Anton hat drei Eltern – seit seiner Geburt. Der Einjährige wächst in einem Co-Parenting-Modell auf. Ein Treffen mit einer ganz normalen Familie aus Prenzlauer Berg.
Fast jeden Tag essen sie gemeinsam Abendbrot – Familie eben. An diesem Abend sitzen sie, wie so oft, zu viert beim Vietnamesen in ihrem Kiez. „Hast Du für den Kleinen auch was bestellt?“, fragt Susanne*. „Nein, er kann bei mir mitessen“, meint Philipp. „Könnten wir dann bitte noch einen kleinen Löffel für ihn haben?“, ruft Stefan dem Kellner hinterher. Der kleine Anton sitzt zufrieden in seinem Hochstühlchen und spielt mit einem roten Zug. Abendbrot mit Mama, Papa und Papi – Alltag für den Einjährigen.
Wie diese Familie zueinander fand, ist weniger alltäglich. Kennengelernt haben sich die drei über die Internetseite familyship.org, eine Plattform, über die sich Menschen mit Kinderwunsch zusammentun können, um auf freundschaftlicher Basis eine Familie zu gründen – egal ob Single oder Paar, egal, welcher sexueller Orientierung. Co-Parenting oder Co-Elternschaft heißt das. Wie bei einem Datingportal registriert man sich, gibt Name und Wohnort an und lädt ein Foto hoch. „Für homosexuelle Paare gibt es nicht so viele Möglichkeiten, ein Kind zu haben“, erklärt Philipp, während er Anton mit Reis und Hühnchen füttert. „Leihmutter, das kam für uns aus ethischen Gründen nicht in Frage, es ist in Deutschland ja auch verboten, und ein Pflegekind konnte ich mir erstmal auch noch nicht vorstellen.“
Wenn Papas, dann richtig
Dann kam ihm und seinem Freund Stefan die Idee des Co-Parenting, also eine Familie mit einer Frau zu gründen, die ebenfalls einen Kinderwunsch hegt. Doch wo finden? Es gibt zwar ansatzweise Plattformen, etwa über die „Siegessäule“ oder das „Regenbogen Familienzentrum“, erzählt Philipp, aber es sei gar nicht so einfach, jemanden geeignetes kennenzulernen. „Uns war auch wichtig, eine Mutter in der Nähe zu haben.“ Denn wenn Anton in die Kita kommt, soll er abwechselnd bei seinen Vätern und seiner Mutter leben. Wichtig, rät Philipp: „Man sollte vorher abklären, welche Rolle man einnehmen möchte. Will ich ab und an zum Kaffee vorbeikommen oder soll das Kind mit mir aufwachsen?“ Für ihn und Stefan war klar: Wenn Papas, dann richtig. Dass sie dann Susanne fanden – „das war echt ein Glücksfall.“
Ebenso für Susanne. Dass sie irgendwann ein Kind haben wird, das stand für die jetzt 43-Jährige eigentlich immer fest. Doch der richtige Mann dazu war in all den Jahren nicht dabei. „Und dann kam ich in das Alter, in dem man denkt: Wenn du morgen jemanden triffst, den du halbwegs gut findest, musst du eigentlich sofort loslegen.“ Aber ihr sei auch klar gewesen, dass das keine Beziehung aushält. Eine Samenspende kam für Susanne nicht in Frage. Weder wollte sie allein ein Kind großziehen, noch diesem Kind seine zweite Hälfte vorenthalten. Irgendwann meldete sie sich dann bei familiyship an. „Ich wollte nicht mit Mitte 40 dastehen und mir sagen müssen, eigentlich wollte ich ja Kinder, aber es hat sich irgendwie nicht ergeben – ich wollte das aktiv selbst in die Hand nehmen.“
Zu dritt ins Kinderwunschzentrum
Vor Philipp und Stefan hatte Susanne bereits zwei andere potenzielle Väter getroffen. „Bei einem wusste ich im ersten Moment, das wird nichts“, erzählt sie. Der andere hingegen war nett, ihr aber zu gefühlsbetont, zu weich. „Ich wollte am liebsten alle Erziehungsfragen schon vorher regeln, und er wollte alles auf sich zukommen lassen.“ Und dann kam Philipp. „Wir ticken ähnlich, das merkten wir sofort“, sagt Susanne. Sie trafen sich ein paar Mal, fuhren ein verlängertes Wochenende mit Stefan an die Ostsee. „Wir waren alle drei entschlossen, ein Kind zu wollen und dann dachten wir, dann lasst uns das doch probieren“, erinnert sich Philipp. Er ist ein Jahr jünger als Susanne und Antons biologischer Vater.
Knapp drei Monate später der erste Versuch per Insemination in einem Kinderwunschzentrum. Eine anstrengende Zeit, vor allem für Susanne, emotional und körperlich. Viele in ihrem Freundeskreis bekamen erst mit Anfang 40 Kinder, viele gingen harte Wege. Deshalb war auch sie auf einen längeren Leidensweg eingestellt. Nach vier Versuchen, als sie schon fast nicht mehr damit rechnete, wurde Susanne schwanger.
