Wie fußgängerfeindlich ist Prenzlauer Berg?

von Victoria Scherff 7. Mai 2018

Alle reden von der Verkehrswende, aber denkt eigentlich auch mal jemand an die Fußgänger? Ein Spießrutenlauf durch Prenzlauer Berg.


Viele Prenzlauer Berger leben ohne Auto, auch das Fahrrad ist nicht jedermanns Sache, aber eine Fortbewegungsart haben wir alle gemeinsam: irgendwie, irgendwo, irgendwann ist jeder von uns zumindest ein bisschen Fußgänger. Und das zu Recht, möchte man meinen. Denn zu Fuß gehen ist gesund, braucht einen Bruchteil des Platzes eines PKW, pustet keine Abgase in die Luft, verbraucht kein Erdöl und ist leise. Ein weiterer positiver Effekt: Wer zu Fuß unterwegs ist, überfährt keine anderen Verkehrsteilnehmer.

 

Die meisten Verkehrstoten in Berlin: Fußgänger

Womit sich schon eine Kehrseite offenbart: Als Fußgänger lebt es sich gefährlich. 2.600 Verkehrsunfälle mit zu Fuß Gehenden hat die Polizei im Jahr 2017 registriert. Mit 36 Verkehrstoten waren es vergangenes Jahr zwar insgesamt so wenige Opfer im Straßenverkehr wie lange nicht mehr. Prozentual gesehen traf es allerdings meistens die Fußgänger: 13 Menschen starben. Ende April starb ein 79-jähriger Mann wenige Tage nach einem Unfall mit einem Reisebus in Lichtenberg, nur wenige Wochen zuvor überlebte eine 88-jährige Fußgängerin in Karow einen Unfall mit einem PKW nicht. In Prenzlauer Berg starb zuletzt eine Fußgängerin im November 2016, sie wurde beim Überqueren der Bornholmer Straße von einer Straßenbahn erfasst.

Unfalltote Fußgänger

Verkehrsunfalltote in Berlin im Jahr 2017 im Verhältnis zur Verkehrsbeteiligung (Quelle: Polizei Berlin)

Dass die Naturalisten unter den Verkehrsteilnehmern so gefährdet sind hängt damit zusammen, dass sie auf ihrem Weg von A nach B auf so einige Hindernisse stoßen: zu kurze Ampelphasen, unübersichtliche Kreuzungen, zu wenig Platz oder Radfahrer auf dem Gehweg sind einige Beispiele. In Prenzlauer Berg zu beobachten sind dergleichen Phänomene zum Beispiel längs der Kulturbrauerei auf der Schönhauser Allee, an den Straßenbahnhaltestellen in der Kastanienallee oder allsonntäglich auf der überfüllten Eberswalder Straße. Wir hatten deshalb die Vermutung, dass auch die Prenzlauer Berger Fußgänger ein Klagelied singen können und haben uns im Kiez umgehört:

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„Unser Verkehr ist fußgängerignorant“

Wohl nicht nur im Straßenverkehr werden Fußgänger oft übersehen, sondern auch in der gesellschaftlichen Diskussion. Der Volksentscheid Fahrrad hat sich über die Jahre massiv öffentliches Gehör verschafft und das kollektive Hyperventilieren bei bloßem Nachdenken über Fahrverbote in Städten zeigt den Einfluss der motorisierten Bevölkerung in der Verkehrsdebatte. Die Fußgänger hingegen haben keine Lobby, so scheint es. Oder habt Ihr schon mal was vom Fuss e.V.  gehört?

Hatten wir auch nicht, dabei gibt es den schon seit 1985. Stefan Lieb ist Bundesgeschäftsführer der Vereinigung, die den vollen Namen Fachverband Fußverkehr Deutschland trägt. Lieb bestätigt den Eindruck, dass die Belange der gehenden Bevölkerung zu kurz kommen: „Unser Verkehr ist fußgängerignorant. Für viele ist der Fußgänger noch der, der von zu Hause zum Parkplatz geht. Das entspricht nicht der Realität.“

Mobilitätsgesetz verspricht Verbesserungen für Fußgänger

Immerhin: Aktuell diskutiert Fuss e.V. Ideen zur Verbesserung der Lage der Fußgänger mit der Berliner Senatsverwaltung. Das geplante Mobilitätsgesetz will Berlin laut Slogan „mobiler, sicherer und klimafreundlicher“ machen. Senatssprecher Matthias Tang verspricht auch Verbesserungen für den Fußverkehr: „Berlin für zu Fußgehende attraktiver zu machen, gehört zur Gesamtstrategie“. Es brauche generell mehr und bessere Infrastruktur für Verkehrsmittel, die deutlich weniger Platz in Anspruch nehmen als der Autoverkehr.

Das Mobilitätsgesetz besteht aus mehreren Bausteinen, konkrete Zielsetzungen gibt es bereits für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und den Radverkehr. Die Bausteine zum Fußverkehr sollen dieses Jahr ausgearbeitet und 2019 verabschiedet werden.

 

Kopfsteinpflaster bringt Räder auf den Fußweg

Ginge es nach dem Fuss e.V., stünde auf Prenzlauer Bergs Straßen alle 100 Meter eine Bank. Außerdem ganz oben auf der Agenda: Wie kommt man als Fußgänger sicher über die Straße? Bis auf ein Zebrastreifen-Programm und einige Bordsteinabsenkungen sei bisher wenig getan worden, so Lieb.

Die Konkurrenz mit den Radfahrern auf dem Gehweg sei ein für Prenzlauer Berg typisches Fußgänger-Problem: „In Prenzlauer Berg gibt es noch relativ viele Straßen mit Kopfsteinpflaster, daher fahren viele Fahrradfahrer auf dem Gehweg. Und das bringt entsprechende Konflikte mit den Fußgängern mit sich“, sagt Lieb

Eine weitere Gefahr: ungünstige Ampelschaltungen. Statt die Fußgänger in einem Fluss über die Straße zu bringen, würden sie an vielen Ampeln ausgebremst, während der motorisiere Verkehr weiter fließt, so Lieb. 13 Ampeln in Prenzlauer Berg hat der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) als besonders fußgängerfeindlich eingestuft. Dazu gehört unter anderem die besonders berüchtigte Ampel an der Danziger Straße Ecke Winsstraße, die schon mehrfach Inhalt von Einwohneranfragen in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) war. Wo es sich sonst noch sehr schlecht die Straße überquert, seht ihr in unserem Video:

Im Kampf für eine fußgängerfreundlichere Stadt setzt Lieb auf die neue Generation der Stadtplaner mit modernen und innovativen Ideen. Gleichzeitig brauche es Mut und Willen in der Politik. Bisher seien „die lautesten Wähler die Autofahrer – und dementsprechend handeln viele Politiker.“

Und welche Erfahrungen habt Ihr als Fußgänger in Prenzlauer Berg gemacht? Fühlt Ihr Euch als Fußvolk diskriminiert? Erzählt es uns in unserer Umfrage!

 

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(Fotos: Victoria Scherff)

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