Kanaan Berlin Antisemitismus

Hummus und Weltfrieden

von Kristina Auer 29. Juni 2018

Wenn ein Israeli und ein Palästinenser zusammen ein Hummus-Restaurant eröffnen, entsteht ein Allround-Projekt für Toleranz. Besuch im Kanaan in der Kopenhagener Straße.


Die ersten zwanzig Minuten meines Treffens mit Oz Ben David sitze ich da und warte. Ich habe es mir in einer Ecke des Kanaan gemütlich gemacht und versuche möglichst wenig im Weg zu sein, während unzählige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tellern beladen eilig an mir vorbei rauschen. Der Grund für die Aufregung an diesem Donnerstag: Ein Gewitter hat pünktlich zur Mittagessenszeit den Strom lahm gelegt, gekocht werden muss deshalb heute im Essenswagen im Biergarten. Nach dem kurzen Chaos ist Inhaber Oz noch immer damit beschäftigt, zwischen den Tischen umher zu gehen und sich bei allen persönlich für die lange Wartezeit zu entschuldigen. Dabei verteilt er im Sekundentakt Gratis-Desserts und -Vorspeisen an die Gäste und fragt, ob auch alles wirklich schmeckt. Im Kanaan sind die Kunden wichtiger als Lokaljournalistinnen, denke ich mir – das muss schon mal ein gutes Zeichen sein.

 

Oz und Jalil statuieren ein Exempel

Die Entstehungsgeschichte des Kanaan in der Kopenhagener Straße eignet sich für ein Kino-Drehbuch: Oz, damals 34, Israeli, und Jalil, damals 33, Palästinenser, lernen sich 2015 in Berlin kennen: Oz arbeitet in einer Marketingagentur, Jalil kommt dort als Kunde vorbei: Der Sohn einer Gastronomenfamilie mit 400-jähriger Geschichte möchte eine Firma gründen und palästinensische Lebensmittel nach Deutschland importieren. Die gesellschaftliche Lage, in der Rassismus und feindliche Stimmen gegen Geflüchtete immer stärker werden, bringt die beiden auf eine andere Idee: Oz und Jalil entscheiden, durch Zusammenarbeit ein Exempel für Völkerverständigung zu statuieren: und eröffnen ein Hummus-Restaurant.

Wir haben nicht Berlin als Standort ausgewählt, sondern Prenzlauer Berg – wegen der Kinder! Hier liegt die Zukunft unserer Gesellschaft und wir wollen dazu beitragen, dass die nächste Generation ohne Hass und Vorurteile lebt. Prenzlauer Berg ist Kanaans Zuhause.

Wäre diese kurze Warte-Episode am Anfang nicht gewesen, fast hätte ich den Eindruck, Oz und sein Team wickeln mich hier mit einer ausgeklügelten Marketing-Strategie ein wie einst die Schlange Kaa den kleinen Mowgli im berühmten Dschungelbuch. Denn was kommt, als unser Treffen so richtig losgeht, ist quasi ein Lehrstück des friedlichen Miteinanders.

Zuerst geht es in den hinteren Raum des Kanaan, den es schon vor dem Umbau im letzten Winter gab, vor die Theke. An der südlichen Wand prangt eine Fototapete. Darauf zu sehen: Die unsanierten Fassaden der Sonnenburger Straße in Schwarzweiß, wie sie vor vielen Jahrzehnten einmal ausgesehen haben. „An guten Tagen“, soll heißen wenn es nicht gerade aus Kübeln schüttet wie jetzt gerade, „kann man von hier aus das Foto mit den alten Häusern sehen und durch die Fenster die Straße, wie sie heute aussieht“, erklärt Oz.

Das Kanaan will kein Eindringling sein in dieser geschichtsträchtigen Nachbarschaft. Es gehe darum, die Erinnerung zu erhalten und gleichzeitig Neues zu erschaffen. Das alte „Hütte“-Schild, das über dem ehemals schrottig wirkenden und jetzt frisch ausgebauten Holzbau hängt, haben Oz und Jalil restaurieren lassen – es bleibt, auch wenn das Restaurant jetzt anders heißt.

 

Ohne Hummus ist alles sinnlos

Als nächstes wird Essen bestellt, denn „sich hier zu unterhalten, ohne zu essen, das ist doch völlig sinnlos“, entscheidet Oz. Also kommt ein riesiger Teller mit allerlei Köstlichkeiten von Blumenkohl bis Zucchini und Kartoffeln, in der Mitte natürlich der berühmte cremig-lauwarme Hummus. Ich probiere mich also durchs Sortiment, während Oz mir die Botschaft erklärt, die das Kanaan in die Welt schickt:

Wenn alle zusammenarbeiten anstatt sich zu bekämpfen, können wir die Welt verbessern. Jalil und ich sind nicht immer einer Meinung und streiten uns auch mal über Politik. Aber wenn wir zusammen kochen, dann erschaffen wir etwas Wunderbares.

