Erst stolz verkünden, dann möglichst heimlich wieder aufheben: der Bezirk macht einen Rückzieher beim Vorkaufsrecht für die Belforter Straße 16.
Es gibt Bezirke, in denen wurde das Vorkaufsrecht bei Hausverkäufen in Milieuschutzgebieten seit Anfang 2017 schon 13 Mal angewendet. In solchen Bezirken gibt es sogar bereits ein Gerichtsurteil in Sachen Vorkaufsrecht, genauer gesagt im Streit zwischen Bezirk und privatem Käufer. Und siehe da, das Verwaltungsgericht gab dem Bezirk Recht: Das Vorkaufsrecht schütze die Zusammensetzung der Bevölkerung und diene dem Allgemeinwohl. Solche Bezirke heißen Friedrichshain-Kreuzberg.
Und dann gibt es Pankow. In Pankow wäre man gern so cool wie Friedrichshain-Kreuzberg, ist es aber nicht. Während der rebellische kleine Bruder im Osten also mutig in den Kampf um den Mieterschutz zieht, macht sich Pankow im Angesicht des Vorkaufsrechts vor Angst ein bisschen in die Hose. Nur zugeben möchte man das auf keinen Fall.
Erst stolz verkünden…
Anfang des Jahres tönte Pankow mit stolzgeschwellter Brust: „Pankow macht erstmals Gebrauch vom kommunalen Vorkaufsrecht“. In der Belforter Straße 16 im Milieuschutzgebiet Kollwitzplatz sollte die Premiere im Pankower Vorkaufsrecht perfekt sein: Ein Investor wollte das Haus mit 20 Wohnungen kaufen, der Bezirk unterbreitete eine Abwendungsvereinbarung, um die Mieter vor teuren Sanierungen zu schützen. „Da dieser eine solche Vereinbarung ablehnte und auch keine Abwendungserklärung einreichte, konnte durch Ausübung des Vorkaufsrechtes zu Gunsten der Gewobag die Veräußerung an den Investor verhindert werden„, wird Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) dort zitiert.
Die Gewobag schütze Mieterinnen und Mieter durch Härtefallregelungen vor finanzieller Überforderung, daher sei nun auch die Anwohnerschaft in der Belforter Straße 16 vor Verdrängung geschützt. Die Entwicklungen auf dem Pankower Wohnungsmarkt seien ein großes Problem. Schließlich ein Satz, der wie Eigenlob und Absichtserklärung zugleich klingt: „Der Bezirk Pankow tritt dem mit dem Sozialen Erhaltungsrecht (Milieuschutz) konsequent entgegen.“
…dann ganz leise aufheben
Ganz so konsequent klingt dieses Entgegentreten jetzt nicht mehr – dafür umso leiser. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde im Juni im Stadtentwicklungsausschuss über die Belforter Straße 16 beraten. Das Ergebnis: Eine ohne Aussprache zur Kenntnis genommene Vorlage in der Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vom 4. Juli hebt den Beschluss auf – doch kein Vorkaufsrecht für die Belforter Straße 16.
Der Grund: Der Käufer legte Widerspruch gegen das Vorkaufsrecht ein. Das habe zu einer erneuten Prüfung des Falls und der rechtlichen Risiken sowie zu neuen Gesprächen mit dem Käufer geführt, heißt es in dem Dokument. Außerdem seien Verfahrensmängel festgestellt worden, zu denen Stadtrat Kuhn keine genaueren Angaben machen wollte. Nur soviel: „Alles zusammen hat dazu geführt, dass der Bezirk die Risiken zu verlieren als nicht tragbar eingeschätzt hat, zusätzlich hätte ein jahrelanger Stillstand infolge eines Rechtsstreits bei dem Haus befürchtet werden müssen.“
Alles ist gut. Aber geheim
Diese Prognose klang dann doch etwas zu furchteinflößend, wir sind hier schließlich nicht in Friedrichshain. Außerdem, sagt Kuhn, sei das Urteil aus dem Nachbarbezirk da noch nicht bekannt gewesen. Also wählte man bereits im April doch lieber die Soft-Variante des Vorkaufsrechts: die Abwendungsvereinbarung. Die hat der Käufer nun doch unterzeichnet und ist dem Bezirk sowieso viel lieber als dieses gruselige Vorkaufsrecht: „Mit der Vereinbarung werden die Interessen der Mieter geschützt und rechtliche und finanzielle Risiken für das Bezirksamt abgewendet“, heißt es besänftigend. Was drin steht? Für zehn Jahre wird der Käufer keine Fahrstühle und Balkone anbauen. Der Rest: „Ich bitte um Verständnis, dass weitere Details wegen der Vertraulichkeit hier nicht veröffentlicht werden können,“ sagt Stadtrat Kuhn. Was damit gemeint sein könnte, und was das für den Mieterschutz in Pankow bedeutet, soll an dieser Stelle nicht gemutmaßt werden – zu beängstigend, wir sind hier schließlich in Pankow.
Wir halten fest: Geheime Beratungen über geheime Verfahrensfehler führen zur Aufhebung eines öffentlich in Anspruch genommenen Vorkaufsrechts. Stattdessen soll eine geheime Vereinbarung die Mieterinnen und Mieter schützen. Euch, liebe Leserinnen und Leser, sei geraten: Bei der nächsten Mieterhöhung einfach die Bettdecke gaaaaanz weit über den Kopf ziehen. Wer sich was traut, kann schließlich nach Friedrichshain ziehen.
1 Kommentar
Sehr geehrte Frau Auer,
vor 15 Jahren – in einer Immobilien-Niedrigpreisphase – hat Berlin große kommunale Bestände veräußert. Das entsprach dem damaligen Zeitgeist und war in Nachhinein vielleicht nicht richtig. (Obwohl, selbst das ist nicht bewiesen. Dresden z.B. hat alle ihre kommunalen Bestände veräußert und steht in Bezug auf die wirtschaftlichen Handlungsspielräume heute deutlich besser da als Berlin. Ob es den Mietern der veräußerten Dresdner Bestände schlechter geht, als denen in den – leider oft schlecht verwalteten – Berlin Kommunalbeständen, wurde meines Wissens nach nicht wissenschaftlich untersucht.)
Dass die anhaltend klammen Berliner Bezirke heute in der aktuellen Immobilien-Hochpreisphase wahl- und kriterienlos ihr kommunales Vorkaufsrecht wahrnehmen sollen (und in dem von Ihnen lobend erwähnten Kreuzberg sogar wahrnehmen), um mit Steuergeldern ganz wenige, ausgewählte Mieter vor möglichen Mieterhöhungen zu schützen, ist absurd. Immobilien kosten heute das ca. 10 bis 20fach wie vor 15 Jahren. Durch die Wahrnehmung des kommunalen Vorkaufsrechts entsteht kein Quadratmeter neuer Wohnraum, kein nachfragegerechtes Baugebiet wird ausgewiesen, kein neuer Mitarbeiter im Stadtplanungsamt eingestellt, keine Schule gebaut, kein alternatives Radwegekonzept umgesetzt und kein Beitrag zur Stabilisierung der Mieten geleistet. Das ist sehr teuer erkaufter Berliner Miet-Populismus. Nein Danke!