„Ich hatte Panik davor, mit der U-Bahn zu fahren“: Franziska Seyboldt hat ein Buch über ihre Angststörung geschrieben. Prenzlauer Berg würde sie am liebsten gar nicht mehr verlassen.
Ich treffe Franziska Seyboldt in einem Café auf der Kochstraße. Das liegt zwar nicht in Prenzlauer Berg, dafür aber in Reichweite ihres Arbeitsplatzes als Redakteurin bei der taz. Zu unserem Interview bringt sie Aura mit, eine ehemalige Straßenhündin aus Thailand, die erst kürzlich zu ihr nach Berlin gezogen ist. „So ein Hund hilft sehr gut gegen Angst“, erzählt sie, „man ist abgelenkt, weil man die ganze Zeit schaut, wie er auf seine Umgebung und andere Vierbeiner reagiert!“
Dass sich hinter den wippenden blonden Locken und dem offenherzigen, freundlichen Lächeln lange Zeit Angst- und Panikattacken versteckten, kann ich mir in diesem Moment nur schwer vorstellen. Ein Trugschluss, der oft passiert: Die Vorstellung, dass man Menschen ihre psychischen Probleme an der Nasenspitze ansehen kann.
Die Angst vor der Blamage
Doch Angst, das ist viele Jahre ein sehr großes Thema im Leben von Franziska Seyboldt. Seit sie zwölf ist, leidet sie unter Panikattacken. Manchmal läuft sie lieber kilometerweit durch Berlin, anstatt sich in die prallgefüllte U-Bahn zu quetschen. Stets hängen Sätze wie „Was wäre, wenn du jetzt umkippen würdest?“ über ihrem Kopf wie ein Damoklesschwert. Besser wird es erst, als sie eine Therapie beginnt, zunächst eine Verhaltenstherapie, dann eine tiefenpsychologisch orientierte Gesprächstherapie – da ist sie bereits 24 Jahre alt.
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Jahrelang hatte sie mit kaum jemandem darüber gesprochen, zu groß war die Befürchtung, sich die Blöße zu geben und von anderen abgelehnt zu werden. Damit ist sie nicht allein: Nach Schätzungen leiden über zehn Millionen Menschen in Deutschland an einer Angststörung – doch kaum einer redet offen darüber. Dass Franziska Seyboldt sich letztendlich über Scham, Perfektionismus und die Angst, die Kontrolle über sich zu verlieren hinwegsetzte und 2016 ihr „Geheimnis“ mit einer Titelgeschichte in der taz lüftete, zeugt von sehr großem Mut.
Mit meinem Therapeuten habe ich vorher darüber gesprochen, ob es eine gute Idee ist, damit an die Öffentlichkeit zu gehen – ich habe mir das wirklich gut überlegt.
Vermeintliche Schwächen in Stärken umwandeln
Wer diesen Schritt geht, muss stark genug sein, um negative Kritik aushalten zu können. Doch lustigerweise, schmunzelt Seyboldt, hätte sie bisher nur positive Rückmeldungen bekommen. Bestärkt hat sie das letztendlich auch darin, die Titelgeschichte zu einem ganzen Buch zu erweitern; möglich war das vor allem, weil sie zum Zeitpunkt des Schreibens schon besser mit ihrer Angststörung umgehen konnte und das Schamgefühl nachgelassen hatte. Erfahrung mit dem Bücherschreiben hatte sie ebenfalls bereits. Im Jahr 2013 war „Müslimädchen. Mein Trauma vom gesunden Leben“ erschienen, in dem sie von ihrer „Öko-Kindheit“ in den 90er Jahren erzählt. Sie sei ein großer Fan davon, eine vermeintliche Schwäche in eine Stärke umzuwandeln erklärt sie, und so erschien Anfang 2018 „Rattatatam, mein Herz“ (KiWi).
Die Angst, lesen wir dort, ist eine raubeinige, unfreundliche und vorlaute Person, die neben Franziska auf dem Sofa sitzt, in der Bar starke Cocktails bestellt und mit Konfetti um sich wirft. Natürlich kommentiert sie ungefragt alles und wird patzig, wenn man versucht, sie zu ignorieren. Aber sie hat auch Humor. Diese Personifizierung sei ein Weg gewesen, die Angst nicht nur als Teil ihres Lebens zu akzeptieren, sondern sie lieben zu lernen: „Das klingt absurd, aber letztendlich hat es mir geholfen!“
„Am liebsten würde ich Prenzlauer Berg gar nicht mehr verlassen“
Warum sucht man sich mit einer Angststörung eigentlich eine laute, überfordernde Stadt wie Berlin als Zuhause aus? Eher aus Zufall landete Franziska Seyboldt nach einem Studium in Modejournalismus und Medienkommunikation in Hamburg als Praktikantin bei der taz in Berlin. So faszinierend die Stadt auf sie wirkte, begannen hier auch die Panikattacken in der U-Bahn:
Ich hatte immer Angst vor einer Blamage in der Öffentlichkeit. Einerseits kann man in Berlin ja machen was man will – im Bademantel Tram fahren, ohne dass man angeschaut wird zum Beispiel. Andererseits wird man oft blöd angeguckt und angemacht. Da steckt also auch viel Scham dahinter.
Prenzlauer Berg sei im Vergleich zum Rest der Stadt sehr angenehm, hier fühle sie sich wohl – besonders dank der weiten und breiten Straßen in ihrem Kiez, dem „LSD-Viertel“ (rund um die Lychener-Schliemann-Dunckerstraße) . Am liebsten würde sie den Stadtteil gar nicht verlassen – es sei denn, sie findet einen ruhigen Schrebergarten am Stadtrand, in den sie sich zurückziehen kann. Um das nächste Buch zu schreiben? „Konkret habe ich das noch nicht geplant, aber wenn, dann wird es endlich mal ein Roman – aus meinem Leben habe ich nun genug erzählt.“
In unserer Schwerpunktwoche beschäftigen wir uns mit dem Thema Literatur in Prenzlauer Berg. Das hier ist Teil 2.
Teil 1: Kiezgeschichten – Romane über Prenzlauer Berg
Teil 3: Podcast: Was hat es mit Literatur über Prenzlauer Berg auf sich?
Teil 4: Übersichtskarte – Literaturorte in Prenzlauer Berg