Je länger ich hier so sitze, Hummus löffele und mich mit Oz unterhalte, desto klarer wird mir: Kanaan ist kein Restaurant. Es ist eine Art allumfassendes Projekt zur Bewusstseinsförderung jedweder Couleur. Das betrifft nicht nur die erwähnte Sensibilität im Umgang mit der Kiezgeschichte, sondern eine ganze Reihe sozialer Projekte.

Kanaan Hummus

„Ohne Hummus ist alles sinnlos.“

Oz, ein großer Mann mit schwarzgemustertem Kurzarm-Hemd und lebhaft herumwirbelnden braunen Haaren, sieht zwar etwas müde aus und gähnt viel. Wenn er vom Kanaan erzählt, hören seine Augen trotzdem mit dem Leuchten gar nicht mehr auf. Schließlich gibt es massenhaft aktuelle und zukünftige Projekte, die angegangen werden wollen. Erst vor wenigen Tagen hat das Kanaan ein Charity Dinner für das Projekt „Junge Muslime in Auschwitz“ veranstaltet, das sich gegen Judenhass unter Jugendlichen stark macht und eine Videoreihe drehen will.

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Liebe Deine Nachbarn

Das Kanaan will Toleranz und gegenseitiges Verständnis auch ganz direkt in der Nachbarschaft säen und veranstaltet Lesenachmittage für Kinder, bei denen Geschichten auf hebräisch, arabisch und deutsch vorgelesen werden. Einmal habe man eine Drag Queen zum Vorlesen eingeladen, um auch gleich gegen Transphobie zu sensibilisieren. Das Frühstück an den Wochenenden hat das Kanaan nur eingeführt, weil die Nachbarschaft explizit darum gebeten hat. Nachbarschaftlichkeit, damit meinen Oz und Jalil aber auch die gegenseitige Unterstützung mit den anderen Restaurants im Gleimviertel. Das funktioniert im Kanaan zum Beispiel so:

 

Wenn wir den Umsatz erreicht haben, den wir uns an einem Tag vorgenommen haben, dann hören wir auf und sagen den Leuten: Geht um die Ecke zu Omoni Sushi essen, oder zu Orlando in der Rhinower Straße, der macht eine super Pasta.

 

Keine Bedrohung von rechts

Toleranz, israelisch-palästinensische Verständigung und Kampf gegen Antisemitismus – das kann nicht allen in den Kram passen. Vom bisher erlebten Gegenwind zeigt sich Oz aber maximal unbeeindruckt: „Ich glaube, am Anfang hatte die Polizei selber irgendwie Angst um uns, deshalb hatten wir zum Schutz auch mal Beamte vor dem Restaurant.“ Einen Angriff wie andernorts habe es zum Glück aber nie gegeben.

Anfeindungen habe das Kanaan schon erfahren, allerdings von Palästinensern, erzählt Oz. Da gebe es manche, die nicht wollen, dass sich die Idee eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Israelis und Palästinensern normalisiere. Von der rechten Szene werde das Kanaan stattdessen seit eh und je verschont. Oz beschreibt das Verhältnis zur Neonazi-Szene satirisch:

Einmal waren wir total beleidigt: Hier arbeiten Juden, Israelis und wir engagieren uns gegen Antisemitismus. 2016 haben Neonazis einen Stadtplan mit jüdischen Restaurants und Läden ins Netz gestellt (anlässlich der Reichspogromnacht, Anm.) – und wir waren nicht mal mit drauf!

Wahrscheinlich schmeckt der Hummus auch den Nazis, mutmaßen wir. Und weil sich die Köstlichkeiten schon längst weit über Berlin hinaus herumgesprochen haben, expandiert das Kanaan seine Botschaft von Hummus und Weltfrieden inzwischen in die ganze Stadt hinein: ein zweites Restaurant in Kreuzberg gibt es bereits, ein drittes im Hauptbahnhof soll bald eröffnen. Gerade planen Oz und Jalil die vierte Filiale, sie soll im Botanischen Garten in Dahlem entstehen. „Ein Gartenlokal, das wird ganz besonders schön“, freut sich Oz und ich kann förmlich erkennen, wie das paradiesische Garten-Kanaan vor seinem inneren Auge heraufsteigt.

Der Trubel des Mittagessens ist nun vorbei, auch ich bin wohlgesättigt und hinterlasse noch eine kleine Spende für das Antisemitismus-Projekt. Dann gehe ich mit der Gewissheit nach Hause, dass eines Tages in den Geschichtsbüchern stehen wird: Die Rettung der Welt begann in Prenzlauer Berg.

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