„Wie machen das andere Frauen mit nur einem Mann?“
Schon während der Schwangerschaft gingen Philipp und Stefan in ihrer Vaterrolle auf. Als Susanne im sechsten Monat ihre Einkäufe nicht mehr allein in die vierte Etage tragen konnte, rief sie „die Jungs“ an – einer war immer zur Stelle, sie wohnen nah beieinander. Im Sommer 2017 kam Anton zur Welt. Während des Wochenbetts zogen Philipp und Stefan zu Susanne. „Das war purer Luxus“, erinnert sie sich. Morgens nahm einer das Baby, der andere kaufte Brötchen. „Wie machen das andere Frauen mit nur einem Mann?“
Zehn Monate war sie in Elternzeit, zuhause mit dem Baby. Dann kam der, wie sie sagt, für sie schwerste Moment: Sie fing wieder an zu arbeiten, Philipp begann seine viermonatige Elternzeit – und Anton zog zu seinen Vätern. „Es ist hart, obwohl er mehrmals die Woche bei mir schläft und ich ihn jeden Tag sehe.“ Manchmal sorgt sie sich, er wisse vielleicht nicht, wo sein Zuhause sei. Andererseits: Emotional verwirrt wirkt dieses fröhliche, ausgeglichene Kind nicht, so empfinden das auch seine Eltern. Vielleicht, denkt Susanne manchmal, stellt er sich vor, sie wohnten alle vier in einem riesigen Haus, und manchmal schläft er in dem einen, manchmal in dem anderen Zimmer.
Familie ohne emotionalen Ballast
Hier die eine, dort die andere Elternpartei, ein pendelndes Kind – was unterscheidet die vier eigentlich von einer Trennungsfamilie? Philipp überlegt nicht lange. „Dass Anton von Anfang an damit groß wird. Und das zwischen uns kein emotionales Gepäck liegt. Wir leben dieses Modell positiv.“ Susanne stimmt ihm zu. „Ich habe oft gesehen, dass getrennte Eltern ihre Kinder – häufig unbewusst – instrumentalisieren, um dem anderen eins auszuwischen. All diese Vorgeschichten, Enttäuschungen haben wir ja nicht.“
Zu ihrem Erstaunen stieß sie auf genau diese Ansichten in einem Umfeld, in dem sie das nicht erwartet hätte: Freunde ihrer Eltern, meist selbst Eltern geworden in eigentlich bereits gescheiterten Beziehungen, meinten zu ihr, so sei es ja eigentlich besser, wenn von Anfang an alles klar sei – ohne emotionalen Ballast. Am meisten überraschten sie aber die Reaktionen von noch älteren Menschen, über achtzig oft, meist Frauen. „Teilweise mussten diese in jungen Jahren um ihrer Versorgung willen irgendjemanden heiraten, deshalb fanden sie das großartig – dieses Selbstbestimmte. Du nimmst Dir vom Mann das, was Du brauchst, nach dem Baukastenprinzip, sagten sie zu mir.“
Weihnachten mit sechs Großeltern
Auch Philipps Eltern reagierten erstaunlich positiv, erzählt er. Auch, wenn seine Mutter das Modell nicht gleich verstand. Wie, Leihmutter? Nein, Mama, eine richtige Mutter. Dann lernte sie Susanne kennen, dann kam Anton, sie wurde Oma, Weihnachten feierten alle zusammen. Anton, seine drei Eltern und seine sechs Großeltern. Ganz normaler Familienwahnsinn. Und klar, manchmal sind sie sich auch uneins. In Erziehungsfragen vor allem. Susanne sucht nach einem Beispiel. „Wir sind uns zwar darüber einig, dass wir ihn gesund ernähren. Aber ich lass ihn auch mal von meinem Eis kosten, Philipp eher nicht.“ Philipp: „Sie lässt ihn ja dann keine ganze Kugel essen.“ – „Nein, wenn Philipp dabei ist, geb ich ihm schon weniger.“ – „Ach, gut, dass wir drüber sprechen!“ Beide lachen. Und vermuten, die richtig harten Erziehungsstreits noch vor sich zu haben.
Während Philipp und Susanne erzählen, sagt Stefan wenig. Er ist acht Jahre jünger als sein Freund, scheint der ruhige Pol in dieser Familie zu sein, auch für Anton. Sieht er sich als Vater? Stefan überlegt kurz. „Wenn Anton später keine Unterschiede macht, mache ich auch keine.“ Anton sei sogar eher auf Stefan fixiert als auf ihn, seinen „biologischen Vater“, sagt Philipp. „Er hat ein gutes Gefühl für ihn, ist ruhig und geduldig.“ Bei Stefan komme Anton zur Ruhe.
„Anton abzugeben – daran gewöhne ich mich langsam“
Es ist kurz vor acht, Anton wird quengelig. Es ist seine Zubettgehzeit. Doch eines will Susanne noch loswerden, sie will Werbung machen für dieses, für ihr Familienmodell. „Es ist tausendmal besser für Frauen, die alleine sind, als anonymisiert über eine Samenbank ein Kind zu kriegen. Oder ein Kind in eine Beziehung zu packen, die nicht mehr funktioniert. Oder einem Typen ein Kind anzuhängen, der keines will.“ Auch wenn sie Anton abgeben muss, wenn es ihr vielleicht gerade nicht passt. „Das ist jetzt noch schwer, aber langsam gewöhne ich mich daran.“
Vor der Tür des Restaurants verabschieden sie sich. Wie jeden Abend. In wenigen Tagen fahren sie alle zusammen in den Urlaub. Susanne streichelt kurz ihren Sohn, der heute mit seinen Vätern nach Hause geht. Morgen sehen sie sich wieder. Wie jeden Tag.
*alle Namen von der Redaktion geändert