Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Prenzlauer Berg ist in den Statistiken 2017 gestiegen. Wir haben bei der Polizei, dem Pankower Register und dem neuen Recherche- und Informationszentrum Antisemitismus nachgefragt.
Dass es Antisemitismus auch in Prenzlauer Berg gibt und schon immer gab, ist nicht erst seit dem jüngsten Angriff auf einen Kippa-Träger im Helmholtzkiez bekannt. Die aktuellen Fallzahlen verzeichnen allerdings einen Anstieg antisemitischer Vorfälle im Stadtteil. Dass dies für einen tatsächlichen Anstieg stehen kann, aber nicht zwingend muss, zeigt die genauere Betrachtung und die Einordnung von Experten.
Die Fraktion der Linken im Bundestag erfragt vierteljährlich alle polizeilich erfassten antisemitischen Straftaten in Deutschland. Angelehnt daran haben wir Zahlen für Prenzlauer Berg recherchiert und versuchen, ein Bild der aktuellen Situation im Stadtteil nachzuzeichnen:
Polizei
Die Polizei erfasst antisemitische Straftaten über den „Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK). Im Gegensatz zur Kriminalstatistik ist der Meldedienst ein Eingangsregister, das heißt die Polizei zählt die eingehenden Meldungen, nicht die Einleitung von Ermittlungsverfahren. Bis zum Abschluss der Ermittlungen bewertet die Polizei das Motiv „politisch motivierte Kriminalität“ als „angenommene Tätermotivation“.
Die gelisteten Straftaten sind in Gewalt-, Propaganda- und sonstige Delikte unterteilt. Gewaltdelikte sind körperliche Angriffe auf Personen, aber auch Brandstiftungen, Landfriedensbrüche oder gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Propagandadelikte meinen das Verbreiten und Verwenden von Zeichen verfassungswidriger Organisationen. Die sonstigen Delikte beinhalten alle weiteren Straftaten, beispielsweise Beleidigungen. Hier die Fallzahlen für Prenzlauer Berg in den Jahren 2015 bis 2017:
Eine starke Veränderung ist nur bei den sonstigen Delikten im Jahr 2017 zu erkennen. Zwischen 2016 und 2017 ist die Zahl der eingegangenen Fälle aus Prenzlauer Berg von 5 auf 16 gestiegen. 2016 wurde im Gegensatz zu 2017 zwei antisemitische Gewaltdelikte registriert. Dei Gesamtzahl der eingegangen Fälle in Prenzlauer Berg hat sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt.
Alle Delikte rechnet die Polizei der politisch motivierten Kriminalität von rechts zu. Die von der Linksfraktion angefragte, bundesweite Liste unterscheidet neben der politisch motivierten Kriminalität von links und rechts auch noch nach ausländischen und nach religiösen Ideologien als Motive für antisemitische Straftaten. Jedoch: „In den anderen Phänomenbereichen war im Stadtteil Prenzlauer Berg kein Fallaufkommen an Fällen mit antisemitischer Motivation zu verzeichnen“, teilt Polizeisprecher Thomas Neuendorf mit. Die Aufklärungsrate bei antisemitischen Straftaten ist gering: In den Jahren 2015 und 2016 seien jeweils zwei Tatverdächtige bekannt geworden, im Jahr 2017 drei. Alle hatten die deutsche Staatsbürgerschaft.
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Pankower Register
Das Pankower Register listet seit 2005 Vorfälle von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Im Gegensatz zum polizeilichen Meldedienst nimmt das Register alle Vorfälle auf, die an verschiedenen Stellen im Bezirk von Bürgerinnen und Bürgern gemeldet werden. Außerdem werden auch niedrigschwelligere Vorfälle wie beispielsweise Alltagsrassismus oder antisemitische Aufkleber gelistet, die nicht bei der Polizei angezeigt werden. Ziel des Registers ist nicht die Erstellung einer belastbaren Statistik, sondern das Sichtbarmachen von Diskriminierung auf lokaler Ebene. „Wir können kritische Orte erkennen, bevor sie sich verfestigen“, sagt Andreas Ziehl von der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus moskito, die das Register koordiniert. Besonders oft passieren diskriminierende Angriffe demnach an Verkehrsknotenpunkten wie dem S-Bahnhof Greifswalder Straße oder rund um den U-Bahnhof Eberswalder Straße. Hier die Fälle aus ganz Pankow, die das Pankower Register seit 2012 aufgenommen hat:
Bei antisemitischen Taten ist ein kontinuierlicher leichter Anstieg zu erkennen. Das müsse jedoch nicht unbedingt bedeuten, dass auch die tatsächliche Zahl der Vorfälle gestiegen sei, so Ziehl. Die Dunkelziffer bei rassistischen und antisemitischen Vorfällen wird insgesamt als sehr hoch eingestuft. Der Anstieg der gemeldeten Fälle könne auch damit zusammenhängen, dass die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) ihre Arbeit aufgenommen habe. „Berichte jüdischer Familien, die schon seit 30 Jahren oder länger hier leben, zeigen uns immer wieder, dass es in Deutschland nie möglich war und nach wie vor nicht möglich ist, das eigene Jüdischsein offen zu zeigen“, sagt Ziehl.
Recherche- und Informationszentrum Antisemitismus (RIAS)
Ähnlich wie das Pankower Register erfasst auch das RIAS als berlinweites Meldenetzwerk antisemitische Vorfälle. Seit 2015 ist das RIAS innerhalb des Vereins für Demokratische Kultur in Berlin (VDK) aktiv, Sitz des Büros ist in der Prenzlauer Berger Gleimstraße. Für Prenzlauer Berg hat RIAS diese Zahlen antisemitischer Vorfälle ermittelt:
Ob der in dieser Tabelle zu erkennende Anstieg auf einen tatsächliche Häufung der Fälle hinweist, sei bisher noch schwierig zu sagen, erklärt Alexander Rasumny von RIAS: „Es kann auch mit dem Bekannterwerden der Meldestelle zu tun haben.“Einerseits sei die Datenmenge für Prenzlauer Berg sehr klein. Andererseits könne erst nach fünf Jahren davon ausgegangen werden, dass Entwicklungen aussagekräftig zu erkennen sind, weil erst dann angenommen werden kann, dass mehr als die Hälfte aller Taten gemeldet werden. Aktuell sei die Dunkelziffer noch sehr schwer zu schätzen. „Es kann aber ebenso wenig ausgeschlossen werden, dass die Zahl der antisemitischen Taten wirklich zugenommen hat“, betont Rasumny.
Im Bezirksvergleich kommt Pankow mit 21 gemeldeten Fällen 2017 relativ gut weg und landet auf dem fünften Platz. Die meisten, nämlich 151 Fälle, wurden 2017 in Mitte gemeldet. Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln belegen die Plätze zwei, drei und vier.
Dass von insgesamt 21 Fällen im Bezirk ganze 16 in Prenzlauer Berg stattgefunden haben, ist laut Rasumny wenig überraschend: „Erstens hat Prenzlauer Berg die größte Bevölkerungsdichte, zweitens findet hier auch das meiste jüdische Leben statt“. In Prenzlauer Berg seien aber auch einfach mehr Menschen unterwegs als in den weiter außerhalb gelegenen Stadtteilen. Ähnlich sei es in Mitte: „Da kommen eben alle irgendwann mal vorbei“, sagt Rasumny.