Schwangerenratgeber gibt es ohne Ende im Regal. Bücher zum Kinderwunsch nur eines. (Foto: Constanze Nauhaus)

„Paare werden hier schwieriger schwanger als früher“

von Constanze Nauhaus 2. Oktober 2018

Von wegen „glücklich schwanger“: Hinter Prenzlauer Bergs Perfect-Mom-Fassade leiden diejenigen, bei denen es mit der Fortpflanzung nicht nach Klischee läuft. Ein Gespräch über künstliche Befruchtung, verängstigte Schwangere – und den unerfüllten Kinderwunsch.


 

Frau Gehrke*, Sie arbeiten als Hebamme in einer Prenzlauer Berger Frauenarztpraxis, haben also tagtäglich mit Schwangeren zu tun. Als sie Anfang der 90er Jahre hier anfingen, konnte von „pregnant hill“ noch keine Rede sein.

Nein, gar nicht. Ich kam Ende der 80er Jahre nach Berlin – vorher habe ich in der brandenburgischen Provinz im Kreißsaal gearbeitet – und für uns Hebammen war die Wende ein riesiger Einschnitt. Irrer Geburtenknick, viele Abbrüche, wenig Kinder. Dass sich das derart erholt eines Tages, war nicht abzusehen. Wir konnten damals alle Schwangeren beispielsweise
an einem Tag der Woche in die Praxis bestellen. Heute kommen sie jeden Tag, das schaffen wir gar nicht mehr anders.

Es gibt hier im Kiez also mehr Schwangere als vor 20 Jahren?

Insgesamt ja, andererseits ist das Thema Kinderkriegen aber viel weniger selbstverständlich als damals. Früher hat man die Kinder gerade hier im Osten eher so bekommen, wie sie eben kamen, heute muss alles stimmen: Partner, Wohnung, Kontostand. Ich verstehe das teilweise auch: Die Frauen studieren, haben nicht den richtigen Partner, es gibt keine Kitaplätze, dann die Angst vor dem Arbeitgeber – das ist gruselig, was mir viele gerade hochdotierte akademische Frauen von ihren Arbeitgebern erzählen. Wie die fertiggemacht werden, weil sie sich erlauben, schwanger zu werden. Andererseits, das muss ich auch sagen, sind die Frauen weniger belastbar. Die sind in der achten Woche schwanger und können sich nicht mehr vorstellen, arbeiten zu gehen.

Weil sie sich Sorgen um das Ungeborene machen?

Weil sie sich generell Sorgen machen. Es greift eine Verunsicherung um sich, das spüre ich jeden Tag bei der Arbeit. Viele Frauen verlieren das Gefühl zu den natürlichsten Dingen. Dass mir mal der Rücken wehtut, wenn ich schwanger bin, das ist doch normal. Aber es wird nicht als normal hingenommen. Oder das Entsetzen, weil sie zunehmen. Oder es in den Leisten zieht. Oder sie oft auf die Toilette müssen. Warum bin ich so müde, warum ist mir so schlecht? Dabei haben sie sich bei Dr. Internet überinformiert und vertrauen dem, was sie dort lesen, häufig mehr als einer erfahrenen Hebamme.

Erschwert das Ihre Arbeit?

Ja, weil im Internet viel Quatsch steht. Neuerdings zum Beispiel, dass man in der Schwangerschaft nicht auf dem Rücken liegen soll. Es gibt zwar das Vena-Cava-Syndrom – wenn das Kind im Liegen auf die Hohlvene drückt, die Blutzufuhr gedrosselt wird und man ohnmächtig werden kann. Aber Frauen, die das haben, wissen das und legen sich nicht auf den Rücken. Aber jetzt kommen Frauen zu mir und sagen, „Hilfe, ich bin heute Nacht aufgewacht und lag auf dem Rücken. Habe ich jetzt mein Kind geschädigt?“ Was soll ich da sagen? „Nein.“

Tun Ihnen diese Frauen leid? Oder nervt Sie das?

Nerven ist der falsche Ausdruck. Ich bin immer wieder erstaunt, was ich so gefragt werde. Die Arbeit ist anstrengender geworden, ich bin abends geschaffter. Andererseits finde ich es auch toll, wie sich die Geburtshilfe gewandelt hat. Dass Frauen heute selbstbestimmter sind, wissen, was sie wollen und das auch Hebammen und Ärzten gegenüber äußern. Das stellt an meine Arbeit auch andere Ansprüche als früher. Nerven… naja, manchmal bin ich innerlich vielleicht auch genervt. Alles soll zum richtigen Zeitpunkt kommen und abgesichert sein. Es gibt kaum noch ein Vetrauen in die natürlichen Umstände. Früher hieß es „man ist in guter Hoffnung“…

Das klingt eher nach einem Hang zur Perfektion.

Das spielt auch mit rein. Bei vielen Paaren begegnet mir diese Einstellung, bloß keine Abstriche machen zu müssen. Alles soll auch mit Kind bitte so weiterlaufen wie bisher. Wir möchten weiterhin abends um 21 Uhr beim Italiener sitzen. Klar gibt es Kinder, die das mitmachen, aber die meisten eben nicht. Die Paare sind unflexibler, was vielleicht auch am Alter liegt. Im Wartezimmer sitzen kaum noch 27-Jährige, kaum noch 24-Jährige, die unbeschwert und mit frischer Kraft an das Thema herangehen. Geschweige denn 19-Jährige, die gelten schon als Ausnahme. Der Normalfall sind Frauen weit über 30, unsere schwangeren Patientinnen sind durchschnittlich 35 Jahre alt, und sie werden komplizierter, ängstlicher. Und bei manchen tritt der Kinderwunsch so spät ein, dass es auf natürlichem Wege nicht mehr klappt.

