Drei aktuelle Fälle im Gleimkiez zeigen: Die nächste Stufe der Gentrifizierung ist erreicht.
Das Gleimviertel – Kindercafés, Eisdielen, Kitas, Jugendfarm und sanierte Altbauten; kurz: Paradebeispiel eines gentrifizierten Kiezes. Wer sich das nicht leisten kann, ist schon längst weg, und wer noch da ist, kann es sich leisten – das mit der Verdrängung ist hier durch, könnte man meinen. Stimmt aber nicht: Nun trifft es die letzten, die sich bisher irgendwie retten konnten, oder einst sogar selbst als Gentrifizierer galten. Es rumort im Gleimviertel, das zeigen drei aktuelle Fälle:
Gleimstraße 56
Das Haus mit der Nummer 56 gehört zu den wenigen noch unsanierten Gebäuden im Gleimkiez. Hier wohnen viele Altmieter, die ihre Wohnungen teils noch selbst renoviert haben, im Erdgeschoss gibt es eine spanisch-deutsche Kita. Seit Juli ist bekannt: Das Haus soll zur Rekordsumme von rund acht Millionen Euro an einen internationalen Investor verkauft werden.
Die Mieter haben einen Verein gegründet und ziehen derzeit jeden Sonntag durch Prenzlauer Berg, um gegen Verdrängung zu demonstrieren. Ihre Forderung: Der Bezirk soll das Haus mithilfe des kommunalen Vorkaufsrechts kaufen. Derzeit liegt der Fall beim Stadtentwicklungsamt. Doch Pankow ist nicht gerade berühmt für seine Vehemenz in Sachen Vorkaufsrecht, wie frühere Fälle zeigen. Am 10. September läuft die Prüfungsfrist ab. Andreas Hartung und die anderen Mieter bleiben optimistisch: „Wir gehen davon aus, dass der Bezirk das Vorkaufsrecht ausüben will.“ Der Slogan des Vereins lautet: Kann den Mieten Sünde sein?
Getränke Hoffmann
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Über 26 Jahre lang gab es bei Getränke Hoffmann in der Gleimstraße 54 Saft, Brause und Bier für die Nachbarschaft. In den letzten dreieinhalb Jahren führte Kerstin de Sombre mit ihren Söhnen das Geschäft. Leicht hatte sie es nie, wie wir schon mal berichtet haben: Wegen der Schließung des Gleimtunnels nach Gewitterfluten blieben schon mal die Kunden weg. Seit Mitte Juli ist nun endgültig Schluss: Der Mietvertrag wurde nicht verlängert.
Zu den Gründen sagt de Sombre: „Man hört, die feinen Leute möchten lieber ein Restaurant“. Aktuell steht das Geschäft leer, im Fenster prangt ein großes „Zu Vermieten“-Schild. Die Betreiber-Familie ist derweil in den Vertrieb eines Bierherstellers gewechselt. Nur für die Leute im Kiez tue es ihr Leid, sagt de Sombre. Die wüssten nun nicht mehr, wo sie einkaufen sollen – ringsrum gebe es zwar viele Restaurants, aber außer Aldi und einigen Spätis eben keinen Supermarkt oder Getränkehandel.
Kopenhagener Straße 78
Im Gegensatz zur Gleimstraße 56 spielt sich einige Meter weiter nördlich alles ganz still und heimlich ab: Die Kopenhagener Straße 78 wurde gerade für 4,2 Millionen Euro an einen Düsseldorfer Unternehmer verkauft – wohl ohne, dass die meisten Mieter etwas davon mitbekommen haben. In dem Haus befinden sich 24 Wohnungen und zwei Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss.
Der Clou: Obwohl das Haus ebenfalls im Milieuschutzgebiet Falkplatz liegt, hat der Bezirk weder eine Abwendungsvereinbarung mit dem Käufer geschlossen, noch das Vorkaufsrecht in Anspruch genommen! Warum? „Der Käufer hat die von uns vorgelegte Version einer Abwendungsvereinbarung zu großen Teilen abgelehnt“, erklärt Stadtentwicklungsstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne). Der Bezirk habe danach das Vorkaufsrecht geprüft und sich bemüht, eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft zum Kauf zu bewegen – ohne Erfolg. Der Grund: „Fehlende Wirtschaftlichkeit des Ankaufs seitens der Wohnungsbaugesellschaft“, so Kuhn. Die Konsequenz: Der Käufer konnte das Haus einfach kaufen, ohne sich durch die Vereinbarung auf ein mieterfreundliches Vorgehen festlegen zu müssen. Die Mieterschaft kann nun nur noch auf den guten Willen des neuen Eigentümers hoffen: er besitzt schon mehrere Häuser in Prenzlauer Berg, die als Mietshäuser im Bestand gehalten werden. Größere Skandale sind von dort bisher nicht bekannt.