Jüdischen zusammen! Die Juden hatten für lange Zeit keinen Staat, sie hatten aber ihre Religion, die überall gleich war. Die Kultur haben sie von ihrer jeweiligen Umgebung mitgenommen, z.B. die Klezmer-Musik aus dem Osten.

GK: Die Juden waren über die ganze Welt verstreut und überall eine Minorität, was fürchterlich ist – aber kulturell hat es den Vorteil gebracht, dass sich durch die verschiedenen Einflüsse eine gewaltige Bandbreite jüdischer Kultur entwickelt hat.

 

Ein Großteil der Veranstaltungen der Jüdischen Kulturtage findet in Prenzlauer Berg statt. Welche Rolle spielt der Stadtteil nicht nur für das Festival, sondern auch für jüdisches Leben?

GK: Hauptaustragungsort der fünf großen Konzerte ist tatsächlich Prenzlauer Berg, allen voran die Synagoge in der Rykestraße. Prenzlauer Berg ist ein sehr lebendiger Bezirk und durchmischt, was die Religionen angeht. Außerdem leben sehr viele Israelis dort. Wir haben die große Hoffnung, dass sich dieser Mikrokosmos der Akzeptanz auf die ganze Stadt ausbreitet.

 

Sie erwähnten bereits die unglaubliche Vielfalt jüdischer Kultur. Wie haben Sie entschieden, welche Veranstaltungen in das Programm aufgenommen wurden? Gab es Schwerpunkte?

GK: Wir erarbeiten immer erst den Grundtenor anhand wichtiger Jubiläen – in diesem Jahr also 70 Jahre Israel und 80 Jahre seit den Pogromen. Der Schwerpunkt zur Erinnerung an die Pogrome wird vom Zentralrat der Juden in der Synagoge Rykestraße veranstaltet und eine sehr große und politisch hoch besetzte Veranstaltung. Das Thema Israel bedienen wir durch die Künstler, z.B. Avishai Cohen, David Broza und Ester Rada. Und dann gehen wir natürlich auch in der Zeit zurück, z.B. mit Ilja Richter, der ganz hervorragend Georg Kreisler interpretiert, Dagmar Manzel mit Liedern aus den 1920ern und einem Abend zum Komponisten Kurt Weill. Das zeigt auch, wie sehr Berlin von Künstler*innen jüdischer Herkunft geprägt wurde.

 

Verraten Sie uns noch ihr persönliches Highlight aus dem Programm?

GK: Ich denke, dass Ester Rada die Leute sehr überraschen wird, weil sie eine unglaubliche Soul-Sängerin ist. Die Kombination aus jiddischen Liedern und Soul in einer Synagoge – das wird sicherlich sehr berührend.

SN: Für mich ist es David Broza. Ein Mann, der mit seiner Gitarre wundervolle Lieder spielt; Lieder, die auch einen „Inhalt“ haben und nicht nur tanzbar sind.

 

Die Jüdischen Kulturtage finden vom 3. bis 11. November 2018 an verschiedenen Orten Berlins statt, darunter auch in der Synagoge Rykestraße und der WABE in Prenzlauer Berg.
Das detaillierte Programm gibt es hier.

 

(Foto: v.l.n.r.: Gerhard Kämpfe, Sara Nachama, Dr. Gideon Joffe | Copyright: DAVIDS)

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