Dann heißt die Diagnose: Kinderwunsch. Bleibt der heute häufiger unerfüllt als in den 90ern?

Ja, ich beobachte, dass Paare hier generell schwieriger schwanger werden als früher. Viele setzen sich sehr unter Erfolgsdruck – gerade in einem Bezirk wie Prenzlauer Berg. Hier leben überdurchschnittlich viele beruflich äußerst erfolgreiche Frauen und Männer, die gewohnt sind und auch erwarten, dass in ihrem Leben alles perfekt läuft. Aber dass mit dem Alter die Fruchtbarkeit abnimmt, es ab 30 bergab geht, machen sich viele gar nicht bewusst. Die sind dann erschrocken, wenn es nicht klappt. Aber nicht nur die Frauen brauchen länger: Viele erzählen mir, dass ihr Partner noch nicht so weit sei – 36, aber noch nicht bereit für ein Kind. Manche solcher Frauen entscheiden sich, wenn es zu einer
ungeplanten Schwangerschaft kommt, in dem Alter tatsächlich auch für einen Schwangerschaftsabbruch. Weil sie sich nicht zutrauen, es alleine zu schaffen. Da muss ich mich dann in all meiner Professionalität zusammenreißen, um nicht zu sagen: Worauf warten Sie eigentlich noch? Und wenn sie und ihr Partner ein paar Jahre später beim zweiten Anlauf dann so weit sind, klappt es manchmal nicht mehr.

Das Kinderwunschzentrum in der Friedrichstraße: Anlaufstelle für viele unglückliche Paare (Foto: Constanze Nauhaus)

Das Kinderwunschzentrum in der Friedrichstraße: Anlaufstelle für viele unglückliche Paare (Foto: Constanze Nauhaus)

 

Dann wird nachgeholfen. Jede siebte Partnerschaft in Deutschland bleibt Studien zufolge kinderlos.

Was nicht nur an den Frauen liegt: Auch die Spermienqualität ist in den vergangenen Jahren durch Umwelteinflüsse wie Mikroplastik und Weichmacher schlechter geworden, aber auch durch das permanente Gestresst-Sein. Viele ältere Frauen hatten damals ja gar keine Chance, schwanger zu werden, weil die Reproduktionsmedizin noch nicht so weit war. Da habe ich auch viel dazugelernt in den letzten Jahren. Social Freezing etwa – die eigenen Eizellen einfrieren zu lassen, weil man erst später Kinder bekommen möchte –  war bis vor kurzem noch kein Thema, ebensowenig wie die Eizellspende…

… sich also die Eizelle einer Spenderin einpflanzen zu lassen. Was in Deutschland ja verboten ist.

Unsere Patientinnen fahren teilweise ins Ausland, lassen alles dort machen und kommen dann sozusagen „befruchtet“ zu uns zurück. Das klappt oft – die Frau ist alt, aber die Eizelle jung. Aber der erste Weg ist, dass wir Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, an deutsche Kinderwunschzentren überweisen. Die checken dann alles durch und schicken uns die Berichte. Bei älteren Paaren sind dann Eizelle und Spermien häufig zu träge, dann heißt es: Wir müssen aus der Samenflüssigkeit buchstäblich das Beste herausholen und künstlich befruchten – In-vitro. Das muss man wirklich sagen: Die Betreuung in diesen Zentren ist super, meistens zumindest. Aber auch kostspielig. Das kann sich ein Normalsterblicher eigentlich nicht leisten, es ist schon ein Luxusproblem. Wenn es dann geklappt hat, bekommen wir Post – und die Patientin schwanger zurück.

Ist so eine Schwangerschaft nach „Kinderwunschbehandlung“ risikoreicher als eine natürliche?

Schon, und ich staune immer, wie gut das meistens läuft – dafür, dass sie 38 sind und vielleicht schon drei Fehlstarts hinter sich haben. Aber das eine Kind bleibt dann. Oder zwei…

Die Zwillingskinderwagen nehmen ja im Kiezbild gefühlt zu.

Nicht nur gefühlt. Das sind oft die In-vitro-Kinder, den Frauen werden ja zwei Eizellen eingesetzt, damit auf jeden Fall eine durchkommt. Aber oft kommen eben beide durch. Wir haben zunehmend Mehrlingsschwangerschaften in der Praxis. Übrigens: Viele Frauen, deren Weg zum ersten Kind so hart war, bekommen manchmal dann ohne Hilfe tatsächlich ein zweites Kind. Wenn der Körper einmal angeschubst ist und vor allem psychisch der Druck raus ist, dann kommt das zweite auf natürlichem Wege oft ganz spontan – auch mit fortgeschrittenem Alter.

Um ungewollte Kinderlosigkeit hat sich ja eine blühende Industrie entwickelt. Wie stehen Sie zu Angeboten wie Kinderwunsch-Yoga?

Ich rate den Frauen, alles zu versuchen. Wenn eine angespannte, gestresste Frau sich beim Kinderwunsch-Yoga entspannen kann und überzeugt ist, dass ihr das hilft – dann hilft es eben oft wirklich. In diesem Fall gilt: Wer heilt, hat recht.

*Name von der Redaktion geändert

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